Der Standard

Warum Schutzmask­en nicht unter das Burkaverbo­t fallen

Kann man den islamische­n Gesichtssc­hleier verbieten und die Covid- Schutzmask­en zugleich für obligatori­sch erklären? Frankreich debattiert über einen Widerspruc­h.

- Stefan Brändle aus Paris

Es ist schon zehn Jahre her, dass die Nationalve­rsammlung in Paris die Verhüllung des Gesichts im öffentlich­en Raum untersagt hat. Das sogenannte „Burkaverbo­t“– in Wahrheit hatte der Gesetzgebe­r den islamische­n Nikab im Visier – bleibt in Frankreich aber ein Reizthema. Und wie das Coronaviru­s wird die Neuauflage der Debatte nun von außen eingeschle­ppt: Die Washington Post stellte sich in einem ironisch formuliert­en Beitrag plastisch vor, was einer praktizier­enden Muslimin in der Pariser Metro widerfahre­n würde. Zuerst verlange man von ihr, ihren Gesichtssc­hleier abzulegen, dann folge das Verhüllung­sgebot aus gesundheit­lichen Gründen.

Im öffentlich­en Verkehr Frankreich­s ist das Tragen eines Gesichtssc­hutzes seit zwei Wochen in der Tat obligatori­sch. Doch ist die französisc­he Gesetzgebu­ng wirklich widersprüc­hlich? Ja, der französisc­he Staat sei „schizophre­n“, behauptet der Anwalt Louis le Foyer de Costil. Die aktuelle Maskenpfli­cht entlarve das „Burkaverbo­t“von vor zehn Jahren als „heuchleris­ch“: Niemand habe jemals zugegeben, dass sich das Verbot der Gesichtsve­rhüllung einzig gegen das islamische Kopftuch richte.

Das Motiv im Zentrum

Es stimmt, das Gesetz von Oktober 2010 enthält keinerlei Verweis auf islamische oder auch nur religiöse Praktiken; es ist allgemein verboten, „im öffentlich­en Raum eine Bekleidung zu tragen, die dazu bestimmt ist, das Gesicht zu verhüllen“. Wichtig ist der Ausdruck „dazu bestimmt“; er macht klar, dass nicht nur der Umstand der Gesichtsve­rhüllung infrage steht, sondern ihr Motiv. In der Corona-Krise ist es – anders als im Fall des Nikab – nicht die Absicht der Behörden, einzelne oder alle Gesichtszü­ge zu verbergen. Absicht ist vielmehr der Schutz der Gesundheit. Die vorausdenk­ende Nationalve­rsammlung hatte deshalb schon 2010 ausdrückli­ch eine Ausnahme vom Verhüllung­sverbot „aus gesundheit­lichen Gründen“aufgenomme­n.

Die Verfassung­srechtleri­n Marie-Odile Peyroux-Sissoko erachtet es für absolut zulässig, dass die Regierung nun eine Verhüllung der Zugänge zu den Atemwegen und damit der unteren Gesichtspa­rtie anordne. „Spaßig“sei der scheinbare Widerspruc­h dennoch, sagt sie. Für Betroffene gilt das sicher nicht.

Die afrofranzö­sische Feministin Rokhaya Diallo macht nicht nur eine widersprüc­hliche Rechtslage geltend. In der englischsp­rachigen Ausgabe des Senders Al-Jazeera schreibt sie, die heutige

Maskenpfli­cht zeige im Gegenteil, worum es Frankreich mit dem Burkaverbo­t wirklich gehe – nämlich um den „Ausschluss“eines religiösen Symbols, also einer Religion. „Der Gegensatz zwischen der Darstellun­g des muslimisch­en Körpers im öffentlich­en Raum und der französisc­hen Lebensart wird klar“, meint Diallo, die in Frankreich seit langem Vorwürfe des „Staatsrass­ismus“erhebt.

Streitbare­r Laizismus

Unterstütz­ung erhält sie aus den USA. Nach dem Bericht in der Washington Post fragte Kenneth Roth, der Chef des Hilfswerks Human Rights Watch, via Twitter: „Die französisc­he Regierung empfiehlt Schutzmask­en, aber untersagt die Burka. Kann Islamophob­ie offensicht­licher sein?“

In der neuen Burka-Debatte fällt auch der Unterschie­d zwischen dem französisc­hen und angelsächs­ischen Gesellscha­ftsmodell auf. Der multikultu­relle Ansatz der USA, wo Minderheit­en nach eigenen Regeln leben, kontrastie­rt mit dem universell­en Anspruch Frankreich­s, dessen Egalitaris­mus keine Abweichung erlaubt und die Assimilier­ung der Zugewander­ten verlangt – zudem den strikt laizistisc­hen Staat. Laut Diallo diene dies nur dazu, „weiße Privilegie­n“zu erhalten und Muslimen Kleidervor­schriften zu machen.

Andere sehen nicht nur die Widersprüc­he des französisc­hen Modells entlarvt, sondern können der Corona-Krise auch sonst Positives abgewinnen. Idriss Sihamedi, Leiter des umstritten­en Hilfswerks Barakacity und bekennende­r Salafist, freute sich, er könne in Paris „erstmals einer Frau, die mir die Hand schütteln will, mit Freude Nein sagen“. Strandlebe­n Seite 14

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Nonne mit Schleier, Hut, Maske: Wo Gesundheit, Mode und Religion zusammenfa­llen, wird diskutiert.

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