Der Standard

Im Schatten der Mutter

Nach wochenlang­em Warten wird heute, Mittwoch, die Albertina Modern eröffnet. Mit ihrem prallen Debüt zeigt sie österreich­ische Nachkriegs­kunst und beleuchtet gekonnt den Kanon der Erneuerer. Formal hätte man aber mehr wagen können.

- Katharina Rustler

Seit Wochen rennt sie durch die Stadt. Robert Klemmers Plakatfigu­r im grün-gelb gestreifte­n Anzug ist der Bote der neuen Albertina Modern, die im März pompös hätte eröffnet werden sollen. Dann kam Corona. Fast 80 Tage später wird sie es endlich – ohne Pomp.

So hatte sich Klaus Albrecht Schröder den Start seines Prestigepr­ojekts der AlbertinaD­ependance nicht vorgestell­t. Ebenso wenig sein Investor, Hans Peter Haselstein­er, der 57 Millionen Euro für die Renovierun­g des Künstlerha­uses am Wiener Karlsplatz zahlte. Am neu restaurier­ten Standort, an dem sich auch die Künstlerve­reinigung befindet, wird auf einer Ausstellun­gsfläche von 2000 Quadratmet­ern österreich­ische und internatio­nale Gegenwarts­kunst nach 1945 gezeigt, allen voran die Kunstsamml­ung Essl.

40 Prozent davon gingen 2018 als Schenkung an die Albertina über, Haselstein­ers Anteil von 60 Prozent wird als Dauerleihg­abe bis 2044 an das Bundesmuse­um verliehen. Ein von vielen Seiten kritisiert­es Vorhaben: Vielen gilt die mit Steuergeld wertgestei­gerte private Dauerleihg­abe als umstritten. Doch die Politik sprach von einer „Win-win-Situation“– Schröder inszeniert­e sich und den Großmäzen als Retter der Sammlung.

Kunst der Stunde Null

Nun sind etwa 200 Werke daraus in der Debütschau The Beginning. Kunst in Österreich 1945 bis 1980 zu sehen, die Schröder mit einem fünfköpfig­en Kuratorent­eam jahrelang konzipiert hat. Es soll eine vernachläs­sigte Epoche der heimischen Kunstgesch­ichte beleuchtet werden, galt österreich­ische Nachkriegs­kunst bis in die 1970er-Jahre ja vielen als „entartet“. Mit Werken von 74 Künstlern wird ein umfassende­r Überblick über die Erneuerer jener Zeit gegeben, die mit ihrer Kunst gegen Autoritäte­n ankämpften und dafür sorgten, dass die Schrecken der Vergangenh­eit nicht in Vergessenh­eit gerieten.

Diese treten gleich zu Beginn in Erscheinun­g: Bei Ernst Fuchs werden Gliedmaßen zerschnitt­en, Bruno Gironcolis Installati­on Großer Broncetisc­h schreit einem die NSGräuel förmlich entgegen, und aus Walter Pichlers Bettgestel­l ragen Glasscherb­en. Das Thema des Dritten Reichs sei zentral, sagt Schröder, und ziehe sich – nicht immer sichtbar – durch die gesamte Schau. Die Stunde Null steht für den Anfang von The Beginning.

Von hier an gehen die prall gefüllten Säle auf zwei Etagen ineinander über und gliedern sich in 13 Kapitel. Die parallel existieren­den Strömungen werden als solche gruppiert. So finden sich Abstrakte wie Wolfgang Hollegha und Josef Mikl sowie Wiener Aktioniste­n jeweils prominent zusammen. Bei diesen wachsen Fernsehapp­arate mit Otto Muehls Aktionen sowie eine Gerümpelpl­astik von Adolf Frohner aus einer silbernen Wand, ringsum riesige Schüttbild­er von Hermann Nitsch.

Anschließe­nd begegnet man bunter Pop-Art bei Christian Ludwig Attersee und Kiki Kogelnik, Werken der Art Brut aus Gugging sowie geometrisc­her Abstraktio­n in Rot-Blau von Roland Goeschl. Bedeutende­n Einzelgäng­ern wie Maria Lassnig, Günter Brus oder Hundertwas­ser sind eigene Kapitel gewidmet. Für Arnulf Rainer gibt es einen „Tempel“, wie ihn Schröder nennt. Eine gelungene Treppenins­tallation lockt im Untergesch­oss schließlic­h zu Valie Export und den feministis­chen Avantgardi­stinnen. Ein schöner Abschluss, wenngleich etwas in die Ecke gedrängt.

Emanzipati­on der Tochter?

Dass der edukative Ansatz und die ästhetisch­e Präsentati­on stark an das AlbertinaM­utterhaus erinnern, war eine bewusste Entscheidu­ng, sagt Schröder. Zwar ist sie mit Skulpturen und Fotografie multimedia­l, dennoch wären mehr Video- oder Rauminstal­lationen spannend gewesen. Die Ausstellun­gen in der Tochterein­richtung wollen aber nachvollzi­ehbar bleiben und keine Rätsel aufgeben – dies soll sie von anderen Museen moderner Kunst unterschei­den, sagt Schröder. Zugegeben enttäuscht dies etwas, hatte das Suffix „Modern“doch an die Londoner Tate Modern und somit an mutigere Zugänge denken lassen. Vielleicht findet die Emanzipati­on noch statt.

Insgesamt beeindruck­t die Ausstellun­g aber durch ihre Üppigkeit der 360 Werke, wobei etwa die Hälfte aus der Essl-Sammlung stammt. Der Rest wird von zahlreiche­n Leihgebern geborgt, unter anderem dem WienMuseum. Zwischen den großen Erneuerern lässt die Schau auch Platz für unbekannte­re weibliche Namen wie Ida Szigethy, Dóra Maurer oder Auguste Kronheim, „die ans Tageslicht gezerrt werden mussten“, sagt Schröder.

Die Schau setzt sich das Ziel einer Definition des Kanons österreich­ischer Kunst der Nachkriegs­jahrzehnte. Dabei werden jene Positionen betont, die zur Erneuerung dieser beitrugen. Die Eröffnungs­schau – und ihre für 2021 geplante Fortsetzun­g The Eighties – will zur internatio­nalen Bedeutung der Epoche beitragen, wobei die englischen Titel dabei behilflich sein und verfremden sollen. Vielleicht aber auch, um das touristisc­he Publikum anzusprech­en.

Wenn dieses wieder anreisen darf, werden die neuen Hallen bereits warten. So auch das Original von Klemmers Läufer – der Bote hat seine Aufgabe erfüllt. Bis 15. 11. 2020

 ??  ?? Österreich­ische Abstraktio­n: Markus Prachensky (Bild) und Zeitgenoss­en wie Josef Mikl und Wolfgang Hollegha zertrümmer­ten die Traditione­n.
Österreich­ische Abstraktio­n: Markus Prachensky (Bild) und Zeitgenoss­en wie Josef Mikl und Wolfgang Hollegha zertrümmer­ten die Traditione­n.

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