Trotzphase fordert Kinder und Eltern
Sie schreien und werfen sich auf den Boden: Die Trotzphase ist berüchtigt wie normal. Wie Eltern mit der Wutprobe ihrer Kinder umgehen.
Das Kind brüllt, weil es die Schokolade will, der Vater schwitzt, weil er genau weiß, dass ihn alle umstehenden Menschen anstarren.
Kommt das Kind in die gefürchtete Trotzphase, brauchen Eltern starke Nerven. Denn im Alter von ungefähr zwei Jahren entwickeln Kinder verstärkt den Wunsch nach mehr Selbstständigkeit. Sie verstehen, was es bedeutet, einen eigenen Willen zu haben und diesen auch durchzusetzen. Plötzlich kann ein einfacher Besuch im Supermarkt für Familien zur Zerreißprobe werden.
„Keine Sorge, so geht es den meisten Eltern irgendwann einmal“, sagt Kinderpsychotherapeutin Vivien Kain. „Das Autonomiestreben bei Kleinkindern ist eine wichtige Entwicklungsphase und deren Abschluss ein Meilenstein in der Persönlichkeitsentwicklung.“Um zu lernen, wie man seine Emotionen reguliert, sprich die eigenen Ziele in Einklang mit sozialen Anforderungen zu bringen, ist die Autonomiephase ein wichtiger Entwicklungsrahmen.
Ein Perspektivenwechsel
Streiten, ständiges Neinsagen, wenig Kooperationsbereitschaft, Verweigerung, Rückzug, Schreien, Strampeln, Beschimpfen, Schluchzen, Schlagen, Beißen, sich bis zur Bewusstlosigkeit ärgern – die Auswirkungen der Trotzphase sind bei jedem Kind unterschiedlich stark ausgeprägt. „Die Gefühlsintensität des Kindes hängt auch davon ab, wie laut oder deutlich es sein Gefühl kommunizieren muss, um in seiner subjektiven Wahrnehmung gesehen und gehört zu werden“, sagt Kain. Das Kind muss klar und deutlich erkennen, dass es wahrgenommen wird, indem Eltern etwa beschreiben, was sie beobachten: „Ich sehe, das macht dich wütend“oder „Ich merke, dass du traurig bist“. Außerdem sei es für Bezugspersonen wichtig, ruhig und in Kontakt mit den Kindern zu bleiben – in Form von Blickkontakt und Körperkontakt, etwa indem man die Hand des Kindes hält.
Kain empfiehlt Eltern, bei Trotzreaktionen immer wieder die Sichtweise des Kindes einzunehmen: „Für Kleinkinder fühlt es sich auf der einen Seite toll an, nicht mehr für alles Mama und Papa zu brauchen, sie sind jetzt immer öfter ihr eigener Chef, werden selbstständig. Auf der anderen Seite sind sie aber noch immer sehr bedürftig und abhängig.“Die Psychotherapeutin beschreibt eine konkrete Situation: „Der dreijährige Max möchte seine Schuhe selbst anziehen, die Mutter hat es aber schon eilig. Jedes Mal, wenn seine Mutter versucht, ihm seine Schuhe anzuziehen, schreit er laut: NEIN! Die Mutter sieht auf den ersten Blick nur das bockige Kleinkind, das seinen Willen durchsetzen will. In Wahrheit löst jedes Nein, das Max herausschreit, viel Unsicherheit in ihm aus. Auf dem Weg nach mehr gelebtem Willen hat das kleine Kind insgeheim Angst, bei zu viel Widerstand die Zuneigung der Eltern zu verlieren oder von den Eltern verlassen zu werden. Es begibt sich mit seinem Trotz in eine bedrohliche Situation, die laut Kain nur durch die Bezugsperson entschärft werden kann: „Selbst wenn das Kind die Fähigkeit hätte, es alleine zu schaffen, neigen wir als Eltern manchmal dazu, es dennoch zu verbieten, da es dadurch zu lange, zu anstrengend, zu dreckig werden würde. Dies führt zu Entmutigung, und die Antwort ist oft der Trotz. Je mehr das Kind das Gefühl erhält, dass sein Wunsch übergangen wird oder es vielleicht sogar bestraft wird, desto stärker verliert es sich im Widerstand und in der Auflehnung dieser Grenzen.“Stattdessen sollten Eltern in solchen Situationen auf das Kleinkind eingehen, erklären, warum man gerade wenig Zeit hat, und dann einen Kompromiss anbieten.
Schimpfen bringt nichts
Für Kinder unter drei Jahren sind Regeln oft schwer verständlich, denn sie können sich noch nicht in andere hineinversetzen. Kain weiß aber, dass bereits sehr kleine Kinder die emotionale Haltung der Eltern spüren: „Sie merken, wenn man ihnen Halt, Orientierung und Sicherheit in liebevoll gesetzten Grenzen gibt.“Dies sei vor allem darauf zurückzuführen, dass Kommunikation zu einem elementaren Teil nonverbal durch unsere Mimik, Gestik, Haltung und unseren Tonfall besteht.
Das Kind zu bestrafen, erachtet die Psychologin aber als kontraproduktiv. „Kinder sollen lernen dürfen, dass sie Aufgaben und Pflichten haben, weil es sie selber voranbringt, weil sie selber davon einen Nutzen haben. Wenn Kinder etwas nur aufgrund der gefürchteten Bestrafung oder in Hoffnung auf die Belohnung tun, verliert sich in ihnen das Gefühl der Handlungsfähigkeit, des eigenen Bestrebens nach Weiterentwicklung.“So könne eine Drohung wie etwa „Wenn du das Gemüse nicht isst, gehen wir nicht in den Park“dazu führen, dass ein Kind nie spürt, dass Gemüse gut schmeckt. Kinder würden irgendwann nur noch aus Angst vor der Bestrafung etwas tun oder nicht tun – nicht aus ihrem Selbstwillen heraus. Mit Belohnungen sei es ähnlich: „Am Ende des Tages ist es eine Bestechung, um Gutes zu tun. Dabei wollen Kinder von Natur aus Gutes tun.“