Über die Zustände in Österreichs Schlachthöfen
Die Corona-Krise offenbart menschenverachtende Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachthäusern. Ist die Welt in Österreich eine bessere? Ein Blick hinter die Kulissen der Branche.
Sie schlachten Rinder und Schweine im Akkord, verarbeiten Fleisch am Fließband, bis es ansehnlich zerlegt in Cellophan eingeschweißt oder Kisten gepackt im Handel landet. Für den Job pendeln sie vielfach hunderte Kilometer quer durch Europa und leben in Massenquartieren auf engstem Raum. Der ohnehin magere Lohn wird durch überteuerte Unterkünfte beschnitten. Unbezahlte Überstunden und falsche Abrechnungen haben im intransparenten Netzwerk der zahlreichen Subfirmen System.
Die prekären Arbeitsbedingungen der deutschen Fleischindustrie stoßen Gewerkschaftern seit Jahren bitter auf. Die Regierung blieb tatenlos. Bis die CoronaKrise den Blick auf die Branche lenkte. In den Schlachtbetrieben häuften sich nämlich Infektionen mit Covid-19, seither gehen in der Politik die Wogen hoch.
Von moderner Sklaverei ist die Rede, von schockierenden und menschenverachtenden Zuständen. Das Bundeskabinett will nun in der Fleischindustrie per Jahreswechsel Werkverträge und Leiharbeit verbieten. Auch Debatten über billige Lebensmittel sind neu entflammt: Vielerorts ertönt der Ruf nach Mindestpreisen und höheren Steuern für Fleisch.
Welche Folgen haben die Turbulenzen für Österreich? Wer profitiert hierzulande von der Ausbeutung in Deutschland? Und unter welchen Bedingungen arbeiten Osteuropäer in hiesigen Schlachthöfen? Die Antworten fallen divers aus.
Deutlich höhere Lohnkosten
Norbert Marcher verarbeitet mit 1800 Mitarbeitern jährlich rund eine Million Schweine und 130.000 Rinder. Sein Betrieb ist mit fünf Schlachthöfen in Österreich der größte der Branche. Für ihn liegen zwischen der Situation in den zwei Ländern Welten. In Deutschland beträgt der Mindestlohn für Fleischer nur knapp mehr als neun Euro pro Stunde, rechnet er vor. Pflicht zum 13. und 14. Gehalt gibt es wegen fehlender Tarifverträge keine. In Österreich sind alle Fleischer nach dem Kollektivvertrag zu bezahlen. Inklusive der Sonderzahlungen gilt ein Mindestlohn von fast 15 Euro. „Unsere Lohnkosten sind damit um 58 Prozent höher.“
Wie in Deutschland lagern auch einzelne österreichische Schlachthöfe Mitarbeiter an Subfirmen aus. Diese Praxis sei aber unüblich, sagt Marcher. Er selbst beschäftige keine Wanderarbeiter. Die meisten seiner langjährigen Arbeiter seien ungarische und kroatische Wochenendpendler. Sie bewohnten betriebseigene Wohnungen, die regelmäßig von Putzpersonal gereinigt würden. Maximal vier Personen teilten sich eine Unterkunft. Er selbst verdiene an den Quartieren nicht. Auch Klaus Grandits, der primär Rinder schlachtet, arbeitet, wie er sagt, ausschließlich mit seinem eigenen Personal. Viele seiner 200 Leute pendelten täglich aus Ungarn. Quartiere biete er selbst keine, helfe aber bei der Suche. Private verlangten dafür monatlich etwa 200 Euro.
Marcher und Grandits zählen neben Alpenrind, Steirerfleisch und Großfurtner zu den größten der 200 Schlachtbetriebe. Der Umsatz der gesamten österreichischen Fleischindustrie wiegt mit drei Milliarden Euro aber nicht mehr als jener einzelner deutscher Branchenriesen. Dass die mächtige Konkurrenz nun dazu gezwungen ist, Missstände bei Entlohnung, sozialer Absicherung und Unterkünften zu beseitigen, halten sie für überfällig. Viel zu lang sei der Markt dadurch schon verzerrt worden, zieht Anka Lorencz, Chefin der Bundesinnung des Lebensmittelgewerbes der Wirtschaftskammer, Bilanz. „Zustände, wie sie sich in Deutschland abspielen, sind eines Europas des 21. Jahrhunderts unwürdig.“
„Heimreise mit 900 Euro“
Erwin Kinslechner wirft Österreichs Fleischindustrie nicht in einen Topf mit der deutschen. Von einer heilen Welt ist die Branche mit ihren 12.000 Beschäftigten aus seiner Sicht aber auch hierzulande weit entfernt. Der Gewerkschafter erzählt von desolaten Wohneinheiten, mit denen sich Arbeitgeber ein steuerlich gut absetzbares Körberlgeld verdienten, und von falsch abgerechneten Überstunden. Viele Arbeiter verdienten monatlich nur 1200 Euro netto, abzüglich des Quartiers blieben ihnen gerade einmal 900 Euro. „Wer sich wehrt, riskiert seinen Job.“Das gelte häufig auch für jene, die versuchten, einen Betriebsrat zu gründen.
Lorencz spricht von nur wenigen Fällen von Missbrauch, die jedoch allesamt zur Anzeige gebracht wurden. „Wir haben hier null Toleranz.“
Dorn im Auge ist Kinslechner, dass Schlachthäuser historisch bedingt dem Gewerbe zugeordnet sind: Ihre wöchentliche Arbeitszeit ist damit um eineinhalb Stunden länger als jene der Industrie. Auch lasse es die Branche nach wie vor nicht zu, Umkleidezeit als Arbeitszeit zu verbuchen.
„Wie kann es sein, dass sich Ausbeutung rechnet?“, fragt Sebastian Bohrn Mena, Initiator des Tierschutzvolksbegehrens. Er erinnert daran, dass internationales Billigfleisch über Gastronomie und Großhandel auch auf Österreichs Tellern landet. „Wir treiben die Nachfrage mit an.“Österreich kaufe es überdies mit Steuergeld für öffentliche Küchen, für Schulen etwa und Spitäler, ein. „Wir dürfen keine Verklärung unseres Landes als Feinkostladen betreiben.“