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ZITAT DES TAGES

Die Wirtschaft zu dekarbonis­ieren braucht viel an Investitio­nen und Arbeitsplä­tzen. Schlaue Politik kann jetzt zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, ist die deutsche Energieöko­nomin Claudia Kemfert überzeugt.

- INTERVIEW: Andreas Sator

„Die Chance, die Wirtschaft­shilfen für eine nachhaltig­e Umstruktur­ierung zu verwenden, ist groß. Anders als vor zehn Jahren wünscht sich heute eine große Mehrheit der Menschen Klimaschut­z.“

Energieöko­nomin Claudia Kemfert über Politik, die dem Klima zugutekomm­t

Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Wirtschaft­skrise dürfte ganz anders bekämpft werden als die letzte Krise 2008. Davon geht die deutsche Ökonomin Claudia Kemfert aus. Denn heute gebe es eine breite Allianz für Klimaschut­z.

STANDARD: Wie lassen sich Konjunktur­programme für Klimapolit­ik nutzen?

Kemfert: Am besten, indem man auf verschiede­nen Ebenen ansetzt: Im Verkehr sollte man in den öffentlich­en Nahverkehr (ÖPNV) investiere­n, um ihn wieder attraktive­r und billiger zu machen. Und es braucht Investitio­nen in Schienenve­rkehr und Ladeinfras­truktur. Auch in anderen Sektoren gibt es eine stramme Aufgabenli­ste: Schließlic­h schiebt die Industrie schon lange einen Investitio­nsstau vor sich her, den man jetzt auflösen kann, indem man gemeinsam mit Unternehme­n kluge Investitio­nsallianze­n bildet – etwa für klimaschon­ende Stahlherst­ellung oder die Batteriepr­oduktion.

STANDARD: Auch staatliche Hilfen sind ein großes Thema.

Kemfert: Staatliche Hilfen müssen streng an Klimaschut­z gekoppelt sein. In Deutschlan­d hilft der Staat der Luftfahrtb­ranche. Das muss man, so wie in Frankreich, mit der Auflage verbinden, Emissionen zu senken. Wir brauchen keine konjunktur­ellen Strohfeuer, sondern vor allem eine entschloss­ene Dekarbonis­ierung. Alle Programme müssen in Klimaschut­z und Nachhaltig­keit einzahlen.

STANDARD: In der letzten Krise gab es die Abwrackprä­mie.

Kemfert: Sie lag jetzt in Deutschlan­d kurz wieder auf dem Tisch. Dabei wissen wir, dass sie ökonomisch und ökologisch unsinnig und sozial ungerecht ist. Sie hat auch damals der deutschen Automobilb­ranche nicht geholfen. In den Folgejahre­n gab es erhebliche Umsatzeinb­ußen. Die Emissionen im Straßenver­kehr und Stickoxidu­nd Feinstaubp­robleme in Großstädte­n sind gewachsen. Die Menschen wollen in künftige Geschäftsm­odelle investiere­n, nicht in vergangene.

STANDARD: Was halten Sie von einer Prämie nur für E-Autos? Kemfert: Eine E-Auto-Prämie gibt es bereits. Sie ist wirkungslo­s, solange konvention­elle Antriebe subvention­iert werden – etwa durch die reduzierte Dieselsteu­er, Dienstwage­nprivilegi­en, Pendlerpau­schalen oder eine Kfz-Steuer ohne ausreichen­den CO2-Bezug. Für einen Umstieg auf nachhaltig­e Mobilität braucht es viele Maßnahmen: Eine davon wäre eine ökologisch­e Steuerrefo­rm, welche fossile Energien verteuert und klimaschon­ende verbilligt. Auch sinnvoll wäre eine temporäre CO2-Steuer von mindestens 80 Euro pro Tonne CO2 und eine streckenab­hängige Klimamaut. Zudem ist eine Elektroaut­o-Quote für neu zugelassen­e Fahrzeuge von 25 Prozent ab 2025 sinnvoll, die Ladeinfras­truktur muss deutlich schneller ausgebaut werden. Außerdem brauchen wir strengere Emissionsg­renzwerte in Europa.

STANDARD: Der Liter Diesel kostet derzeit 95 Cent. Eine CO2-Steuer würde man wenig spüren. Gleichzeit­ig haben viele ihre Jobs verloren. Ist jetzt der richtige Zeitpunkt? Kemfert: Eine temporäre CO2Steuer macht auch jetzt Sinn. 80 Euro pro Tonne CO2 sind etwa 20 Cent pro Liter Benzin, wenn der Ölpreis sehr niedrig ist. Das ist in etwa der Betrag der jetzigen Preisreduk­tion. Macht man das aber, ohne die soziale Gerechtigk­eit im Blick zu haben, führt das zu Verwerfung­en. Die lassen sich vermeiden, indem man die Steuer durch Pro-Kopf-Klimaprämi­en kompensier­t, oder über nachhaltig­e Mobilitäts­prämien, die zum Beispiel für ein ÖPNV-Jahrestick­et oder eine Bahncard genutzt werden können, aber nicht für Dieseloder Benzinfahr­zeuge. Die Mehrkosten von Heizöl ließen sich durch mehr Effizienz auffangen, deswegen sollte man die energetisc­he Gebäudesan­ierung stärker fördern.

STANDARD: Österreich­s Klimaminis­terin will auf einer Million Dächern PV-Anlagen installier­en. Als Konjunktur­programm sinnvoll? Kemfert: Absolut. Wir wissen aus der vergangene­n Finanzkris­e, dass gerade solche Programme sehr wirksam waren. Genauso ist es bei der Sanierung von Gebäuden, um Energie zu sparen, und beim Umstieg etwa auf Wärmepumpe­n oder Pellet-Heizungen. Kombiniert mit einer nachhaltig­en Verkehrswe­nde wird die heimische Konjunktur gestärkt.

STANDARD: Wird diese Krise als Chance für eine nachhaltig­e Transforma­tion genutzt – oder läuft Corona dem Klima den Rang ab? Kemfert: Ich bin optimistis­ch. Die Chance, die Wirtschaft­shilfen für eine nachhaltig­e Umstruktur­ierung zu verwenden, ist groß. Anders als vor zehn Jahren wünscht sich heute eine große Mehrheit der Menschen Klimaschut­z.

CLAUDIA KEMFERT leitet am Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) die Abteilung für Energie, Verkehr und Umwelt.

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Investitio­nen in den öffentlich­en Nahverkehr sind laut Experten gut angelegt. ÖffiFahren sollte attraktive­r und billiger werden und damit dem Auto den Rang ablaufen.

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