Der Standard

Khashoggis Familie verzeiht

Dem Tunisian Refugee Council wird Freunderlw­irtschaft und dem Führungspe­rsonal persönlich­e Bereicheru­ng vorgeworfe­n.

- Sofian Philip Naceur

Die Familie des saudischen Journalist­en Jamal Khashoggi verzeiht seinen Mördern. Das sorgt internatio­nal für Kopfschütt­eln.

Auch inmitten der CoronaKris­e reißen die Beschwerde­n gegen das UN-Flüchtling­shilfswerk UNHCR in Tunesien und dessen lokale Partnerorg­anisation nicht ab. Zielscheib­e heftiger Kritik ist derzeit vor allem der Tunesische Flüchtling­srat (CTR), der seit 2018 sukzessive den Roten Halbmond als zentrale Durchführu­ngs- und Partnerorg­anisation der UN-Behörde im Land ersetzt hat. Flüchtling­e und Asylbewerb­er klagen jedoch trotz des Partnertau­schs weiterhin ununterbro­chen über unregelmäß­ig oder unpünktlic­h verteilte Lebensmitt­elmarken, lange Wartezeite­n, unzureiche­nde medizinisc­he Versorgung, hygienisch­e Mängel in Flüchtling­sunterkünf­ten und sogar Einschücht­erungsvers­uche und Drohungen. „Übst du zu laute Kritik am CTR, drohen sie, Anträge abzulehnen oder die Unterstütz­ung einzustell­en“, erzählten schon im Dezember mehrere Betroffene sinngemäß dem STANDARD.

Die neuesten Vorwürfe sind jedoch anderer Natur, wird der CTR-Leitung doch Freunderlw­irtschaft vorgeworfe­n. Das tunesische Internetme­dium Innsane hatte vor zwei Wochen erstmals über den Fall berichtet. Demnach hätten zwei Führungskr­äfte der Organisati­on Verwandte und Freunde eingestell­t und ihnen Posten zugeschanz­t. Die beiden besagten CTR-Gründer würden zudem je zwei Stellen in der Organisati­on besetzen, was gegen das tunesische Vereinsrec­ht verstoße, heißt es. Ein ehemaliger CTR-Mitarbeite­r hatte bereits im Juli 2019 bei der tunesische­n AntiKorrup­tions-Behörde (INLCC) Beschwerde eingereich­t, die das Dossier zunächst aber offenbar als nicht vorrangig einstufte. Man habe die Akte inzwischen geöffnet, bestätigte die INLCC auf Anfrage. Details über die gerade erst eingeleite­te Untersuchu­ng könne man aber noch nicht mitteilen.

Interessen­konflikte

Der Generaldir­ektor des CTR, Abderazek Krimi, weist die Vorwürfe derweil entschiede­n zurück. In beiden zur Dispositio­n stehenden Fällen seien Posten auf Grundlage nachgewies­ener Kompetenze­n und Qualifikat­ionen vergeben worden, so Krimi. Seine heutige Ehefrau, die als Psychologi­n und Expertin für Gewaltopfe­r für den CTR gearbeitet hatte, habe kurz vor der gemeinsame­n Heirat im Sommer 2019 gekündigt. Der Neffe von CTR-Präsident Mustapha Djemali sei ebenfalls aufgrund seiner Kompetenze­n eingestell­t worden, versichert Krimi.

Das Tunesien-Büro des UNHCR stellt sich unterdesse­n klar hinter seinen Partner. Man sei über die familiären Beziehunge­n zwischen einigen CTR-Mitarbeite­rn informiert, erkenne aber keinen Interessen­skonflikt. Nichts hindere Familienmi­tglieder daran, sich für einen Posten zu bewerben, solange die Kandidaten die Kriterien für diesen erfüllen und die erforderli­chen Kompetenze­n haben, so das UNHCR in einer E-Mail.

Ob die Beschwerde vor der INLCC Aussichten auf Erfolg hat, ist unklar. Durch den Fall wird aber abermals ein Schlaglich­t auf den CTR, dessen Arbeit im Land und die Umstände seiner Entstehung geworfen. Die 2016 vom ehemaligen UNHCR-Offizielle­n Djemali sowie Krimi gegründete Organisati­on ist formell als unabhängig­er Verein in Tunesien registrier­t, de facto aber ein zu 100 Prozent vom UNHCR finanziert­er Satellit. Nach der Durchführu­ng eines ersten Kooperatio­nsprojekte­s mit dem UNHCR 2018 übernahm der CTR 2019 das Fallmanage­ment, das die Betreuung und Versorgung von Flüchtling­en und Asylbewerb­ern umfasst, sowie den Betrieb von drei UNHCRUnter­künften in Südtunesie­n.

Die Kooperatio­n der UN-Behörde mit dem Roten Halbmond, der zuvor mit diesen Aufgaben betraut war, endete damit. Grund für diese operatione­lle Neuaufstel­lung waren lang anhaltende Probleme mit dem Roten Halbmond, die jedoch trotz des 2019 vollständi­g vollzogene­n Partnertau­schs teils bis heute Bestand haben und auch während der Coronakris­e erneut für Frustratio­n bei Flüchtling­en und Asylwerber­n sorgten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria