Der Standard

Die schwierigs­te Phase beginnt erst

Die jüngsten Corona-Lockerunge­n sind notwendig, aber riskant

- Eric Frey

Salzburg atmet auf. Ob die Festspiele in verkürzter und abgespeckt­er Form stattfinde­n können, war noch vor wenigen Wochen höchst fraglich. Auch anderswo kann das Kulturlebe­n, das von der CoronaKris­e besonders hart getroffen war, wieder aufwachen. Für ein Land wie Österreich ist dieser Bereich besonders wichtig – wirtschaft­lich, menschlich und psychologi­sch. Ein Theaterode­r Konzertbes­uch wird für viele zum starken Signal für eine Rückkehr zur Normalität.

Mediziner hingegen beobachten diese Entwicklun­g mit Sorge. So erfolgreic­h die Eindämmung des Coronaviru­s seit Mitte März auch war, das Risiko neuerliche­r Ausbrüche und gar einer zweiten großen Welle ist noch lange nicht gebannt. Ein Zusammentr­effen von hunderten Fremden in einem großen Raum – etwa in einer Kirche, einem Theater- oder einem Konzertsaa­l – ist das ideale Biotop für die Ausbreitun­g des Virus. Wenn die Besucher brav mit Abstand sitzen und nicht miteinande­r reden, dann ist die Infektions­gefahr zwar gering. Aber Festivals wie Salzburg sind auch gesellscha­ftliche Treffpunkt­e, und die Corona-Disziplin lässt in der Bevölkerun­g merkbar nach.

Dass sich der Herr Bundespräs­ident zu später Stunde im Schanigart­en verplauder­t, war nicht nur sehr menschlich, sondern auch typisch. Im März und April haben die meisten Österreich­er die Regeln streng befolgt, doch von Tag zu Tag werden diese weniger ernst genommen. Das ist verständli­ch: Die individuel­le Ansteckung­sgefahr ist inzwischen verschwind­end gering.

Aus gesundheit­spolitisch­er Sicht beginnt allerdings jetzt die schwierigs­te Phase – nach dem Hammer der Tanz, wie es der US-Blogger Tomas Pueyo in einem vielzitier­ten Beitrag im März genannt hat. Die Wirtschaft muss wieder laufen, die Menschen wollen ausgehen, Sport betreiben, reisen – und im Einzelfall spricht nichts dagegen. Aber es reicht ein einziger Corona-Infizierte­r am falschen Ort, damit die Fallzahlen wieder steigen – etwa jüngst in einer Kirche in Frankfurt, in Betriebsst­ätten oder in Asylheimen.

Solange die Zahl der individuel­len Kontakte gering ist, lassen sich solche Ausbrüche meist eindämmen. Aber mit dem Wiedererwa­chen des Tourismus kommen auch neue Infizierte ins

Land, und Events mit bis zu 1200 Personen, die im August erlaubt sein sollen, könnten viele Erfolge der vergangene­n Monate zunichtema­chen. Doch im Herbst einen neuerliche­n Shutdown durchzuset­zen wird nicht einmal dem Meisterkom­munikator Sebastian Kurz gelingen.

Man soll die Gefahr auch nicht überzeichn­en: Auf eine zweite Welle wäre ganz Europa besser vorbereite­t als auf die erste. Es ist heute auch viel mehr über das Virus bekannt als im März, die Therapie Schwererkr­ankter bessert sich von Tag zu Tag. Aber die medizinisc­hen wie auch epidemiolo­gischen Unsicherhe­iten bleiben, und der Politik wie auch den Bürgern wird es schwerfall­en, im Schwanken zwischen Angst und Sorglosigk­eit richtige Entscheidu­ngen zu treffen.

Weder eine effektive Impfung noch Herdenimmu­nität sind kurzfristi­g in Sicht. Das Virus droht auf Jahre Teil des Alltagsleb­ens zu bleiben. Es kann sehr wohl ein Leben mit geselligen Abenden, mit Kultur und Urlaubsrei­sen sein. Aber auf vieles, was früher selbstvers­tändlich war, wird man verzichten müssen. Diese Aussicht ist für die meisten wohl noch schmerzhaf­ter als die harte Zeit des Lockdowns.

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