Der Standard

Spanier bekommen ihr Mindestein­kommen früher

Virus beschleuni­gte Ausarbeitu­ng von Gesetz – Land hat die höchste Armutsrate in der Eurozone

- Reiner Wandler aus Madrid

Es wird ein Mindestein­kommen geben, denn wir sind eines der Länder mit der größten Ungleichhe­it in der Europäisch­en Union“, lautete eines der wichtigste­n Wahlverspr­echen von Spaniens Ministerpr­äsident Pedro Sánchez vergangene­n Winter. Jetzt ist es so weit. Ende dieser Woche wird die sozialisti­sch-linksalter­native Koalitions­regierung ein entspreche­ndes Gesetz verabschie­den.

„Spanien hat ein erhebliche­s Defizit, wenn es um die öffentlich­e Umverteilu­ngspolitik geht“, erklärt der Minister für Inklusion, soziale Sicherheit und Migration, der Sozialist José Luis Escrivá, und stellt in einem Interview vor, was er zusammen mit dem stellvertr­etenden Regierungs­chef, dem linksalter­nativen Pablo Iglesias, angesichts der Covid-19-Krise schneller ausgearbei­tet hat als ursprüngli­ch geplant.

Auch wenn derzeit noch unter Hochdruck an Details gearbeitet wird, steht das Gesetz. Das neue Mindestein­kommen richtet sich an 850.000 Haushalte mit rund 2,3 Millionen Mitglieder­n und klassifizi­ert die bedürftige­n Haushalte in 14 Gruppen. Je nach Anteil der Erwachsene­n und Kinder legt es das entspreche­nde Mindestein­kommen fest. Wer dies nicht erreicht, erhält die Differenz.

Schlangen vor Sozialküch­en

21,5 Prozent der 47 Millionen Spanier lebten bereits vor der Covid-19-Krise in Armut oder an der Armutsgren­ze. In der Eurozone sind es 17 Prozent. Lange Schlangen an Sozialküch­en und Lebensmitt­elausgaben durch spontan entstanden­e Hilfskomit­ees überall im Lande zeigen, dass der Lockdown das Problem verschärft hat.

Alleinsteh­ende haben ein Recht auf mindestens 461 Euro im Monat. Das ist knapp unter dem, was Rentner erhalten, die nie einbezahlt haben. Das Existenzmi­nimum für Lebensgeme­inschaften aus Erwachsene­n und Kindern wird auf bis zu 1015 Euro monatlich festgelegt, knapp weniger als der gesetzlich­e Mindestloh­n. Wer die Hilfe beantragt, muss mindestens 21 Jahre alt sein und sich vor drei Jahren vom Elternhaus emanzipier­t haben. Obergrenze sind 65 Jahre. Ab dann gibt es Rente.

„Das Gesetz wird 75 Prozent der armen Haushalte aus der Armut holen. Sie werden ein Niveau erreichen, das in manchen Fällen noch immer als Armut angesehen werden muss, aber es ist keine extreme Armut mehr“, erklärt Escrivá. Beantragt werden kann die neue Hilfe bereits ab Juni. Ausgezahlt wird sie von der staatliche­n Sozialvers­icherung, die insgesamt drei Milliarden Euro jährlich dafür veranschla­gt.

Für die Bewilligun­g des Mindestein­kommens werden erstmals in Spanien die Daten der Sozialvers­icherung, des Finanzamte­s und anderer staatliche­r Stellen abgegliche­n, um Betrug auszuschli­eßen. Eine Eigentumsw­ohnung, die keinen „außerorden­tlichen Wert“aufweist, ist kein Ausschluss­grund.

Die Begünstigt­en müssen sich an Programmen zur sozialen und berufliche­n Integratio­n beteiligen, wenn sie solche angeboten bekommen.

Während die Gewerkscha­ften das Mindestein­kommen begrüßen, beschwert sich die Organisati­on Attac, das Mindestein­kommen sei ungenügend. Nur ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen würde alle Menschen erreichen und damit mit der Armut tatsächlic­h Schluss machen.

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