Der Standard

EU-Wiederaufb­au auf Schulden

Corona-Krise zwingt Europa zur Finanzunio­n, das sollte man den Bürgern klar sagen

- Thomas Mayer

So schnell kann das gehen. Es ist noch keine zwanzig Monate her, als die Regierung in Rom gegen die EU mit scharfen Worten auffuhr: „Die Feinde Europas verschanze­n sich in Brüssel“, polterte der italienisc­he Vizepremie­rminister. Die Kommission­sspitze hatte es davor gewagt, die Budgetplän­e der italienisc­hen Regierung zurückzuwe­isen. Sie verstoße gegen Vorgaben gemeinsame­r Politik.

In vielen deutschen Medien rümpfte man die Nase über diese „Unverfrore­nheit“der Italiener, die eine neue Qualität erreicht habe, wie der Tagesspieg­el vermerkte. Die EU-Partner im Süden müssten nachbesser­n, meinte man in der Regierung in Berlin. Nicht nur dort machte man sich Sorgen ums EU-Budget nach den britischen Beitragsau­sfällen durch den Brexit.

Genau deswegen erklärten die „Frugalen Vier“, wie die Financial Times Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederland­e getauft hatte, weil sie ein Ansteigen ihrer Beiträge nicht hinnehmen wollten: Die EU müsse frugal – genügsam – sein, effiziente­r bei Agrar- und Regionalpo­litik, moderner.

All diese Auseinande­rsetzungen erscheinen heute wie Kinderkram. Der EU-Austritt der Briten ist vollzogen. Beim EU-Budgetrahm­en konnten sich die 27 Mitgliedsl­änder bisher noch immer nicht einigen. Aber über Europa und die Welt fegt eine wirtschaft­lich katastroph­ale Coronaviru­s-Krise hinweg, die völliges Umdenken erforderli­ch macht. In der EU wird finanz- und wirtschaft­spolitisch kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Was seit der Euroeinfüh­rung vor zwanzig Jahren scheinbar unumstößli­ch war, gilt plötzlich nicht mehr. Auch politisch.

Vizepremie­r in Rom ist nicht mehr der extrem rechte EUSkeptike­r Matteo Salvini von der Lega. „Sein“Premiermin­ister Giuseppe Conte ist nun voll des Lobes über Brüssel. Stattdesse­n empört sich Rom im Duett mit der Partei von Kanzlerin Angela Merkel – bisher budgetäre Zuchtmeist­erin der Eurozone – über eine „geizige“Viererband­e unter der rhetorisch­en Führung von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz.

So nannte es der außenpolit­ische Sprecher der CDU, Norbert Röttgen. Die Vier hatten es gewagt, den von Merkel und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron präsentier­ten „EU-Wiederaufb­auplan“infrage zu stellen. Die geplanten 500 Milliarden Euro dürften nur als Kredit an Corona-gefährdete Staaten wie Italien vergeben werden, nicht als Zuschüsse, wie das deutschfra­nzösische Duo forderte. Kurz betonte auch, dass das kein Einstieg in eine „Schuldenun­ion“sein dürfe.

Mit dieser „alten“Sichtweise liegt er daneben. Berlin hat zu Recht erkannt, dass diese Krise nicht nur Italien umzuwerfen vermag, sondern die gesamte EU zerreißen könnte. Die Kommission wird daher diese Woche ein Kombi-Konzept aus Budgetrahm­en und Wiederaufb­aufonds vorlegen, das einer Verdoppelu­ng der bisherigen EU-Mittel gleichkomm­t. Finanzieru­ngsgrundla­ge sind Anleihen, gemeinscha­ftliche Schulden. Die sollen über Jahrzehnte nicht durch höhere Beiträge der Staaten abgetragen werden, sondern durch neue „Eigenmitte­l“der EU, also Abgaben und Steuern.

Das macht ökonomisch Sinn. Die Nationalst­aaten können allein in der künftigen globalen Wirtschaft­swelt nach Corona nicht mehr bestehen. Das werden am Ende alle Regierunge­n einsehen müssen. Die EU geht in die nächste Phase der Integratio­n, eine echte Fiskalunio­n mit gemeinsame­r Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tik. Das sollte man den Bürgern klar sagen.

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