ZITAT DES TAGES
Die Wirtschaft zu dekarbonisieren braucht viel an Investitionen und Arbeitsplätzen. Schlaue Politik kann jetzt zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, ist die deutsche Energieökonomin Claudia Kemfert überzeugt.
„Die Chance, die Wirtschaftshilfen für eine nachhaltige Umstrukturierung zu verwenden, ist groß. Anders als vor zehn Jahren wünscht sich heute eine große Mehrheit der Menschen Klimaschutz.“
Energieökonomin Claudia Kemfert über Politik, die dem Klima zugutekommt
Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise dürfte ganz anders bekämpft werden als die letzte Krise 2008. Davon geht die deutsche Ökonomin Claudia Kemfert aus. Denn heute gebe es eine breite Allianz für Klimaschutz.
STANDARD: Wie lassen sich Konjunkturprogramme für Klimapolitik nutzen?
Kemfert: Am besten, indem man auf verschiedenen Ebenen ansetzt: Im Verkehr sollte man in den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) investieren, um ihn wieder attraktiver und billiger zu machen. Und es braucht Investitionen in Schienenverkehr und Ladeinfrastruktur. Auch in anderen Sektoren gibt es eine stramme Aufgabenliste: Schließlich schiebt die Industrie schon lange einen Investitionsstau vor sich her, den man jetzt auflösen kann, indem man gemeinsam mit Unternehmen kluge Investitionsallianzen bildet – etwa für klimaschonende Stahlherstellung oder die Batterieproduktion.
STANDARD: Auch staatliche Hilfen sind ein großes Thema.
Kemfert: Staatliche Hilfen müssen streng an Klimaschutz gekoppelt sein. In Deutschland hilft der Staat der Luftfahrtbranche. Das muss man, so wie in Frankreich, mit der Auflage verbinden, Emissionen zu senken. Wir brauchen keine konjunkturellen Strohfeuer, sondern vor allem eine entschlossene Dekarbonisierung. Alle Programme müssen in Klimaschutz und Nachhaltigkeit einzahlen.
STANDARD: In der letzten Krise gab es die Abwrackprämie.
Kemfert: Sie lag jetzt in Deutschland kurz wieder auf dem Tisch. Dabei wissen wir, dass sie ökonomisch und ökologisch unsinnig und sozial ungerecht ist. Sie hat auch damals der deutschen Automobilbranche nicht geholfen. In den Folgejahren gab es erhebliche Umsatzeinbußen. Die Emissionen im Straßenverkehr und Stickoxidund Feinstaubprobleme in Großstädten sind gewachsen. Die Menschen wollen in künftige Geschäftsmodelle investieren, nicht in vergangene.
STANDARD: Was halten Sie von einer Prämie nur für E-Autos? Kemfert: Eine E-Auto-Prämie gibt es bereits. Sie ist wirkungslos, solange konventionelle Antriebe subventioniert werden – etwa durch die reduzierte Dieselsteuer, Dienstwagenprivilegien, Pendlerpauschalen oder eine Kfz-Steuer ohne ausreichenden CO2-Bezug. Für einen Umstieg auf nachhaltige Mobilität braucht es viele Maßnahmen: Eine davon wäre eine ökologische Steuerreform, welche fossile Energien verteuert und klimaschonende verbilligt. Auch sinnvoll wäre eine temporäre CO2-Steuer von mindestens 80 Euro pro Tonne CO2 und eine streckenabhängige Klimamaut. Zudem ist eine Elektroauto-Quote für neu zugelassene Fahrzeuge von 25 Prozent ab 2025 sinnvoll, die Ladeinfrastruktur muss deutlich schneller ausgebaut werden. Außerdem brauchen wir strengere Emissionsgrenzwerte in Europa.
STANDARD: Der Liter Diesel kostet derzeit 95 Cent. Eine CO2-Steuer würde man wenig spüren. Gleichzeitig haben viele ihre Jobs verloren. Ist jetzt der richtige Zeitpunkt? Kemfert: Eine temporäre CO2Steuer macht auch jetzt Sinn. 80 Euro pro Tonne CO2 sind etwa 20 Cent pro Liter Benzin, wenn der Ölpreis sehr niedrig ist. Das ist in etwa der Betrag der jetzigen Preisreduktion. Macht man das aber, ohne die soziale Gerechtigkeit im Blick zu haben, führt das zu Verwerfungen. Die lassen sich vermeiden, indem man die Steuer durch Pro-Kopf-Klimaprämien kompensiert, oder über nachhaltige Mobilitätsprämien, die zum Beispiel für ein ÖPNV-Jahresticket oder eine Bahncard genutzt werden können, aber nicht für Dieseloder Benzinfahrzeuge. Die Mehrkosten von Heizöl ließen sich durch mehr Effizienz auffangen, deswegen sollte man die energetische Gebäudesanierung stärker fördern.
STANDARD: Österreichs Klimaministerin will auf einer Million Dächern PV-Anlagen installieren. Als Konjunkturprogramm sinnvoll? Kemfert: Absolut. Wir wissen aus der vergangenen Finanzkrise, dass gerade solche Programme sehr wirksam waren. Genauso ist es bei der Sanierung von Gebäuden, um Energie zu sparen, und beim Umstieg etwa auf Wärmepumpen oder Pellet-Heizungen. Kombiniert mit einer nachhaltigen Verkehrswende wird die heimische Konjunktur gestärkt.
STANDARD: Wird diese Krise als Chance für eine nachhaltige Transformation genutzt – oder läuft Corona dem Klima den Rang ab? Kemfert: Ich bin optimistisch. Die Chance, die Wirtschaftshilfen für eine nachhaltige Umstrukturierung zu verwenden, ist groß. Anders als vor zehn Jahren wünscht sich heute eine große Mehrheit der Menschen Klimaschutz.
CLAUDIA KEMFERT leitet am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Abteilung für Energie, Verkehr und Umwelt.