Prozess um Missbrauch an 109 Buben in Wels gestartet
Mediziner bekennt sich teilweise schuldig: „Übergriffe im Rahmen der sexuellen Aufklärung“
Linz – Schlank, weißes Haar, gepflegtes Auftreten. Augenscheinlich völlig ruhig nimmt der 57jährige Mediziner auf der Anklagebank im großen Schwurgerichtssaal am Landesgericht Wels Platz. Corona-bedingt trägt er ein Faceshield.
Mit Beginn der Ausführungen der Staatsanwaltschaft wird es dann aber rasch ungemütlich. Die Anklagebehörde legt dem Mediziner, der sich selbst mittlerweile von der Ärzteliste streichen ließ, den teils schweren sexuellen Missbrauch von insgesamt 109 Buben zur Last. 40 der mutmaßlichen Opfer waren laut Anklageschrift noch nicht einmal 14 Jahre alt. 30 Fälle sollen sich außerhalb der Ordination abgespielt haben, etwa im Haus des Mediziners. In drei Fällen haben die Buben laut Gutachten wesentliche gesundheitliche Folgen in Form von Anpassungsstörungen davongetragen.
In einigen Fällen geht es etwa um Untersuchungsmethoden, die laut einem Sachverständigen medizinisch nicht indiziert gewesen seien, in anderen um die Anleitung zur Masturbation. Wie der
Staatsanwalt ausführte, soll der Mann in seiner Privatordination viele Kinder behandelt haben, deren Eltern er kannte. Er habe aber auch spätere Opfer beim Aufklärungsunterricht kennengelernt, wo er angeboten habe, telefonisch für Fragen zur Verfügung zu stehen.
„Grenzüberschreitungen“
„Sex mit Kindern hat es nicht gegeben“, betonte hingegen der Verteidiger. Ebenso wenig Gewalt oder Zwang. Vielmehr gehe es um den Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses. Was die Masturbationen betreffe, sei sein Mandant schuldig, weitere Handlungen seien – auch wenn ein Gutachten anderes sagt – medizinisch indiziert gewesen. Die angeklagten schweren Missbrauchsdelikte sowie die Vorwürfe bezüglich Pornodrehs und Drogen seien aber falsch. Sein Mandant habe sich „ein bisschen als Aufklärungscoach gesehen“und sei bei rund 90 Prozent der Taten geständig, sagte der Anwalt, der von „Grenzüberschreitungen“sprach.
Der Angeklagte selbst bekannte sich dann „zu einem Großteil“schuldig. „Ich habe im Rahmen der sexuellen Aufklärung Übergriffe auf pubertierende Burschen begangen“, räumte er auch vor Gericht ein. Das Bild, das von ihm in den Medien gezeichnet werde, werde ihm aber nicht gerecht: „Ich bin nicht der Mensch, der da beschrieben wurde.“
Sein Mandant bereue die Taten, legte der Verteidiger nach. Der Prozess werde aber zeigen, dass er nicht pädophil sei. Damit wandte er sich gegen den Antrag der Staatsanwaltschaft, den Angeklagten zusätzlich zu einer Strafe – es drohen bis zu 15 Jahre Haft – in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen.
Die Mutter eines 15-Jährigen hatte vergangenes Jahr den Verdacht publik gemacht. Ihr Kind soll ab dem zwölften Lebensjahr mehrfach von dem Mediziner sexuell missbraucht worden sein. Die Opfer waren als Patienten intim untersucht worden. Der Verdächtige habe ihnen offenbar weisgemacht, die sexuellen Handlungen würden zu den Behandlungen dazugehören. Einigen Buben soll er kleine Geldgeschenke gemacht und sie in sein Haus am Attersee eingeladen haben.
Dokumentiert seien zudem 30 Fälle außerhalb der Ordination. Darunter auch ein Fall in einem Ferienhaus am Roten Meer in Ägypten, wo der angeklagte Mediziner einen Zwölfjährigen „behandelt“habe.
Ein Sachverständiger diagnostizierte bei dem Beschuldigten Pädophilie, die den „Grad einer schwerwiegenden psychischen Störung erreicht“habe.
Opfer als Privatbeteiligte
Die Aussagen der Opfer wurden für das Verfahren auf Video aufgezeichnet und sollen den Geschworenen im Laufe des Prozesses vorgespielt werden. Die Opfer werden beim Prozess von 13 Anwälten vertreten. Sie fordern zudem als Privatbeteiligtenvertreter Teilschmerzensgeld für die Opfer.
Das Schöffengericht wird voraussichtlich am 10. Juni ein Urteil sprechen. (mro/APA)