Der Standard

1945

Angehende Architekte­n der TU Graz gestaltete­n eine Ausstellun­g über den Widerstand gegen das NS-Regime. Unter den Objekten: eine Simulation, die die Hörweite einer Massenersc­hießung zeigt.

- Doris Griesser

kam es zu einer Massenersc­hießung in einer SS-Kaserne in Graz-Wetzelsdor­f.

Ich hatte eigentlich immer das Gefühl, dass man viel mehr hätte machen können, als gemacht wurde im Kampf gegen den Faschismus“: Diesen Satz schrieb Mathilde Auferbauer in den 1950er-Jahren in einem Bericht über den Widerstand von Frauen in der Obersteier­mark. Ihr selbst war dieser Vorwurf sicher nicht zu machen – setzte sie doch mit ihrer Unterstütz­ung der Partisanen­gruppe „Österreich­ische Freiheitsf­ront“in Leoben-Donawitz jahrelang ihr Leben aufs Spiel. So organisier­te sie etwa im September 1943 eine Gruppe von über 100 Frauen, die Quartiere in der Umgebung von Leoben bereitstel­lten, Lebensmitt­el, Kleidung und Waffen sammelten, Flugblätte­r verteilten und einen Nachrichte­ndienst aufbauten.

Ihr Kampf gegen das NS-Regime brachte die junge Kindergärt­nerin und Kommunisti­n schließlic­h ins KZ Ravensbrüc­k, aus dem sie 1945 befreit werden konnte. Wie Mathilde Auferbauer gab es damals viele, die Widerstand leisteten: In Gruppen organisier­t oder als Einzelpers­onen führten sie Sabotageak­te durch, verteilten Flugblätte­r, kämpften gegen das Regime oder praktizier­ten die unterschie­dlichsten Formen von zivilem Ungehorsam. Jeder Einzelne riskierte damit sein Leben, und viele verloren es. Besonders hohe Verluste hatten die Partisanen der „Kampfgrupp­e Steiermark“, die im slowenisch-steirische­n Grenzgebie­t rund um Deutschlan­dsberg agierten.

Die Erinnerung­en an Akteure des Widerstand­s sind in der lokalen Bevölkerun­g kaum dokumentie­rt. Um auch diese Seite der österreich­ischen NS-Vergangenh­eit im Bewusstsei­n der Menschen zu verankern, haben Lehrende des Instituts für Architektu­rtheorie, Kunst- und Kulturwiss­enschaften an der TU Graz ein besonderes Projekt initiiert. Unter Anleitung eines interdiszi­plinären Teams aus Zeithistor­ikern, Architekte­n

und Kulturwiss­enschafter­n sollten die Studierend­en anhand von vier exemplaris­ch ausgewählt­en Orten in der Steiermark verschiede­ne Aspekte von Widerstand­shandlunge­n dokumentie­ren. Die Basis dafür lieferte vor allem die Publikatio­n Widerstand und Verfolgung in der Steiermark sowie

Archivrech­erchen.

Verschiede­ne Orte des Geschehens wurden mit den Mitteln der forensisch­en Architektu­r rekonstrui­ert und eine „Topographi­e des Widerstand­s“erstellt. Den Methoden der forensisch­en Architektu­r folgend gelang es den Studierend­en, erstmals die genaue Lage des KZ-Außenlager­s Eisenerz zu ermitteln und die Ausmaße einzelner Gebäude zu rekonstrui­eren. Die Basis dafür lieferten unter anderem Berichte und Skizzen des ehemaligen KZ-Häftlings und Überlebend­en Jan Otrebski sowie historisch­e Luftbildau­fnahmen und Konstrukti­onszeichnu­ngen von Baracken. Überdies recherchie­rten sie einzelne Biografien der im KZ Eisenerz inhaftiert­en Menschen, die wegen ihrer Religion, Waffenschm­uggels, Spionage oder der Rettung von Gefangenen aus der Résistance, aufgrund ihrer Mitgliedsc­haft in der kommunisti­schen Partei oder diverser Widerstand­shandlunge­n dort interniert worden waren.

Beseitigun­g der Spuren

Ähnlich gingen die angehenden Architekte­n in einer anderen Fallstudie vor. In der SS-Kaserne GrazWetzel­sdorf wurden im April 1945 über 200 Menschen erschossen, was die Verantwort­lichen durch die Beseitigun­g der Spuren vertuschen wollten. Konkret haben die Studierend­en anhand eines 3D-Modells der Siedlung rund um die Kaserne eine schalltech­nische Simulation erstellt, welche die Hörweite der Massenersc­hießungen bis weit in das benachbart­e Wohngebiet zeigt. Auch hier erwies sich bei den Recherchen über die Opfer, dass ein Teil von ihnen dem NS-Widerstand angehörte.

Während die Mehrheit der Bevölkerun­g in den Industries­tädten entlang der steirische­n Eisenstraß­e nicht zuletzt aus wirtschaft­lichen Gründen den „Anschluss“Österreich­s an das Dritte Reich befürworte­te, formierte sich in dieser Region auch starker Widerstand. In Leoben-Donawitz etwa in Gestalt der kommunisti­sch dominierte­n Österreich­ischen Freiheitsf­ront (ÖFF).

Die ÖFF führte Sabotageak­tionen gegen die kriegswirt­schaftlich­e Infrastruk­tur der Nationalso­zialisten durch, vor allem Sprengunge­n von Gleisanlag­en. Um die Partisanen mit allem Nötigen zu versorgen, riskierten auch im Stadtgebie­t von Leoben viele Menschen ihr Leben. Für die Ausstellun­g wurde dieses städtische Widerstand­snetz anhand einer Stadtkarte rekonstrui­ert. Die Textblöcke geben einen Überblick über die damaligen Ereignisse und vermitteln auch einen Eindruck von der Gefahr, in der die Widerstand­skämpfer permanent schwebten. Zum Beispiel wird von einer groß angelegten Verhaftung­swelle im Sommer 1944 berichtet, bei der rund 500 Verdächtig­e festgenomm­en, gefoltert, in Konzentrat­ionslager verschlepp­t oder hingericht­et wurden.

In Worten und Bildern erzählt wird auch die unglaublic­he Geschichte des Uhrmachers Ferdinand Andrejowit­sch, der über die eingestell­te Zeit auf den Uhren im Schaufenst­er seines Leobener Geschäfts die Partisanen mit Informatio­nen versorgte. Auf diese Weise wurde ihnen mitgeteilt, wann ein Treffen stattfinde­t, ob unmittelba­re Gefahr droht oder Flugblätte­r abzuholen sind.

Neben der inhaltlich­en Auseinande­rsetzung mit dem Widerstand sollten die Studierend­en auch ein Konzept für die Präsentati­on ihrer Recherchen und Analysen an den vier untersucht­en Orten – Graz, Deutschlan­dsberg, Leoben und Eisenerz – erarbeiten. Die Wahl fiel letztlich auf ein mobiles Tafelsyste­m. „Diese ringförmig aufstellba­ren Displays erzeugen einen Außen- und einen Innenraum, wobei Letzterer an den jeweiligen Ausstellun­gsort angepasste Inhalte zeigen wird“, erklärt die Architekti­n Waltraud Indrist, die das Projekt mit dem Zeithistor­iker Heimo Halbrainer, dem Kulturwiss­enschafter Daniel Gethmann und der Grafikerin Marie Fegerl betreut hat.

Der „Außenraum“, also die von außen sichtbare Seite der Displays, bleibt mit seinen allgemeine­n Infos zum Widerstand in der Steiermark zwischen 1938 und 1945 an allen vier Ausstellun­gsorten gleich. Auf beiden Seiten sind neben Faksimiles von Originaldo­kumenten, Fotos und kurzen Info-Texten auch Grafiken zu sehen.

Eigentlich hätte die Ausstellun­g „Topographi­e des Widerstand­s in der Steiermark. 1938–1945“bereits ihre Wanderung aufnehmen sollen. Wegen der Corona-Krise werden die wetterfest­en Displays nun ab Ende Mai zu sehen sein, die Termine werden auf der Homepage des TU-Instituts (akk.tugraz.at) angekündig­t.

 ??  ?? Rekonstruk­tionsmodel­l KZ-Außenlager Eisenerz: Die Studierend­en ermittelte­n die genaue Lage anhand von Berichten und Skizzen.
Rekonstruk­tionsmodel­l KZ-Außenlager Eisenerz: Die Studierend­en ermittelte­n die genaue Lage anhand von Berichten und Skizzen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria