Korruptionsprozess gegen Netanjahu startet
Israels Regierungschef muss sich wegen mutmaßlicher Korruption vor Gericht verantworten – und geht zum Gegenangriff über
Es kommt eher selten vor, dass ein Sicherheitsminister einen mutmaßlich Kriminellen zum Gericht begleitet, um ihm alles Gute und einen baldigen Freispruch zu wünschen. Heißt dieser Angeklagte aber Benjamin Netanjahu und ist Premierminister von Israel, läuft alles ein wenig anders. Der Langzeitpolitiker, der sich mit einer von mehr als 330 Belastungszeugen gestützten Korruptionsanklage konfrontiert sieht, hatte Sonntagnachmittag seinen ersten Verhandlungstag vor Gericht. Er musste sich dabei nicht allein fühlen. Neben seinen Mitangeklagten waren hochrangige Politiker seiner Likud-Partei mit ihm gekommen. Sie alle hatten eine Aufgabe: Gegenattacke.
Die Justiz, die Polizei und die Medien hätten sich gegen Netanjahu verschworen, um einen schleichenden Putsch einzuleiten. Das ist die Botschaft, die in Likud-Kreisen auf allen Kanälen ausgesendet wird.
Attacke auf die Demokratie?
Kein Wort vom Vorwurf der versuchten Bestechlichkeit, der Untreue, des Betrugs, kein Wort von mutmaßlich schmutzigen Deals und einer Strafandrohung von bis zu zehn Jahren Haft. Dieser Prozess sei ein Angriff auf die Demokratie, erklärte der Premier in einer kämpferischen Rede vor Medien kurz vor Beginn der Verhandlung. Um sich danach auf den Weg zum Verhandlungssaal Nummer 317 des Jerusalemer Bezirksgerichts zu machen.
Netanjahu hatte alles versucht, um diesen Moment zu verhindern. Corona hatte möglich gemacht, dass er zumindest um mehr als zwei Monate verschoben wurde – ursprünglich war der Prozessstart für Mitte März anberaumt gewesen. Da es nun kein Entrinnen gab, wollte Netanjahu zumindest die unschönen Bilder vermeiden, die ihn auf der Anklagebank zeigen. Seine Anwälte hatten beim Gericht darum angesucht, in Abwesenheit des Beschuldigten verhandeln zu dürfen. Das Gericht blieb hart. Was in jedem anderen Strafverfahren gilt, gelte auch hier: Der Angeklagte muss erscheinen. Und er erschien, vermied es aber tunlichst, auf der Anklagebank Platz zu nehmen, bevor die Kameras den Saal verließen.
Die Verteidiger Netanjahus und der drei Mitangeklagten setzen nun auf Zeit. Mit mehreren Einsprüchen versuchten sie bereits am ersten Prozesstag, das Beweisverfahren samt Zeugenbefragungen so weit wie möglich nach hinten zu verschieben. Sie hätten viel zu wenig Zeit gehabt, um den Akt durchzuackern, beschwerten sie sich – und beantragten Aufschub.
Die Anklage gab zurück, dass mehr als ein Jahr Vorbereitungszeit wohl mehr als ausreichend sein müsse.
Aus heutiger Sicht starten die Befragungen im September. Sollten die Anwälte mit ihren Einsprüchen erfolgreich sein, könnte das Beweisverfahren womöglich erst im nächsten Jahr beginnen. Ein Urteil wäre dann wohl frühestens 2022 zu erwarten – und das wäre erst die erstinstanzliche Entscheidung. Nicht ausgeschlossen ist, dass es vor dem Urteil zu einer Verständigung zwischen Anklage und Verteidigung kommt, die eine deutliche Strafminderung bringen könnte – vorausgesetzt, der Angeklagte bekennt sich schuldig.