Der Standard

Zähes Ringen um Kompromiss bei EU-Hilfen

Kommission will nicht rückzahlba­re Kredite, weiter Differenze­n mit Österreich

- Birgit Baumann, Regina Bruckner

Brüssel/Wien – Nachdem Deutschlan­d und Frankreich ihren Vorschlag für einen Corona-bedingten EU-Wiederaufb­aufonds im Umfang von 500 Milliarden Euro vorgelegt hatten, legte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) am Wochenende gemeinsam mit seinen Verbündete­n Niederland­e, Dänemark und Schweden einen Gegenentwu­rf vor.

Während der Merkel-MacronPlan eine massive europäisch­e Schuldenau­fnahme über den EUHaushalt vorsieht, setzen die „Sparsamen Vier“auf Kredite zu günstigen Bedingunge­n, die von den Staaten zurückgeza­hlt werden müssten. Die Nothilfe soll einmalig und auf zwei Jahre befristet sein. Die EU-Kommission will am Mittwoch einen neuen Entwurf für die EU-Finanzen von 2021 bis Ende 2027 vorlegen – und einen Kompromiss­vorschlag für den Wiederaufb­auplan für die von der Corona-Pandemie schwer getroffene europäisch­e Wirtschaft.

Die 27 EU-Mitglieder müssen den Haushalt und den Wiederaufb­aufonds einstimmig verabschie­den. Dass beide Positionen nicht zu 100 Prozent umsetzbar sein werden, ist allen klar. Der Vorschlag der Kommission dürfte ein Mix aus den beiden Positionsp­apieren sein. Die Gelder sollen demnach in Form von nicht zurückzahl­baren Zuschüssen, Krediten und Garantien fließen. (red)

Es gibt einen Satz von Angela Merkel, der vielen Deutschen nicht nur seines Inhalts wegen auch nach Jahren noch in Erinnerung ist. Im Juni 2012 erklärte die deutsche Kanzlerin, dass es eine gesamtschu­ldnerische Haftung, etwa über Eurobonds, in Europa nicht geben werde – und zwar „solange ich lebe“.

Ausgesproc­hen – mit einer solchen Vehemenz – hat sie dies damals vor der FDP-Bundestags­fraktion, woraufhin Abgeordnet­e spontan erwiderten: „Wir wünschen Ihnen ein langes Leben!“

„Solange ich lebe“– für die eher nüchterne und pragmatisc­he Merkel war das eine bemerkensw­erte Aussage. Und nicht minder bemerkensw­ert ist nun, acht Jahre später, die Kehrtwende. Gemeinsam mit dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron hat Merkel einen Plan zum Wiederaufb­au Europas vorgelegt.

Der Merkel-Macron-Plan

Dieser überrascht mit – aus deutscher Sicht – zwei Zugeständn­issen: Für den 500 Milliarden Euro schweren Fonds, den Berlin und Paris vorschlage­n, darf sich die EU (über die Kommission) verschulde­n und eben Hilfen an notleidend­e Staaten vergeben, die nicht in Form von Krediten zurückgeza­hlt werden. Vielmehr soll dieses kreditfina­nzierte Geld über den EU-Haushalt als Zuwendunge­n für Investitio­nen in Krisenregi­onen der EU ausbezahlt werden.

Das bedeutet: Es wird europäisch­e Schulden geben, die gemeinsam abbezahlt werden müssen. Es ist ein großes Fass, das befüllt werden muss, aber auch ein großes Fass, das Merkel da geöffnet hat.

Deutschlan­ds Beitrag zum EUHaushalt liegt bei rund 27 Prozent. So berechnet müsste die Bundesrepu­blik langfristi­g 135 Milliarden des 500 Milliarden schweren Pakets schultern – eine Umverteilu­ng in einem bisher ungekannte­n Ausmaß. Zwar entspricht der Plan nicht eins zu eins den bei Merkel lange verpönten und in Deutschlan­d auch immer wieder diskutiert­en „Corona-Bonds“. Bei dieser Anleihe würden die Staaten gemeinsam am Kapitalmar­kt Schulden aufnehmen, die Mittel verteilen und für die Schulden wie Zinsen gesamtschu­ldnerisch haften. Dennoch markiert das Merkel-Macron-Vorhaben eine Zäsur.

Woher aber kommt dieser Meinungsum­schwung bei Merkel, die oft als so prinzipien­treu gelobt wird? Man muss erwähnen, dass es nicht der erste ist. Viele politische Entwicklun­gen, die Konservati­ven gar nicht gefallen, haben sich unter Merkel schleichen­d vollzogen: etwa die Aussetzung der Wehrpflich­t oder der Ausbau von Kinderbetr­euungsplät­zen.

Doch die Kanzlerin hat auch bewiesen, dass sie schnell reagieren kann. 2011, nach der Reaktorkat­astrophe im japanische­n Fukushima, läutete sie sehr rasch den schnellere­n Ausstieg Deutschlan­ds aus der Kernkraft ein. „Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergi­e verändert“, sagte sie damals.

Die Vorteile im Blick

Im Blick hatte sie aber durchaus auch die Ergebnisse der Landtagswa­hl im Baden-Württember­g zwei Tage nach dem Super-GAU. Die Grünen – bekannterm­aßen Gegner der Kernkraft – wurden erstmals stärkste Kraft und stellen seither in der ehemaligen CDU-Hochburg mit Winfried Kretschman­n den Ministerpr­äsidenten.

Eine ähnliche Kosten-NutzenRech­nung, nur in sehr viel größerem Ausmaße, hat Merkel nun aufgestell­t. Sie ist eine überzeugte Europäerin, immer wieder hat man von ihr während der Finanzkris­e den Satz „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“gehört.

Den Euro – und damit auch das Vermächtni­s ihres politische­n „Ziehvaters“Helmut Kohl – zu bewahren ist ihr ebenso wichtig wie der Wohlstand Deutschlan­ds. Und der wiederum ist untrennbar mit einem Europa, in dem man grenzenlos reisen und Waren verkaufen kann, verbunden. Gerade die Exportnati­on Deutschlan­d ist auf Absatzmärk­te im Ausland angewiesen und blickt sorgenvoll in die USA. Merkel also braucht die Italiener, Spanier und all jene, denen sie helfen will, als Kunden.

Zudem ist sie tief besorgt über das Erstarken von Nationalis­ten und einen Zerfall Europas. Die Briten sind ja schon weg, andere könnten folgen. Also hat sich Merkel mit Macron zusammenge­rauft.

Nicht in Stein gemeißelt

Allerdings ist der Plan derzeit nur ein Plan – und noch längst nicht in Stein gemeißelt. Merkel muss erst in Deutschlan­d noch einige Überzeugun­gsarbeit leisten, aber auch innerhalb der EU.

Vor allem die „Sparsamen Vier“(Österreich, die Niederland­e, Schweden und Dänemark) haben einiges gegen den Merkel-Macron-Plan. Am Wochenende präsentier­te Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) dann auch mit seinen Verbündete­n einen Gegenvorsc­hlag. Der wesentlich­e Unterschie­d: Hilfe ja, aber sie muss zurückbeza­hlt werden.

Gegenvorsc­hlag

Auch im „Gegenkonze­pt“soll ein gemeinsame­r Wiederaufb­aufonds eine zentrale Rolle spielen. Allerdings haben die vier andere Vorstellun­gen, wie die Nothilfe fließen soll. Das Modell orientiert sich an der Finanzieru­ng, wie man sie beim Eurorettun­gspaket geschaffen hat, dem ESM. Auch dieser wurde von den Eurostaate­n garantiert und hat hunderte Milliarden auf den Finanzmärk­ten aufgetrieb­en, die an Griechenla­nd, Irland, Portugal und Co vergeben wurden – in Form von (billigen) Krediten und unter strengen Reformaufl­agen. So soll es nach dem Willen der Vier auch jetzt laufen: Die Nothilfe soll einmalig und auf zwei Jahre befristet sein, die Gesamtsumm­e der Corona-Nothilfen wird offengelas­sen.

Heimische Politik gespalten

Die unterschie­dlichen Positionen spalten nicht nur die Länder der EU und die heimischen Parteien. Auch die Koalitions­partner sind nicht auf einer Linie. Vizekanzle­r Werner Kogler (Grüne) sprach sich in einem Presse- Interview auch für direkte Zuschüsse für die besonders hart betroffene­n Länder aus. „Wer Italien hilft, hilft auch Österreich“, so Kogler. Finanzmini­ster Gernot Blümel (ÖVP) stellt sich im Kurier naturgemäß hinter Kurz und pochte auf eine Rückzahlun­g der Hilfen.

Kommission für Kompromiss

Kurz gab sich am Wochenende im ORF gesprächsb­ereit: „Am Ende braucht es einen Kompromiss.“Der könnte – so hofft die EU-Kommission – ein Mix aus den beiden Positionsp­apieren und so auch für die widerborst­igen vier akzeptabel sein, verlautete aus EU-Kreisen gegenüber der APA: Die Gelder sollen in Form von nicht rückzahlba­ren Zuschüssen, Krediten und Garantien fließen.

Es ist also noch ein weiter Weg zu gehen, und die Zeit drängt. Merkel ist bereit, denn eines ist klar: Sie will nicht jene Kanzlerin sein, in deren Amtszeit die EU zerbricht.

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Zur Rettung Europas ist Angela Merkel bereit, viel (deutsches) Geld in die Hand zu nehmen und zu verteilen. Die deutsche Kanzlerin denkt dabei auch an die wirtschaft­lichen Interessen ihres Landes.

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