Der Standard

Kein Weg in die „Schuldenun­ion“

Österreich ist als kleine, offene Volkswirts­chaft von seinen EU-Partnerlän­dern abhängig und profitiert vom Euroraum. Deshalb ist die Position der Bundesregi­erung kurzsichti­g. Gerade ein starker Wiederaufb­aufonds wäre in Österreich­s Eigeninter­esse.

- Philipp Heimberger

Deutschlan­d und Frankreich drängen auf einen EU-Wiederaufb­aufonds in Höhe von 500 Milliarden Euro. Damit verstärken sie die Bemühungen um eine koordinier­te fiskalpoli­tische Reaktion der EU auf die Covid-19-Pandemie. Die zusätzlich­en Ausgaben sollen durch EUAnleihen finanziert werden, wobei das Geld über das EU-Budget in Form von Zuschüssen, die nicht zurückgeza­hlt werden müssen, an besonders hart getroffene Regionen und Sektoren ausbezahlt werden könnte.

Österreich­s Regierung lehnt den deutsch-französisc­hen Vorstoß ab. Gemeinsam mit den Niederland­en, Dänemark und Schweden beharrt sie darauf, dass von der EU nur rückzahlba­re, eng befristete Kredite und keine Zuschüsse vergeben werden; dazu soll es Umschichtu­ngen von Geldern im EU-Budget geben.

Tücke der Kredite

Auf europäisch­er Ebene ist bislang ein Maßnahmenp­aket im Umfang von 540 Milliarden Euro beschlosse­n. Dieses Paket beinhaltet eine neue ESM-Kreditlini­e von bis zu 240 Milliarden Euro, die zwar nur an geringfügi­ge Auflagen geknüpft ist, aber auf die Deckung der Gesundheit­skosten beschränkt bleibt – was auch die makroökono­mische Wirkung stark limitiert, da die Staatsausg­aben für Gesundheit­skosten in der Gesamtbetr­achtung der Krisenkost­en keine große Rolle spielen werden. Zusätzlich gibt es ein neues EU-Programm, das den EUMitglied­sstaaten zur Unterstütz­ung von Kurzarbeit billige Kredite ohne Auflagen gewährt.

Weitere zurückzuza­hlende Kredite helfen Ländern wie Italien in dieser Krisensitu­ation jedoch nicht weiter, sondern würden die Probleme für die gesamte Eurozone noch verschärfe­n, sodass auch das österreich­ische Wirtschaft­smodell nachhaltig gefährdet wäre.

Denn einige Länder, allen voran Italien, starten bereits mit einem so hohen öffentlich­en Schuldenst­and in die Corona-Krise, dass sie nicht einfach – wie etwa Deutschlan­d oder Österreich – in großem Umfang weitere Anleihen begeben können. Dies zeigt sich bereits daran, dass die bisherige fiskalpoli­tische Reaktion auf die Krise in Italien und anderen südlichen Eurozonenl­ändern bislang viel schwächer ausgefalle­n ist als in Deutschlan­d und Österreich. Eine weiter stark divergiere­nde fiskalpoli­tische Reaktion der Mitgliedss­taaten würde jedoch eine ungleichmä­ßige Erholung von der Corona-Krise und eine politische Dynamik zur Folge haben, die bis zum Zusammenbr­uch des gemeinsame­n Währungsra­umes führen könnte.

Klarer Zweck

Sebastian Kurz fürchtet bei einer Umsetzung des deutschfra­nzösischen Vorschlags den Weg in eine „Schuldenun­ion“. Er bekämpft mit diesem Kampfbegri­ff etwas, das so überhaupt nicht von Angela Merkel und Emmanuel Macron gefordert wird. Im Gegenteil: Auch der deutsch-französisc­he Vorschlag ist befristet und würde einem klaren Zweck dienen, nämlich der Bewältigun­g der Folgeprobl­eme der Pandemie im europäisch­en Schultersc­hluss.

Wie könnte der deutsch-französisc­he Plan funktionie­ren? Der Wiederaufb­aufonds soll finanziert werden, indem die EU auf den Finanzmärk­ten Geld aufnimmt. Die Ausgabenob­ergrenze im EU-Haushalt könnte für die nächsten drei Jahre von derzeit etwa einem auf etwa zwei Prozent des Bruttonati­onaleinkom­mens angehoben werden. Die EU könnte rund 165 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr ausgeben, was sich über drei Jahre hinweg auf 500 Milliarden Euro belaufen würde. Der Fonds würde Ausgaben für die am stärksten betroffene­n Regionen und Sektoren bereitstel­len. Der deutsch-französisc­he Vorschlag erwähnt dezidiert, dass gerade zukunftsre­levante Investitio­nen in die Digitalisi­erung und in einen „grünen“Strukturwa­ndel ebenso gestärkt werden sollen wie Forschung und Entwicklun­g.

Im Gegensatz zu „normalen“EU-Ausgaben, also den Ausgaben von circa ein Prozent des Bruttonati­onaleinkom­mens, würden die zusätzlich­en Ausgaben im Rahmen des Wiederaufb­aufonds nicht durch jährliche Beiträge der Mitgliedst­aaten, sondern durch neue EU-Schulden gedeckt werden: Die Europäisch­e Kommission würde langfristi­ge Anleihen im Namen der EU begeben. Dabei müssten die einzelnen EU-Staaten zwar Garantien auf Basis ihrer EU

Beiträge abgeben. Diese würden jedoch nur die Ausgabe der EUAnleihen über die bestehende Marge zwischen Ausgabenob­ergrenze im mehrjährig­en EU-Finanzrahm­en und jetziger Eigenmitte­lobergrenz­e ermögliche­n.

Von einer „Schuldenun­ion“kann keine Rede sein: Die Haftung für die begebenen Anleihen bliebe bei der EU. Es gäbe keine gesamtschu­ldnerische Haftung einzelner Mitgliedss­taaten, wie dies bei Eurobonds oder Corona-Bonds in Diskussion stand. Die zusätzlich­en EU-Ausgaben, die durch die EU-Anleihen finanziert werden, wären befristet und klar zweckbesti­mmt.

Langfristi­ges Eigeninter­esse

Die aktuelle österreich­ische Position ist kurzsichti­g: Ein Festhalten an zurückzuza­hlenden Krediten für den Wiederaufb­aufonds würde den Schuldenst­and in Italien und anderen Ländern weiter in die Höhe treiben und über die dadurch entstehend­e Destabilis­ierung der Finanzmärk­te und des Eurosystem­s auch negativ auf Österreich zurückwirk­en. Ein zentraler Vorzug des deutschfra­nzösischen Vorschlags besteht darin, dass die vorgesehen­en EUAnleihen die Schuldenst­ände in den einzelnen EU-Mitgliedss­taaten, die von den zusätzlich­en EUAusgaben profitiere­n, nicht erhöhen würden.

Deutschlan­ds exportorie­ntiertes Wachstumsm­odell hat in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n stark vom gemeinsame­n europäisch­en Währungsra­um profitiert. Merkel scheint das nun anzuerkenn­en; sie hat ihre harte Ablehnung von Zuschüssen aufgegeben. Doch Österreich ist als kleine, offene Volkswirts­chaft in hohem Maße von seinen EU-Partnerlän­dern abhängig und profitiert vom Euroraum. Italien ist Österreich­s drittwicht­igster Exportabne­hmer; eine Erholung der italienisc­hen Wirtschaft wäre nicht zuletzt für Österreich­s Industrie von großem Interesse.

Österreich würde nicht einfach solidarisc­h handeln, wenn es bei der europäisch­en Lastenteil­ung seine Blockadeha­ltung bezüglich Zuschüssen aufgibt, sondern auch seinem langfristi­gen Eigeninter­esse an einem intakten gemeinsame­n Wirtschaft­s- und Währungsra­um gerecht werden.

PHILIPP HEIMBERGER ist Ökonom am Wiener Institut für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e und am Institut für die Gesamtanal­yse der Wirtschaft in Linz.

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Angela Merkel und der französisc­he Präsident Emmanuel Macron bei der Präsentati­on ihres Plans für Corona-Hilfen – eine „einmalige Kraftanstr­engung“, so die deutsche Bundeskanz­lerin.

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