Neuer Zwist, alte Wunden
Rom gegen die „Sparsamen Vier“: Kurz vor Bekanntgabe der EU-Hilfspläne haben sich alle nicht zuletzt selbst unter Druck gesetzt. Kritisch bleibt die Stimmung in Italien: Nur 51 Prozent sind derzeit noch für den EU-Verbleib.
Den einen ist es schon wieder zu viel, die anderen wollen noch viel mehr. Während die Viererallianz aus Österreich, den Niederlanden, Dänemark und Schweden bereits jetzt zur Sparsamkeit ruft, reklamiert Italiens Premier Giuseppe Conte mehr Geld für Rom. Die Vorschläge der EU-Kommission, die heute, Mittwoch, endgültig vorgestellt werden (siehe unten), könnten nur „ein erster Schritt“sein, sagte er in der Vorwoche. Dieser sei zwar „mutig und bedeutend“, doch müssten dringend weitere folgen.
Die Debatte um das Geld aus Brüssel, sie handelt schon lange nicht mehr nur von der Verteilungsfrage, sie ist zu einem Krieg der Frames geworden, der politisch-taktischen Argumentationsmuster. Sie reißt auch alte Wunden wieder auf, die spätestens nach der Finanzkrise entstanden sind – von der wirtschaftlichen Praxis längst überholte Narrative der faulen, verschuldeten Mittelmeeranrainer und der sparsamen Nordeuropäer. Und es geht auch darum, in der Krise innenpolitische Härte zu demonstrieren.
Für Conte, dessen Land nach den aktuellen Plänen 90 bis 100 Milliarden Euro erhalten sollte, ist der Kommissionsvorschlag in dieser Hinsicht ein Gewinn: Seine Regierung aus den populistischen Fünf Sternen und den Sozialdemokraten hatte sich wochenlang dagegen gesträubt, Hilfskredite aus dem Europäischen Schutzmechanismus (ESM) entgegenzunehmen – vor allem aus innenpolitischer Angst, dies würde ihr als Schwäche ausgelegt werden. Genauso wie Spanien forderte man stattdessen Corona- oder Eurobonds. Der Wiederaufbaufonds – noch dazu, wenn er in Zuschüssen, nicht in Krediten ausbezahlt wird – kommt diesen Eurobonds nun technisch ziemlich nahe.
Geld und schwarze Löcher
Das gilt jedenfalls dann, wenn sich die „Sparsamen Vier“in Wien, Den Haag, Helsinki und Kopenhagen nicht doch noch vollständig mit ihrem Vorhaben durchsetzen, statt Förderungen Kredite zu nutzen. Auch sie stehen innenpolitisch unter Druck, auch sie werden sich schwertun, öffentlich ein Nachgeben zu begründen. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil Brüssel ihren Bevölkerungen in Medien seit Jahren als schwarzes Loch präsentiert wird, das hartverdiente Steuergelder auf Nimmerwiedersehen einsaugt.
Das ist freilich nichts gegen die Sorge – auch um den Fortbestand der Union –, die Umfragen aus Italien auslösen. Mitte April gaben 83 Prozent der Befragten in einer italienischen Umfrage an, die EUReaktion auf die Krise sei ungenügend – 20 Punkte mehr als drei Wochen davor. Ein wichtiger
Grund für diese Wahrnehmung war die Ablehnung der CoronaBonds. Zudem ergab eine Befragung des Instituts Tecnè, nur 51 zu 49 Prozent würden sich für einen EU-Verbleib Italiens aussprechen.
Hintergrund solcher Zahlen mag die akute Enttäuschung sein – aber auch die jahrelange Arbeit des Chefs der rechtsextremen Lega, Matteo Salvini. Die Krise ist zwar nicht gut zu ihm, seine Partei ist in Umfragen von über 30 auf 26 Prozent zurückgefallen. Aber seine grobschlächtige Propaganda gegen die „egoistische“und vom „deutschen Hegemon dominierte“Union hat schon vorher ihr Werk getan. Nichts wissen will Conte auch daher nun von Bedingungen für die Auszahlung. Zwar weiß der Jurist, dass die EU keine Zuschüsse verteilen kann, ohne zu schauen, wohin sie gehen. Aber er weiß auch, dass Salvini nichts sehnlicher hofft, als wieder auf die „Erbsenzähler in Brüssel“eindreschen zu können.
Was Italien konkret mit den Hilfen machen würde, hat die Regierung nicht explizit dargelegt. Ein Teil würde in das Gesundheitswesen fließen, oft spricht Conte von Digitalisierung und einer „green economy“. Dass sie wirksam investiert werden, müssen indes alle hoffen. Auch, bei aller Sparsamkeit, Wien. Vom Wohl des zweitgrößten Handelspartners ist man – Frames hin oder her – abhängig.