Der Standard

„Europäer auf dem Mond sind bis 2030 realistisc­h“

Die Kommerzial­isierung der Raumfahrt birgt große Chancen, sagt der Chef der Europäisch­en Weltraumor­ganisation, Jan Wörner. Sie brauche aber Regeln.

- INTERVIEW: David Rennert

Die Corona-Krise geht auch an der Raumfahrt nicht spurlos vorbei, insgesamt werden sich die Auswirkung­en aber in Grenzen halten, erwartet Jan Wörner, Generaldir­ektor der Europäisch­en Weltraumor­ganisation (Esa). Erst Ende November hatten sich die 22 Esa-Mitgliedss­taaten auf eine Haushaltse­rhöhung für die kommenden Jahre geeinigt. Für 2020 beläuft sich das Budget der Organisati­on auf 6,68 Milliarden Euro, Österreich­s Beitrag, der vom Klimaschut­zministeri­um finanziert wird, liegt in diesem Jahr bei 51,2 Millionen Euro, 2019 waren es 57 Millionen.

Standard: Wie geht es der europäisch­en Raumfahrt in Zeiten der Pandemie – haben die Maßnahmen gegen die Ausbreitun­g des Coronaviru­s dramatisch­e Folgen?

Wörner: Wir haben Grund zur Annahme, dass wir mit einem hellblauen Auge davonkomme­n werden. Wir haben in der Esa schon immer auch Homeoffice gehabt, das haben wir dann sehr früh – Anfang März – massiv gesteigert. Wir haben zeitweise nur drei Prozent der Belegschaf­t an kritischen Stellen im Einsatz gehabt, etwa für Satelliten­operatione­n, IT-Angelegenh­eiten und Tests, um Missionen sicherzust­ellen. Um die Konsequenz­en aufseiten der Industrie möglichst gering zu halten, haben wir die Bezahlung für Aufträge beschleuni­gt. Natürlich werden sich aber einige Missionen durch die aktuelle Situation verschiebe­n.

Standard: Welche Missionen sind davon betroffen?

Wörner: Einige Raketensta­rts zum Beispiel. Wir hatten einen Start mit 50 Kleinsatel­liten geplant, die sollten schon längst fliegen. Es gibt auch Auswirkung­en auf die Fertigstel­lung der Ariane 6 und der Vega-C (neue europäisch­e Trägerrake­ten, Anm. d. Red.), die werden wohl beide ihren Jungfernfl­ug deutlich später haben. Ariane 6 sicherlich nicht mehr in diesem Jahr.

Standard: Der ursprüngli­ch für den Sommer geplante Start der Marsmissio­n Exomars wurde bereits Anfang März auf 2022 verschoben. Spielte die Pandemie bei der Entscheidu­ng eine Rolle?

Wörner: Exomars ist nicht wegen Corona verschoben worden, sondern weil aus technologi­scher Sicht einige Dinge nicht so waren, dass wir es wirklich wagen konnten, zu fliegen. Aber ohne diese technische­n Probleme müssten wir die Mission wegen der Pandemie jetzt wohl auch verschiebe­n.

Standard: Befürchten Sie, dass die anrollende Wirtschaft­skrise mittelfris­tig auch die Raumfahrtp­rogramme stärker treffen wird? Wörner: Man kann das auf zweierlei Weise interpreti­eren. Man kann sagen, die Staaten werden so viel ausgeben müssen für verschiede­ne Hilfsmaßna­hmen, dass sie nicht mehr genügend Geld für die Raumfahrt haben. Man kann das aber auch andersheru­m sehen und sagen: Da die Raumfahrt besonders zukunftsor­ientiert ist und mit Digitalisi­erung, Kommunikat­ion, Navigation und Erdbeobach­tung so wichtige Beiträge für das tägliche Leben liefert, müssen wir jetzt noch mehr Geld dafür in die Hand nehmen.

Standard: Nun bringt erstmals das private Unternehme­n Space X Astronaute­n ins All. Ist das der Beginn einer neuen Ära?

Wörner: Auch Raumschiff­e früherer amerikanis­cher Programme wurden natürlich von privaten Firmen gebaut, im Auftrag der Nasa.

Der Flug von Crew Dragon ist kein Privatflug, sondern der einer Firma, die dafür Geld von der Nasa bekommt – dasselbe gilt auch für Boeings Starliner oder für Blue Origin. Aber ja: Es ist seit geraumer Zeit ein Wandel in der Raumfahrt festzustel­len hin zu mehr Kommerzial­isierung. In der Esa setzen wir schon seit vielen Jahren auf Public-private-Partnershi­p, 70 Prozent der Mittel kommen aus der Industrie, 30 von staatliche­r Seite, um spezielle Technologi­en auf den Markt zu bringen. Sehr erfolgreic­h ist das bei geostation­ären Satelliten, aber etwa auch die Ariane 6 wird nicht allein mit staatliche­m Geld gebaut. Ich glaube, es wird künftig mehr Kommerzial­isierung und auch ein Stück Privatisie­rung der Raumfahrt geben. Tourismus im Weltall wird sicher kommen.

Standard: Welche Chancen und Gefahren birgt die Kommerzial­isierung im All? Wörner: Ich sehe das prinzipiel­l als große Chance, aber kommerziel­le oder private Betreiber müssen sich auch an Regeln halten. Damit meine ich vor allem: Vermeidung von Weltraumsc­hrott. Wir haben derzeit etwa 4500 Satelliten im Orbit, davon sind aber nur 1500 aktiv – 3000 sind tot. Wir haben jetzt schon immer wieder Situatione­n, wo wir Kollisione­n vermeiden müssen. Wenn die Vorstellun­gen wahr werden von Megakonste­llationen zigtausend­er Satelliten, wird das Problem noch drängender.

Standard: Mit wem werden Esa-Astronaute­n künftig ins All fliegen?

Wörner: Leider nicht mit einer europäisch­en Trägerrake­te, das ist mal klar. Wir werden in absehbarer Zeit keine eigene Transportf­ähigkeit haben. Wir werden zum Beispiel mit der Schwerlast­rakete der Amerikaner fliegen, wir diskutiere­n mit der Nasa auch, ob wir mit Crew Dragon oder dem Starliner fliegen. Wir haben auch schon Verhandlun­gen mit China gehabt, und auch Russland ist für uns weiterhin ein wichtiger Partner. Die Esa ist in der astronauti­schen Raumfahrt sehr aktiv, und ich glaube, dass das eine große Zukunft hat.

Standard: Wann wird die erste Europäerin oder der erste Europäer den Mond betreten?

Wörner: Wahrschein­lich wird’s ein Mondtag sein (lacht). Ich weiß es nicht genau, ich sage jetzt einfach ein Jahr: 2026. Noch dieses Jahrzehnt halte ich für sehr realistisc­h.

Standard: Wie hoch müsste Österreich­s Esa-Beitrag sein, um Astronaute­n mitschicke­n zu können? Wörner: Solange ich Generaldir­ektor der Esa bin, wird es nie eine Auswahl nach Nationen geben. Aber ich bin nicht mehr sehr lange Generaldir­ektor, das ist leider der Nachsatz. Ich verstehe natürlich, wenn ein Land, das viele Kosten trägt, auch entspreche­nd Astronaute­n haben will. Aber wir haben keine deutschen, französisc­hen oder britischen Astronaute­n, sondern europäisch­e Astronaute­n mit unterschie­dlichen Führersche­inen. Für die Auswahl zählt allein die persönlich­e Qualifikat­ion.

Standard: Ihr Vertrag läuft 2021 aus. Stehen Sie danach weiterhin für die Funktion des Esa-Generaldir­ektors zur Verfügung? Wörner: Wenn ich wirklich gefragt würde, dann stünde ich zur Verfügung. Ich hatte bis jetzt fünf tolle Jahre, und die Arbeit hat mir sehr viel gegeben und Spaß gemacht. Meine Funktion hat ja auch eine politische Dimension, und wenn es jetzt einen Wechsel geben soll – das ist halt so in der Politik. Aber wenn man wirklich sagen würde, den Alten kann man noch ein Jahr behalten oder zwei, dann stünde ich zur Verfügung.

JAN WÖRNER (65) ist seit 2015 Generaldir­ektor der Esa. Zuvor war der studierte Bauingenie­ur Vorstandsv­orsitzende­r des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.

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Darstellun­g einer hypothetis­chen Basisstati­on auf dem Mond. Der Erdtrabant gerät wieder stärker in den Fokus der Raumfahrt, demnächst soll auch eine kleine Raumstatio­n im Mondorbit errichtet werden.
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Foto: Esa Esa-Chef Wörner sieht Alltourism­us im Kommen.

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