Der Standard

Die feinen Antisemite­n

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Der frühere Diplomat Felix Klein, der seit rund zwei Jahren als Beauftragt­er der deutschen Bundesregi­erung für den Kampf gegen den Antisemiti­smus tätig ist, hat in einer Reihe von Interviews vor den hochgefähr­lichen Folgen der radikalisi­erten Demonstrat­ionen gegen die Corona-Maßnahmen gewarnt. Diese Proteste dienen auch als ein Sammelbeck­en für verschwöru­ngswütige Antisemite­n und Holocaust-Leugner. Im Internet und in Parolen auf Demos wird nicht nur die Maskenpfli­cht mit dem Tragen des Judenstern­s in der NS-Zeit verglichen: „Die Rede ist da von einer jüdischen Übernahme der Weltwirtsc­haft, jüdischen Gewinnen aus einem möglichen Impfstoff, von Israel entwickelt­en Biowaffen oder einem jüdischen Versuch, die Weltbevölk­erung zu reduzieren.“

Wenn man bedenkt, dass laut der Leipziger Autoritari­smusstudie ein Drittel der Deutschen und zwei Drittel der Anhänger rechter Parteien zu Verschwöru­ngsmentali­tät neigen, sind die Zahlen über die Zunahme der antisemiti­schen Straftaten um 13 Prozent auf rund 2000 in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr, also vor der Corona-Krise, sehr bedenklich. Angesichts der engagierte­n Arbeit des Bundesbeau­ftragten ist es erstaunlic­h, dass dieser Tage eine internatio­nale Kampagne seine Absetzung fordert. Warum? Klein hat sich dagegen ausgesproc­hen, dass der kamerunisc­he Politikwis­senschafte­r Achille Mbembe die Eröffnungs­rede der Ruhrtrienn­ale, eines internatio­nalen Kunstfeste­s, hält. Mbembe habe in mehreren Aufsätzen antisemiti­sche Klischees bedient, den Holocaust verharmlos­t, Israel dämonisier­t („sei schlimmer als das südafrikan­ische Apartheidr­egime“) und eine „globale Isolation“des ganzen Landes gefordert.

Die Kampagne für den kamerunisc­hen Postkoloni­alismusfor­scher verteidigt auch die von ihm unterstütz­te BDS-Bewegung („Boycott, Divestment, Sanctions“), die sich seit 15 Jahren weltweit für den wirtschaft­lichen, kulturelle­n und politische­n Boykott des Staates Israel einsetzt. Die Resolution­en des Deutschen Bundestage­s (Mai 2019) und des österreich­ischen Nationalra­tes (Februar 2020) haben die Boykottbew­egung als antisemiti­sch bezeichnet und ihre Förderung mit öffentlich­en Mitteln untersagt. Die Boykottauf­rufe erinnern sehr wohl an die Naziparole „Kauft nicht beim Juden!“, und die Störung von Veranstalt­ungen, bei der israelisch­e Künstler oder Wissenscha­fter auftreten, überschrei­tet die Grenzen des Tolerierba­ren.

Benjamin Netanjahu ist der erste amtierende Ministerpr­äsident Israels, dem wegen Betrugs, Untreue und Bestechlic­hkeit der Prozess gemacht wird. Ein erschütter­nder Vorgang, der zugleich wieder einmal beweist, dass Israel die einzige funktionie­rende liberale Demokratie, der einzige Rechtsstaa­t im Nahen Osten geblieben ist.

Die Kritik an Netanjahus Siedlungsp­olitik, auch an der angekündig­ten Annexion von rund einem Drittel des besetzten Westjordan­landes, ist berechtigt und darf nicht als antisemiti­sche Stimmungsm­ache abgestempe­lt werden. Sehr wohl muss jedoch nicht nur der Staat, sondern auch eine wachsame und mutige Zivilgesel­lschaft internatio­nal gegen den israelbezo­genen Judenhass und die feinen Antisemite­n des BDS und ihre Unterstütz­er auftreten.

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