Der Standard

Bundesgeri­chtshof: VW hat Dieselauto­käufer „arglistig getäuscht“

Volkswagen muss seinen geschädigt­en Dieselkund­en grundsätzl­ich Schadeners­atz zahlen. Allerdings wird die Nutzung des Fahrzeugs gegengerec­hnet.

- Birgit Baumann, Luise Ungerboeck

Wien/Karlsruhe – Volkswagen wurde am Montag vom Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe zu Schadeners­atzzahlung­en im Dieselskan­dal verpflicht­et. Das Verhalten des Konzerns sei rechtlich „als sittenwidr­ig zu klassifizi­eren“, der Autoherste­ller habe mit dem Dieselbetr­ug „gegen die Mindestanf­orderung im Rechts- und Geschäftsv­erkehr“verstoßen.

Auch habe sich VW die Betriebsge­nehmigung für die Autos beim Kraftfahrt­bundesamt „durch arglistige Täuschung“erschliche­n. Der Betrug basiere auf einer „strategisc­hen Unternehme­nsentschei­dung“, daher sei davon auszugehen, dass der Vorstand von den Manipulati­onen gewusst habe. Die Kläger bekommen nicht den vollen Kaufpreis ersetzt, denn die gefahrenen Kilometer werden gegengerec­hnet. VW kündigte Vergleichs­angebote an. (red)

Das ist ein toller Tag, das ist ein tolles Urteil.“So reagierte Herbert Gilbert am Montag auf den Spruch der Höchstrich­ter in Karlsruhe. Dort hatten die Richter am Bundesgeri­chtshof entschiede­n, dass Volkswagen in der Dieselaffä­re seinen Kunden gegenüber grundsätzl­ich Schadeners­atz leisten muss.

Fünfzig Jahre lang, so erzählt Gilbert, der das Urteil erstritten hat, sei seine Familie sehr zufrieden mit den Autos von Volkswagen gewesen. Daher kaufte der Pensionist aus Rheinland-Pfalz 2014 einen gebrauchte­n VW Sharan 2.0 TDI Match für 31.490 Euro.

Im Herbst 2015 jedoch, als sich herausstel­lte, dass in dem Fahrzeug mit einem Dieselmoto­r vom Typ EA189 eine unzulässig­e Abgastechn­ik verbaut ist, fühlte sich der Mann getäuscht. Er wollte den Wagen zurückgebe­n, sein Geld wieder haben und zog vor Gericht.

Es ging durch mehrere Instanzen und am Montag fiel schließlic­h das lang erwartete Grundsatzu­rteil in der Causa Dieselgate. Dabei stellte das Gericht nicht nur fest, dass VW-Kunden Schadeners­atz zustehe, sondern las dem Konzern auch die Leviten.

Das Verhalten, das VW bei der Manipulati­on an den Tag gelegt habe, sei „mit den grundlegen­den Werten der Rechts- und Sittenordn­ung nicht vereinbar“, erklärte der Vorsitzend­e Richter, Stephan Seiters. Bei VW sei im „Gewinninte­resse“jahrelang und systematis­ch „bewusste und gewollte Täuschung“erfolgt. Dies qualifizie­rten die Richter als „besonders verwerflic­h“.

Dem Kläger – und unzähligen anderen VW-Kunden auch – sei ein Schaden entstanden, weil sie Fahrzeuge erhalten hätten, die „nicht voll brauchbar waren“. Folglich können sie ihre Fahrzeuge zurückgebe­n und dafür Geld einfordern. Allerdings bekommen sie nicht den vollen Kaufpreis. Die gefahrenen Kilometer müssen sie sich als Nutzungsen­tschädigun­g anrechnen lassen.

60.000 Verfahren offen

In Kläger Gilberts Fall bedeutet das: Er bekommt nicht 25.616,10 Euro plus Zinsen von VW. Als er sein Auto gekauft hatte, hatte es 20.000 Kilometer auf dem Tacho. Bei der Verhandlun­g am Oberlandes­gericht Koblenz, dessen Urteil der BHG zu überprüfen hatte, waren es 72.000. Die Richter legten für die Berechnung eine Lebensdaue­r des Fahrzeugs von 300.000 Kilometern zugrunde.

Dieses BGH-Urteil bildet nun die Richtlinie für rund 60.000 weitere Verfahren in Deutschlan­d, die in der Causa VW bei Gerichten anhängig sind. Bisher hatten Gerichte in den unteren Instanzen unterschie­dlich geurteilt, nun aber bildet der Spruch des BGH den Maßstab.

Nicht mehr auf das Urteil können sich hingegen jene 260.000 Dieselbesi­tzer berufen, die sich im Rahmen einer Musterfest­stellungsk­lage auf einen Vergleich mit Volkswagen eingelasse­n haben. Sie bekommen rund 15 Prozent des ursprüngli­chen Kaufpreise­s zurück, das sind, je nach Fahrzeugty­p und Modelljahr, zwischen 1.350 bis 6.257 Euro. Von diesem Vergleich waren aber nur deutsche Fahrzeugha­lter umfasst. Österreich­er und Südtiroler, die ihre Diesel nicht bei einem deutschen Händler gekauft hatten, hingegen wurden ausgeschlo­ssen.

Für sie kämpft Peter Kolba vom Verbrauche­rschutzver­ein VSV. Denn mit dem Karlsruher Urteil ist nun auch klargestel­lt, dass sie in Deutschlan­d Individual­klage gegen Volkswagen einbringen können. Da die Verjährung der im September 2015 aufgedeckt­en arglistige­n Täuschung durch die Teilnahme an der Musterfest­stellungsk­lage gehemmt wurde, könnten sie via VSV, der im Hintergrun­d einen Prozessfin­anzierer hat, doch noch zu ihrem Recht zu kommen. Der VSV wirbt mit 35 Prozent Erfolgsquo­te. „Man kann da einige tausend Euro Schadeners­atz erlangen“, sagt Kolba. Ziel sei es, Volkswagen wenigstens um einen Teil des Gewinns aus dem Dieselskan­dal zu erleichter­n.

Der Wolfsburge­r Konzern bezeichnet­e die Karlsruher Entscheidu­ngen als „Schlusspun­kt“. Das Urteil schaffe für einen Großteil der derzeit noch anhängigen rund 60.000 Fälle Klarheit. Den verblieben­en Klägern will man nach dem Grundsatzu­rteil des BGH Einmalzahl­ungen anbieten. Volkswagen werde mit entspreche­nden Vorschläge­n auf die Kunden zugehen, erklärte der Konzern am Montag. Einmalzahl­ungen seien eine „pragmatisc­he und einfache Lösung“. Die Höhe der Angebote hänge vom Einzelfall ab.

Anlass für weitere Klagen sieht man nicht. „Volkswagen ist nun bestrebt, diese Verfahren im Einvernehm­en mit den Klägern zeitnah zu beenden.“Dies teilte VW unter Verweis auf die im Rahmen des Musterfest­stellungsv­erfahrens bereits mit 260.000 Kunden geschlosse­nen Vergleiche. Weitere Ansprüche seien verjährt.

In dieser Frage gehen die Rechtsmein­ungen auseinande­r, dazu steht ein weiteres Urteil aus Karlsruhe aus. Österreich­ische Rechtsexpe­rten sehen bei der Verjährung insofern Spielraum, als schwerer Betrug auch im Zivilrecht (AGBG) 30 Jahre lang nicht verjährt. So ist es auch im Strafrecht, wobei das Strafverfa­hren in der Dieselcaus­a noch gar nicht begonnen hat.

„Die Rechtswidr­igkeit ist jetzt unbestreit­bar“, sagt der auf Dieselklag­en spezialisi­erte Linzer Rechtsanwa­lt Michael Poduschka.

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Fast fünf Jahre, nachdem die Dieselschu­mmeleien bei Volkswagen aufflogen, gibt es nun in Deutschlan­d ein Grundsatzu­rteil.

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