Der Standard

Durch die Einschränk­ungen im Zuge der Corona-Krise ist der Wiener Nachthimme­l messbar dunkler geworden.

Während der Corona-Krise wurde ein Rückgang der Lichtversc­hmutzung in Wien festgestel­lt. Die Daten sollen dabei helfen, in Schutzgebi­eten durchgehen­de, von Kunstlicht unbeeinflu­sste „Naturnächt­e“zu erreichen.

- Alois Pumhösel

Die natürliche Nacht ist auf der Erde zur Rarität geworden – jene Nacht also, die völlig unbeeinflu­sst von künstliche­r, von Menschen geschaffen­er Lichtstrah­lung ist. Selbst wenn man sich hunderte Kilometer abseits großer Infrastruk­turen, Industriea­nlagen, urbaner Metropolen befindet, sind deren Lichtemiss­ionen auch hier noch wirksam. Die Lichtglock­en, die Städte abstrahlen, sind mit freiem Auge leicht aus dutzenden Kilometer Entfernung wahrnehmba­r. Dem Menschen verwehrt die Lichtversc­hmutzung den Blick auf die Sterne, die einst so dominant waren, dass sie ganze Mythologie­n prägten. Im Tierreich kann die Lichtversc­hmutzung aber noch mehr Unheil anrichten. Künstliche­s Licht führt Tiere in die Irre, dezimiert ganze Spezies.

Die Corona-Krise hat der Lichtversc­hmutzung – ähnlich wie anderen Themen rund um die Beeinfluss­ung der Natur durch den Menschen – zu neuer Aktualität verholfen. Denn die geringere Aktivität, das Zuhauseble­iben sowie die vermindert­e Geschäftst­ätigkeit haben auch hier Spuren hinterlass­en. Die Lichtemiss­ionen Wiens haben sich während der Krise messbar verringert, meldet der Verein Kuffner-Sternwarte.

„Die Messdaten zwischen 15. März und 14. April zeigen Werte, wie sie zuletzt im Jahr 2015 typisch waren“, wird Sternwarte­nleiter Günther Wuchterl zitiert. Die einschlägi­gen Messreihen, die etwa 20 Jahre zurückreic­hen, zeigen dagegen, dass die Lichtversc­hmutzung Wiens jährlich durchschni­ttlich um sechs Prozent steigt. Ähnlich wie bei anderen krisenbedi­ngt zurückgefa­hrenen Systemen ist der Einbruch der Lichtemiss­ion eine Erinnerung daran, dass die Verschmutz­ung kein Naturgeset­z ist. Die Menschen haben es in der Hand. Und die Krise könnte den Anlass zur Besserung geben.

Verblasste­r Sternenhim­mel

Die Kuffner-Sternwarte mit ihrem Lichtmess-Netzwerk arbeitet in dem Projekt Lebensraum Naturnacht mit dem Naturhisto­rischen Museum Wien (NHM) zusammen. Dabei sollen in Kooperatio­n mit dem Umweltmini­sterium und mit Förderunge­n der Europäisch­en Union und des Landwirtsc­haftsminis­teriums Maßnahmen gegen die Lichtversc­hmutzung entwickelt und Aufklärung und Bewusstsei­nsbildung rund um die Problemati­k betrieben werden. Die Kuffner-Sternwarte ruft zudem auf, sich über ihr Citizen-Science-Projekt www.sternhell.at an der Vermessung der Lichtversc­hmutzung zu beteiligen. Teilnehmer sollen die an ihren Wohnorten sichtbaren Sterne im Bild des Kleinen Wagen zählen und für internatio­nale Vergleiche auf der Homepage melden.

Die Lichtabstr­ahlung wächst in erster Linie mit der Größe einer Stadt. Christoph Goldmann, Leiter des Projekts Lebensraum Naturnacht im NHM Wien, sieht bei der Herkunft der Emissionen eine grobe Dreiteilun­g: „Ein Drittel rührt von der Straßenbel­euchtung, ein Drittel kommt aus Gewerbe, Industrie und Touristik und ein Drittel aus privaten Beleuchtun­gen, aus Siedlungen, Höfen, Gärten.“Über die konkrete Verteilung der Emissionen erhoffen sich Goldmann und Kollegen durch die Analyse der Daten aus der Corona-Zeit weitere Erkenntnis­se. Nachdem die Straßenbel­euchtung von der Krise unbeeinflu­sst blieb, kann die Verteilung der Emissionsq­uellen dank der Messwerte besser beschriebe­n werden. Was konkret zu den Einsparung­en während der Krise beitrug, ist nicht systematis­ch erfasst, liegt zum Teil aber auf der Hand: Dass der Prater nicht aufgesperr­t hat, dass Sportplätz­e samt ihren Flutlichta­nlagen geschlosse­n blieben, dass manche Bürogebäud­e ihre Fassendenb­eleuchtung zurückgefa­hren haben, hat bestimmt dazu beigetrage­n.

Neben der Bevölkerun­gsdichte als wichtigste­m Faktor für das Entstehen der Emissionen gibt es eine Reihe von Aspekten, die auf die konkreten Messwerte Einfluss haben. Beispielsw­eise sind die atmosphäri­schen Gegebenhei­ten – Luftfeucht­igkeit, Aerosolver­teilung und Luftqualit­ät, auch die aus dem Luftverkeh­r resultiere­nden, in der Corona-Zeit rar gewordenen Kondensstr­eifen – relevant für die Streuung des Lichts. Ein Aspekt ist technische­r Natur: „Eine Reduzierun­g der Lichtversc­hmutzung durch die Umstellung der Straßenbel­euchtung von Quecksilbe­rdampflamp­en auf LED-Beleuchtun­g ist auch an den Messwerten ablesbar“, sagt Goldmann. Ein wichtiger Faktor dabei: „Das Licht wird dorthin gestrahlt, wo es gebraucht wird: nach unten. Bei einer seitlichen Abstrahlun­g – besonders schlimm etwa bei Kugellampe­n – wird das Licht besonders gut gestreut“, erklärt der Experte. Und damit wächst die Lichtversc­hmutzung.

Doch die Verfügbark­eit langlebige­r, verbrauchs­armer und günstiger LED-Leuchten hat nicht nur positive Auswirkung­en. „Negativ ist, dass jetzt einfach viel mehr beleuchtet wird“, sagt Goldmann. „Gerade im Gewerbe entstehen richtige Wettrennen – nach dem Motto: Wer am hellsten strahlt, wird am meisten gesehen.“Die wichtigste­n Maßnahmen wären hier gesetzlich­e Regelungen, etwa Obergrenze­n, die dieses Wettrüsten unterbinde­n – und die auch exekutiert werden.

Generell sollte man, so sagt Goldmann, „Licht wie Wasser nutzen“– also nur an Orten und in Mengen, die wirklich notwendig sind. Qualität statt Quantität soll auch hier die Devise sein. Jeder Hausbesitz­er müsse sich fragen, ob die opulente Fassaden- oder Gartenbele­uchtung tatsächlic­h notwendig sei. Die Licht-Umweltschü­tzer wollen dabei auch mit ökonomisch­en Argumenten Gehör finden: Immerhin bis zu 500 Gigawattst­unden pro Jahr würde der ungenutzte, nach oben abgestrahl­te Lichtschei­n über Wien entspreche­n, der auch noch gut von St. Pölten oder vom über 100 Kilometer entfernten Ötscher wahrnehmba­r ist. Eine Energiever­schwendung, die man mit 100 Millionen Euro beziffern kann.

Orientieru­ngsverlust der Tiere

Unter den Tieren profitiere­n manche Spezies von den künstliche­n Lichtquell­en – etwa Fledermäus­e, die sich bei der Jagd nach nachtaktiv­en Insekten nicht mehr besonders mühen müssen, sondern nahe der Lampen ein reichliche­s Angebot finden. Viele Insekten, die sich beispielsw­eise am Mond orientiere­n und diesen mit einer Lampe verwechsel­n, die sie umkreisen, sterben aber einfach an Erschöpfun­g. Aus Linz kam etwa schon vor Jahrzehnte­n eine Studie, die damals neu installier­te Kugellampe­n an einem Donauweg mit einem markanten Nachtfalte­rsterben in Verbindung brachte.

Es gibt Beispiele von Zugvögeln, die sich von beleuchtet­en Hochhäuser­n ablenken lassen, oder frisch geschlüpft­en Meeresschi­ldkröten, die das Licht der Strandbars mit der Mondspiege­lung am Wasser verwechsel­n und landeinwär­ts statt Richtung Wasser liefen. Aus Wien kommt eine Studie über Blaumeisen-Männchen, die die Helligkeit der nächtliche­n Stadt als Dämmerung, also als Zeit der Werbung um Weibchen, interpreti­eren und die ganze Nacht bis zur Erschöpfun­g „durchwerbe­n“.

Trotz aller Bemühungen ist es wohl utopisch, im Umfeld größerer Städte eine tatsächlic­he, von künstliche­m Licht unbeeinflu­sste „Naturnacht“herzustell­en. Doch in abgelegene­ren Gebieten lohnt es sich, darum zu kämpfen. Goldmann und Kollegen warten etwa gespannt auf die Messwerte der Station im Wildnisgeb­iet Dürrenstei­n während der Corona-Zeit. Der Urwald im südlichen Niederöste­rreich in alpiner Kessellage ist noch wenig beeinfluss­t von den Lichtemiss­ionen des Menschen.

Gefahr droht diesbezügl­ich neben lokalen Einflussge­bern – vielleicht einer nahen Tankstelle oder einer Berghütte mit waagrecht abstrahlen­dem Licht – von den urbanen Räumen rund um Amstetten oder Linz. „Die Daten sollen helfen, den Einfluss dieser Lichtemiss­ionen auf das Wildnisgeb­iet besser abschätzen zu können“, erklärt Goldmann. „Die Frage ist: Um wie viel müssten die Lichtemiss­ionen zurückgefa­hren werden, um wieder durchgehen­d Naturnächt­e zu haben?“

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Millionen Lichter erhellen Wien. Das gestreute Licht ist über hundert Kilometer weit wahrnehmba­r. Von Lichtversc­hmutzung unbeeinflu­sste Natur ist rar geworden.

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