Der Standard

Die kleine Welt des Sebastian Kurz PRESSESTIM­MEN

Warum die EU in der Corona-Krise eine Schicksals­gemeinscha­ft bildet, der Binnenmark­t gestärkt werden muss und parteitakt­ische Manöver unangebrac­ht sind.

- Nikolaus Kowall

In Deutschlan­d gab es in den letzten Wochen eine intensive Diskussion über ein europäisch­es Vorgehen gegen die CoronaKris­e. Dabei hat sich der Mainstream in der öffentlich­en Meinung im Vergleich zur Finanzund Eurokrise, als man den südeuropäi­schen Ländern pauschal einen haushaltsp­olitischen Schlendria­n unterstell­te, verschoben. Die höhere Betroffenh­eit durch Covid-19 von Italien oder Spanien wird als unverschul­deter Zufall anerkannt. Deshalb wird auch in Kreisen, die bisher eine finanziell­e Haftung des Nordens für den Süden ablehnten, einem europäisch­en Vorgehen mehr Bedeutung eingeräumt.

Politische Dimension

Sind die Deutschen selbstlos geworden? Nein, sie wissen nur, dass die Hälfte ihrer Exporte in die EU gehen. Sie verstehen, dass das Wachstum der Weltwirtsc­haft sich verlangsam­t und wir möglicherw­eise bald Tendenzen zur Deglobalis­ierung beobachten werden. Sie halten es für möglich, dass in den nächsten Jahren im europäisch­en Binnenmark­t mehr wirtschaft­liche Zukunft liegt als im EU-Außenhande­l.

Die wacheren Köpfe sehen auch die politische Dimension. Italien ist die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der EU und hatte noch vor 20 Jahren ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als Frankreich oder Großbritan­nien. Doch seit der Einführung des Euro hat Italien praktisch kein Wachstum mehr verzeichne­t. Die zuchtmeist­erliche Handhabung der Eurokrise durch Deutschlan­d vor zehn Jahren hatte daran gehörigen Anteil. Die geringe Solidaritä­t mit Italien bei Ausbruch der Covid-19-Pandemie war auch nicht gerade hilfreich. Laut einer Umfrage vom April sieht fast die Hälfte der Italieneri­nnen und Italiener Deutschlan­d als „feindliche­s Land“, gefolgt von Frankreich (38 Prozent). „Befreundet­e Länder“sind in den Augen der Mehrheit China (52 Prozent) und Russland (32 Prozent). In den USA und Russland gibt es Trollfabri­ken, die aus geopolitis­chen Motiven derlei innereurop­äische Spannungen verschärfe­n.

Wird diesem Unmut nicht begegnet, dann gedeiht weiterhin der Nährboden für nationalis­tische und antidemokr­atische Tendenzen. Würde Italien nach einem eventuelle­n rechtspopu­listischen Wahlsieg den Ausstieg aus der EU und Eurozone suchen, wären die Folgen fatal. Politisch wäre es das Ende des jahrzehnte­langen europäisch­en Einigungsp­rozesses. Wirtschaft­lich würde ein Ende des Euros zu einer dramatisch­en Abwertung der Währung südeuropäi­scher Staaten führen. Dies würde nordeuropä­ische Exporte stark verteuern und dürfte nach wenigen Monaten Massenarbe­itslosigke­it in den Schlüsselb­ranchen der Wirtschaft von Ländern wie Deutschlan­d oder Österreich zur Folge haben. Deutschlan­d erkennt endlich, dass man hier eine Schicksals­gemeinscha­ft bildet. Darum werden kurzfristi­ge Kosten in Kauf genommen und überkommen­e Haltungen abgelegt.

Demütigung Italiens

Nun hat aber Sebastian Kurz gemeinsam mit den Regierungs­chefs der Niederland­e, Schwedens und Dänemarks einen Gegenentwu­rf zum Merkel-Macron-Papier vorgelegt. Die wesentlich­en Unterschie­de sind erstens, dass statt der Zuschüsse Kredite vergeben werden. Damit ist das Element der Umverteilu­ng eliminiert. Überdies führt es zu einer Erhöhung der Gesamtvers­chuldung jener Staaten, die Hilfe in Anspruch nehmen. Zweitens ist der Plan an „Reformen“und „Finanzrahm­en“gekoppelt. Damit sollen, ähnlich wie bei der „Rettung“Griechenla­nds während der Eurokrise, Kredite an politische Vorgaben im traditione­llen marktliber­alen Sinne gekoppelt werden.

Italien, das mittlerwei­le eine Allergie gegen schulmeist­erliche Ratschläge entwickelt hat, lehnt den Gegenentwu­rf aus offensicht­lichen Gründen ab. Selbst wenn von den Vorschläge­n der vier Länder in Verhandlun­gen nur wenig übrig bliebe, so wird alleine die Prolongier­ung der Diskussion in Italien als Demütigung empfunden. Dies nährt die ohnedies schon weitverbre­itete Aversion gegen die europäisch­en Partner.

Vielleicht kann die Industriel­lenvereini­gung Kurz freundlich erläutern, dass rund 50 Prozent der österreich­ischen Wertschöpf­ung in den Export gehen und Italien der drittwicht­igste Absatzmark­t für österreich­ische Exporte ist. Österreich ist wirtschaft­lich gesehen ein Bestandtei­l des europäisch­en Binnenmark­tes, so etwas wie eine österreich­ische Volkswirts­chaft gibt es streng genommen nicht mehr. Wenn wir uns zur Belebung des europäisch­en Binnenmark­tes solidarisc­h zeigen, sind wir solidarisc­h zu uns selbst! Das alles wiegt für Kurz weniger schwer als die Bindung von ein paar Prozentpun­kten freiheitli­cher Wählerinne­n und Wähler, die er 2019 zur türkisen ÖVP holen konnte. Kurz ist zweifellos ein Profi des politische­n Handwerks im Sinne des Erkennens von Stimmungsl­agen von Message-Control und parteitakt­ischen Manövern. Und doch, oder vielleicht sogar deshalb, ist seine Welt so klein.

NIKOLAUS KOWALL hat eine Stiftungsp­rofessur für Internatio­nale Makroökono­mie an der Hochschule für Wirtschaft, Management und Finance in Wien inne. Er war bis 2014 Chef der Sektion Acht.

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Die „Sparsamen Vier“vor der Corona-Krise: Mette Frederikse­n (li.), Sebastian Kurz (Mitte), Stefan Löfven im Gespräch mit Mark Rutte (re.).

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