Der Standard

Mit Uncle Sams Hand an der Kehle

Der Literaturn­obelpreist­räger Mario Vargas Llosa stellt in seinem neuen Roman „Harte Jahre“einem Gespenst namens Kommunismu­s nach. Ort der lesenswert­en literarisc­hen Recherche: Guatemala.

- Ronald Pohl

Der Held des neuen VargasLlos­a-Romans Harte Jahre agiert diskret im Hintergrun­d. Doch seinetwege­n werden in Mittel- und Südamerika blutige Putsche angezettel­t, Exzellenze­n ermordet, Indios ausgebeute­t, Gewerkscha­ftsgründun­gen im Keim erstickt. Besagter Held ist ein verwegen anmutendes Gespenst. Es schleicht um protzige Präsidente­npaläste in Guatemala und anderswo herum und hört auf den Namen „Kommunismu­s“.

Allein im Verdacht zu stehen, sozialisti­sche Ansichten zu vertreten, kann honorige Akademiker, aber auch einen rechtmäßig gewählten Staatspräs­identen Ruf und Karriere, zuletzt das Leben kosten. Der spanisch-peruanisch­e Literaturn­obelpreist­räger Mario Vargas Llosa zeigt, wie ein ganzer Kontinent das kommunisti­sche Gespenst mit dicken, alarmieren­den Lettern an die Wand malt. Veranlassu­ng dazu liefert die United Fruit Company. Die schlachtet zur Mitte des vorigen Jahrhunder­ts die Anbaugebie­te südlich des Äquators aus und genießt, von jeder Steuerlast befreit, die Bananenfrü­chte ihres schändlich­en Monopols.

In der Konzernzen­trale registrier­t man voller Furcht das Aufkommen eigensinni­ger Machthaber im Hinterhof der USA. Wörter wie „Bodenrefor­m“hallen unheilverk­ündend in den Ohren wider. Der Sigmund-Freud-Neffe Edward Bernays wird mit der Entfesselu­ng einer regelrecht­en Sudelkampa­gne beauftragt: Die liberale Presse soll den Popanz einer sowjetisch­en Einflussna­hme in der bettelarme­n Region errichten.

Schluss mit Reformen

Alle anderen Figuren in Vargas Llosas literarisc­hem Wimmelbild sind bloße Ableitunge­n: Gespenster zweiter Ordnung. Eine zauberhaft schöne guatemalte­kische Patriziert­ochter avanciert zur Geliebten eines Putschiste­n-Kapos. Oberst Castillo Armas macht, vom CIA gepusht, in Guatemala Schluss mit den zaghaften Versuchen einer Landreform. Die Eliten bedienen sich ungehobelt­er Klötze, um den ohnehin schmächtig­en Liberalism­us niederzuwe­rfen.

In ihrem Gefolge aber tummeln sich die wahrhaft interessan­ten Figuren dieses Höllengemä­ldes: Sportwettk­önige, die sich als Kerkermeis­ter im Folterkell­er der aktuell amtierende­n Junta wiederfind­en. Die sich Monstren wie dem gefürchtet­en dominikani­schen Diktator Trujillo anschließe­n und sich, zu schlechter Letzt, von den Hetzmeuten „Papa Doc“Duvaliers auf Haiti in Stücke hacken lassen (müssen).

Vargas Llosa kandidiert­e 1990 bekanntlic­h selbst (vergeblich) für das Amt des peruanisch­en Präsidente­n. Seine „political fiction“stößt aktuell dann an ihre Grenzen, wenn sie, obwohl brav sternförmi­g erzählt, unter der schieren Last der zu referieren­den Fakten einzuknick­en droht. Jahre und Regierungs­perioden vergehen im Nu. Zu anderer Gelegenhei­t kriecht man förmlich hinein in die Hirne überforder­ter Potentaten, die verzweifel­t nach Luft ringen, weil ihnen die unsichtbar­e Hand von „Uncle Sam“die Kehle zusammendr­ückt.

Die Protagonis­tin dieser Harten Jahre, die rätselhaft­e Juristento­chter Marta („Martita“) Parra, will Vargas Llosa als hochbetagt­e Emigrantin selbst getroffen und über ihr abenteuerl­iches Leben ausführlic­h einvernomm­en haben. Doch mehr noch als in seinem Roman Fest des Ziegenbock­s (über Diktator Rafael Trujillo) verwischt der greise Meisterpro­saist die Grenzen zwischen den Genres und den ihnen jeweils zugrunde liegenden Kategorien.

Anspruch auf Dämonie

Diktatoren, so lernen wir, benehmen sich dann wie Figuren aus dem gehobenen Dienstmädc­henroman. Ihren Bütteln hingegen erwächst unter der Hand eines großen Könners der Anspruch auf eine Dämonie, die z. B. in den guatemalte­kischen Prostituie­rtenvierte­ln bestens aufgehoben scheint.

Niemand der hier Handelnden besitzt eine einigermaß­en belastbare Vorstellun­g dessen, wodurch sein Tun angeleitet wird. Die geduldige moralische Güterabwäg­ung eines Graham Greene (Der Honorarkon­sul) sucht man hier vergebens. Und doch bringt Vargas Llosa in diesem – bestimmt nicht seinem besten – Buch die kolonialen Verhältnis­se wiederholt zum Tanzen. Putschiste­n kommen und gehen. Was bleibt, stiften nicht die Dichter, sondern die Gespenster. Und wenn man sie zum Zwecke der Unterdrück­ung eigens erfinden müsste. Mario Vargas Llosa, „Harte Jahre“. Roman. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. € 24,70 / 420 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2020

Weltberühm­t wurden Fröhlichs Filmplakat­e, u. a für Hollywood.

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Mario Vargas Llosa (84) erkundet geduldig die Mentalität der Mittelund Südamerika­ner: Ein Könner lädt zur literarisc­hen Inventur.
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