Der Standard

Das Coronaviru­s trifft zielsicher die Benachteil­igten

Wanderarbe­iter, Flüchtling­e und Angehörige von Minderheit­en – Das Virus zeigt vielfach auch Diskrimini­erung auf

- Manuel Escher, Anna Sawerthal

Ganz am Anfang, im Februar und März, schien es, Corona sei eine Krankheit der Reichen. Schauspiel­er, Bosse und Royals gaben nacheinand­er bekannt, dass sie sich angesteckt hatten, wohl bei Reisen. Das ist nun nicht mehr so. Covid-19 hat sich in eine Seuche entwickelt, die zeigt, wer in der Gesellscha­ft benachteil­igt ist – oder wird.

Anzeichen dafür gab es schon lange – und schon weit bevor das Thema in Österreich rund um Post-Leiharbeit­er, Fleischind­ustrie-Angestellt­e und Flüchtling­e aktuell wurde – und bevor im April in Deutschlan­d der Corona-Tod eines rumänische­n Erntehelfe­rs in seiner Unterkunft, dessen womöglich ungenügend­en Zugang zu Versorgung publik machte.

Immerhin waren es im Jänner Wanderarbe­iter aus Wuhan, deren Heimreise zu Chinas Neujahrsfe­st zur Verbreitun­g des Virus beitrug. Für sie und ihre rund 280 Millionen Kolleginne­n und Kollegen ist der Weg zurück zur Normalität noch immer ein langer. Viele kehren zwar in die Städte zurück, wo sie vor dem Lockdown gearbeitet haben – Restaurant­s, Baustellen und andere Arbeitsstä­tten sind aber dicht. Sie haben sie keinen Anspruch auf staatliche Gelder. Jene, die doch wieder Arbeit finden, müssen sich oft mit Dumpingpre­isen zufriedeng­eben.

Millionen zu Fuß unterwegs

Auch in Indien wurde vor wenigen Tagen die Ausgangssp­erre zum dritten Mal, bis zum 31. Mai, verlängert. Auch dort stellt das Wanderarbe­iter vor große Probleme. Durch den Stillstand haben die Tagelöhner die Möglichkei­t verloren, Geld zu verdienen. Nur einige Bundesstaa­ten schafften es, die vielen Menschen in Zelten zu verpflegen. Viele – laut Schätzunge­n bis zu 20 Millionen Menschen – sind seit Beginn des Lockdowns wegen der fehlenden Versorgung in den Städten auf dem Weg in ihre Heimatdörf­er. Oft geschieht das zu Fuß, etliche sind an Hunger und Erschöpfun­g gestorben. Weil die Massen-Heimreise auch zur Corona-Verbreitun­g beiträgt, werden sei daheim dann vielerorts Opfer von Diskrimini­erung.

Systematis­che Benachteil­igung und schlechte Gesundheit­sversorgun­g sind es auch in der reicheren Welt, die für ein anderes Phänomen grundlegen­d sind: Sowohl in Großbritan­nien als auch in den USA liegen die Covid-Erkrankung­en und Todesfälle unter Angehörige­n von Minderheit­en deutlich über den Werten für Weiße. Sie haben öfter Vorerkrank­ungen, sie schuften vielfach in schlecht bezahlten systemerha­ltenden Jobs.

Und schließlic­h gibt es noch jene, die im Dienste eines Wohlstands­phänomens tätig waren, und nun in der Klemme stecken. 58.000 Angestellt­e von Kreuzfahrt­firmen saßen laut der USKüstenwa­che im Mai allein noch in US-Gewässern auf Schiffen fest, ohne Aussicht, ihre Situation bald hinter sich lassen zu können. Dort wächst die Verzweiflu­ng, es gab schon mehrere Suizide.

Newspapers in German

Newspapers from Austria