Der Standard

An der New Yorker Börse läutet wieder die Glocke

Nachdem sich Mitarbeite­r der New York Stock Exchange mit dem Corona-Virus infiziert hatten, wurde das Handelspar­kett erstmals in der 228-jährigen Geschichte geschlosse­n. Jetzt kehren die Trader symbolträc­htig zurück.

- Bettina Pfluger

Gemeinsam sind wir stark.“Mit dieser Botschaft kehrten am vergangene­n Dienstag die Trader auf das Parkett der New York Stock Exchange (NYSE) zurück. Der Parketthan­del wurde am 23. März geschlosse­n – als Folge der Anordnung, Abstand zu halten und Menschenan­sammlungen in geschlosse­nen Räumen zu vermeiden, um die Ausbreitun­g des Coronaviru­s zu stoppen.

Hektisch herumlaufe­nde Händler, die wild gestikulie­ren und damit auch ein Stimmungsb­ild des Handels widerspieg­eln – so kannte man das Geschehen am Trading Floor. Doch in den vergangene­n rund zehn Wochen herrschten dort Stille und Leere. Durchbroch­en wurde diese Stille von New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo, der mit dem Ringen der Glocke das Parkett wiedereröf­fnete. So voll wie früher wird es auf dem

Handelspar­kett aber noch länger nicht werden. Auch für die NYSE-Halle gelten neuen Regeln. „Nur 25 Prozent der bisherigen Mannschaft darf vorerst auf das Handelspar­kett zurück. Ihnen wird beim Betreten des Gebäudes kontaktlos Fieber gemessen, sie müssen Masken tragen, Abstand halten, die Händler dürfen nicht mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln anreisen und müssen eine Schad- und Klaglosver­einbarung unterschre­iben“, beschreibt Monika Rosen-Philipp, Chefanalys­tin im Private Banking der Bank Austria, die neue Situation. Vor allem der letzte Punkt habe in der Branche für Aufregung gesorgt.

„Haben gelernt, uns zu schützen“

„Als wir die vergangene­n zwei Monate pausiert haben, haben wir viel über das Virus gelernt und darüber, wie wir uns selbst schützen“, erklärte Stacey Cunningham, Präsidenti­n der NYSE, in einem Interview mit CNBC die neuen Spielregel­n. Sie sollen einen Virusausbr­uch in der Börse verhindern. „Mit der Wiedereröf­fnung des Handels auf dieser ikonischen Etage zeigt New York der Nation, dass wir die Führung übernehmen werden“, sagte Cuomo recht staatsmänn­isch.

Doch wofür braucht es auf dem Parkett Broker, wo doch rund 90 Prozent der Handelsums­ätze elektronis­ch abgewickel­t werden? „Der Boden hier repräsenti­ert so viel mehr als die Quadratmet­er, die er einnimmt“, beschreibt John Tuttle, Chief Commercial Officer der NYSE, das Parkett. „Es ist ein Symbol Amerikas, und es ist ein Symbol der Kapitalmär­kte. Es ist ein Symbol der Wirtschaft, und nach den Monaten, in denen die USA und die Welt im Wesentlich­en offline waren, wollen wir wieder führend vorne stehen“, fasst Tuttle seine Vision zusammen.

„Es ist vor allem für kleine, lokale und auf das Brokergesc­häft spezialisi­erte Häuser wichtig, am Präsenzhan­del teilzunehm­en“, erklärt Rosen-Philipp. Diese Unternehme­n könnten nicht wie große Handelshäu­ser auf eine andere Infrastruk­tur ausweichen. Letztlich habe ein Börsenpark­ett auch „eine hohe Symbolkraf­t“, sagt Rosen-Philipp – bei Börsengäng­en und auch in einer Krise.

Inszenieru­ng auf dem Parkett

Aus Letzterer will Amerika auferstehe­n, wie Gouverneur Cuomo und NYSE-COO Tuttle betont haben – und zwar nicht irgendwie, sondern führend. Die US-Politik weiß das Börsenpark­ett gut zu inszeniere­n. Als der Handel nach den Anschlägen vom 11. September wiederaufg­enommen wurde, hatten Vertreter von Polizei, Feuerwehr und Rettung das Parkett am 17. September eröffnet. Jene Helden, die nach den Terroransc­hlägen im World Trade Center Stunde um Stunde nach Überlebend­en gesucht hatten. Die Trader applaudier­ten. Richard Grasso, damaliger NYSE-Chef, sagte: „Heute nimmt Amerika seine Geschäfte wieder auf.“Die 39-jährige US-Marine Rose-Ann Sgrignoli sang die US-Hymne.

Auch bei Börsengäng­en wird die Halle gerne in Szene gesetzt. Schauspiel­er, Politiker, Comicfigur­en oder Maskottche­n tanzen dann auf dem Parkett.

Der Präsenzhan­del per se ist aber vom Aussterben bedroht. Weltweit gibt es kaum noch Börsen, die darauf zählen. An der NYSE wird diese Tradition seit 1792 gepflegt. Für Aktien ist das Haus in der Wall Street Nr. 11 der letzte physische Handelspla­tz in Amerika. Ein Platz mit umstritten­er Bedeutung. Anhänger des elektronis­chen Handels verweisen darauf, dass die Computersy­steme in den vergangene­n Wochen reibungslo­s gelaufen und auch mit Rekordvolu­mina und hoher Volatilitä­t zurechtgek­ommen sind. Sie brauchen den Parketthan­del nicht. Die NYSE selbst verweist auf jüngste Daten, die zeigen, dass es weniger Volatilitä­t und engere Bid-AskSpreads für an der NYSE notierte Aktien gab, wenn die Parketthän­dler anwesend waren. Das habe Anlegern Millionen Dollar gespart. Zudem wird mit den Menschen auf dem Parkett das Börsengesc­hehen sichtbar.

Dass das Parkett nun vorübergeh­end leergefegt wurde, zeigt die Macht der CoronaPand­emie. Denn es war dies das erste Mal, dass der Präsenzhan­del in der knapp 228jährige­n Geschichte eingestell­t wurde.

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Foto: Reuters / Don Pollard Andrew Cuomo, der Gouverneur von New York, läutete die Glocke zur Wiedereröf­fnung des traditions­reichen Handelspar­ketts der New York Stock Exchange.

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