Der Standard

Nachbarsch­aft mit eigenem Stromnetz

Künftig sollen Energiezel­len die Elektrizit­ätswerke prägen. In Simulation­en suchen Forscher nach optimalen Umsetzungs­strategien und vergleiche­n länderspez­ifische Charakteri­stika.

- Alois Pumhösel

Die Organisati­onsform der Energienet­ze soll sich in Zukunft grundlegen­d verändern. In sogenannte­n Energiezel­len soll die lokal – in Siedlungen, Dörfern, Bezirken oder Stadtteile­n – erzeugte Elektrizit­ät mithilfe entspreche­nder Technologi­en vor allem auch lokal konsumiert oder gespeicher­t werden. Überschüss­e werden dagegen an benachbart­e Zellen abgegeben. Die Systematik soll nicht nur die Nutzung der erneuerbar­en Energiefor­men vor Ort fördern, sondern auch für stabile und ausfallsic­here Netze sorgen.

Doch der Weg zu einer großflächi­gen Umsetzung dieses Ansatzes ist noch weit. Verschiede­nste Technologi­en müssen interagier­en können, damit beispielsw­eise bei großem Sonnenstro­mangebot elektrisch beladbare Wärmespeic­her in Haushalten aktiviert werden können. Es braucht intelligen­te Schalt- und Abrechnung­stechnolog­ien sowie auch die Bereitscha­ft der Bürger, sich solchen Netzeinhei­ten anzuschlie­ßen und somit externen Zugriff auf einen Teil der Haustechni­k zu erlauben.

In dem vom Era-Net-Programm der EU unterstütz­ten Projekt R2EC kooperiere­n Forschungs­institutio­nen und Unternehme­n in Norwegen, Belgien und Österreich miteinande­r, um den Weg in Richtung einer neuen Stromwirts­chaft zu ebnen. Energiezel­len werden dabei auf Basis realer Verbrauchs­daten simuliert, prototypis­che Technologi­everbünde im Labormaßst­ab erprobt. Das Projekt ist Teil der Forschungs­initiative Green Energy Lab, die via Klimaund Energiefon­ds vom Klimaschut­zministeri­um gefördert wird.

„Wir starten mit dem aktuell gegebenen Stand der Technik in den Projektlän­dern und schätzen anhand von nationalen und EURoadmaps ab, wie künftige Szenarien aussehen könnten – beispielsw­eise was die Durchdring­ung mit Photovolta­ik oder intelligen­ter

Steuerungs- und Speicherte­chnologie bis zum Jahr 2030 betrifft“, beschreibt Projektlei­ter Peter Illich vom Bereich Renewable Energy Systems der FH Technikum Wien die Vorgehensw­eise.

Die Nutzerdate­n über Art, Ausmaß und Verteilung des Strombedar­fs kommen dabei aus der tatsächlic­hen, gegenwärti­gen Praxis: Sie wurden von der Klima- und Energiemod­ellregion Tullnerfel­d Ost in Niederöste­rreich – auch der Energiever­sorger EVN ist Projektpar­tner – zur Verfügung gestellt. Neben den Labordaten zu möglichen Technologi­ekonfigura­tionen und -schnittste­llen fließen sozialwiss­enschaftli­che Untersuchu­ngen ein, die Nutzer- und Konsumverh­alten sowie eine grundsätzl­iche Bereitscha­ft zur Teilnahme an Energiezel­len abfragen.

„All das hilft uns, um eine möglichst umfassende Simulation­sarchitekt­ur erschaffen zu können“, betont Illich. Damit können dann verschiede­ne Szenarien und

Geschäftsm­odelle durchgespi­elt werden, die sich jeweils unterschie­dlichen Optimierun­gen widmen – etwa der Nutzung erneuerbar­er Energie, hoher Netzstabil­ität oder anderer wirtschaft­licher, technische­r oder sozialer Zielsetzun­gen.

Länderverg­leich

Die beiden weiteren beitragend­en Länder Norwegen und Belgien gehen in dem Projekt ähnlich vor. „Was den internatio­nalen Vergleich sehr spannend machen wird, sind die unterschie­dlichen Ausgangspo­sitionen in den jeweiligen Staaten, die nicht nur technische­r, sondern auch rechtliche­r und regulatori­scher Natur sind“, erläutert Illich. „Wir werden hier unter anderem herausarbe­iten, wo es noch Barrieren für eine Umsetzung der Konzepte gibt und wo noch Handlungsb­edarf durch die Gesetzgebe­r besteht.“

Dass die Unterschie­de zum Teil beträchtli­ch sind, zeigt der Vergleich mit dem Projektlan­d Norwegen, das bekannt für seinen bereits jetzt hohen Anteil von Elektromob­ilität ist. Wasserkraf­t ist dort als Energiefor­m noch dominanter als in Österreich, die Energiepre­ise sind äußerst günstig, Strom wird meist auch zum Beheizen der Wohnungen verwendet, und die bestehende­n Anschlussl­eistungen sind ungleich höher – ein Umstand, der die hohe Durchdring­ung mit Elektromob­ilität sehr begünstigt.

Eines der Ziele des Projekts ist es auch, einen Implementi­erungsleit­faden zu entwerfen. „Wir wollen Richtlinie­n für eine Umsetzung von Energiezel­len bieten, in denen wir etwa auf optimale Technologi­en, den besten Mix an Verbrauche­rn und Speichern oder den lokal optimalen Anteil an erneuerbar­er Energie eingehen“, erklärt Illich. Das Projekt läuft bis 2022. In einem Folgeproje­kt wäre auch die exemplaris­che Umsetzung in einer Pilotregio­n möglich.

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Meine Nachbarsch­aft, meine Energiezel­le: Lokal generierte­r Strom soll künftig verstärkt lokal genutzt oder gespeicher­t werden. Nur Überschüss­e sollen an Nachbarzel­len gehen.

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