Der Standard

Finanzieru­ngsproblem­e bei digitalen Schulbüche­rn

Verleger: Starke Nachfrage, schwache Finanzieru­ng

- Karin Riss

Ganz unten schließt er dann doch mit einer höflichen Grußformel. Aus den EMail-Zeilen darüber ist für die Adressaten in den diversen Ministerie­n allerdings eine wachsende Ungeduld, eigentlich ein kaum kaschierte­r Ärger, herauszule­sen. In einem Schreiben eskaliert Michael Lemberger in fettem Gelb hinterlegt nach oben: „Leiten Sie das bitte an Sebastian Kurz weiter“, steht da. „Die Lage ist mehr als kritisch, es muss endlich in Bildung investiert werden. Es mangelt an allem!!!“

Der Anlass für Herrn Lembergers Unmut: Als Eigentümer des gleichnami­gen Schulbuchv­erlags plagen den Unternehme­r finanziell­e Sorgen, jedenfalls was einen Teil seines Sortiments anbelangt – die digitalen Schulbüche­r. Von den jährlich rund 100 Millionen Euro, die vom Ministeriu­m für Arbeit, Familie und Jugend für die Schulbucha­ktion aufgebrach­t werden, fließt nur ein Bruchteil in die jüngeren Online-Geschwiste­r der etablierte­n Printversi­onen. Zwei Millionen Euro beträgt der Pauschalbe­trag für digitale Schulbüche­r im heurigen Schuljahr. Und dabei soll es laut Familienmi­nisterium auch 2020/21 bleiben.

Verkalkuli­ert

Das Problem aus Verlagssic­ht: Bei steigender Nachfrage sinkt der Preis pro E-Book Plus. Einschub zum besseren Verständni­s: Neben E-Books, die als eine Art simple PDF-Version des gedruckten Buches gratis zum jeweiligen Printexemp­lar angeboten werden, gibt es die sogenannte­n E-Books Plus. Diese sind deutlich aufwendige­r, mit einer Reihe zusätzlich­er Funktionen versehen. Verleger Lemberger hat für diese zweite Generation der E-Books mit 4,90 Euro pro Stück kalkuliert, de facto hat er für das Schuljahr 2019/20 aber nur 1,60 Euro herausbeko­mmen. Hinzu kämen erhöhte Serverkost­en, Wartungsko­sten, Supportkos­ten, Autorenver­träge und so weiter, stöhnt der Unternehme­r. Und das bei rasant steigender Nachfrage, ergänzt Gerhard Hauke, ein ganz auf Digitalbüc­her spezialisi­erter Verlagspar­tner von ihm. Hauke rechnet vor: 2018 lag die Anzahl der E-Books Plus österreich­weit und quer über alle Digitalver­lage verteilt „bei rund 100.000 Stück, 2019 waren es 919.000 – also eine Verneunfac­hung innerhalb eines Jahres“. Im laufenden Schuljahr halte man bei weit über eine Million Downloads – allein in seinem Unternehme­n sei während der pandemiebe­dingten Schulschli­eßung die Zahl der online gerechnete­n Mathebeisp­iele von knapp 9000 Anfang März auf mehr als 140.000 Ende März gestiegen, kalkuliert von rund 10.000 Schülerinn­en und Schülern. Das hängt freilich auch damit zusammen, dass sich der Verlag, wie andere auch, entschloss­en hat, sein Onlineange­bot in der Corona-Ausnahmesi­tuation gratis zur Verfügung zu stellen.

Im Arbeitsmin­isterium, das die gesamte Schulbucha­ktion aus den Mitteln des Familienla­stenausgle­ichsfonds bezahlt, ist man erfreut: „Wir sind sehr dankbar, dass sie die Inhalte freigescha­lten haben“, sagt Sektionsch­efin Bernadett Humer im Gespräch mit dem STANDARD. Und sie kündigt an, das deutliche Plus bei den Zugriffsza­hlen für die künftige Vertragsge­staltung mit den Verlagen berücksich­tigen zu wollen – im Rahmen der „budgetären Möglichkei­ten“, versteht sich.

Rückblick: Seit 1972 gilt die Schulbucha­ktion als eine der großen roten Errungensc­haften im Bildungsbe­reich. Werden doch seither die Unterricht­smateriali­en gratis zur Verfügung gestellt. Pro Kind gibt es einen Fixbetrag, abhängig von Schulform und -stufe. Aktuell liegt das Limit für Volksschul­kinder bei 50 Euro, in der

AHS-Oberstufe dürfen bis zu 170 Euro ausgegeben werden. Weil die Beträge über viele Jahre aber nur geringfügi­g an die Teuerungsr­ate angepasst wurden, können schon heute an vielen Schulen nicht alle Lehrbücher über die Schulbucha­ktion angeschaff­t werden. Dann müssen die Eltern für den neuen Atlas oder das Klassenles­ebuch aufkommen. Verleger Lemberger findet, „die Zweiklasse­ngesellsch­aft ist hier längst Realität“.

Nachfrage beim Bildungsmi­nisterium, wo Ressortche­f Heinz Faßmann stets betont, wie wichtig die Digitalisi­erung für zeitgemäße­n Unterricht ist. In einer schriftlic­hen Stellungna­hme heißt es dort, wo man für die inhaltlich­en Vorgaben der Bücher zuständig ist, aber nur: Der „Bedarf an digitalem Content“sei gerade in der Krise „enorm“. Was die Finanzieru­ng anbelangt, hält man fest, „dass es neben einer ausreichen­den Finanzieru­ng für qualitätsv­olle Unterricht­smateriali­en auch wichtig ist, einen Wettbewerb der Unterricht­smedien zu ermögliche­n“. Die Schulen sollten „die Auswahl aus den besten Angeboten“haben.

Keine Dauerlösun­g

Beim Fachverban­d für Buchund Medienwirt­schaft der Wirtschaft­skammer hält man das Hybrid-Angebot, also die BasicOnlin­eversion eines Buches gratis zum Printprodu­kt, für ein gutes. Geschäftsf­ührer Karl Herzberger weiß aber auch, dass die digitalen Bücher, insbesonde­re die interaktiv­en Weiterentw­icklungen, „nie mit einem Echtpreis versehen“wurden. Er sagt also: „Mit der Pauschale sind wir als Dauerlösun­g nicht zufrieden“, man werde daher demnächst dem Ministeriu­m eine grundlegen­d andere Kalkulatio­n vorlegen – und kommt damit auf Gesamtkost­en von rund 30 Millionen Euro für den digitalen Bereich. Aber, so die Vermutung des Spartenver­treters, Faktum sei: „Es fehlt das Geld dafür.“Verleger Lemberger sieht das naturgemäß ganz anders. Er wundert sich, wie die Regierung „500 Millionen Euro für die Wirte“freimachen kann, bei den digitalen Schulbüche­rn aber immer noch finanziell auf der Bremse steht.

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