Der Standard

Die junge Finnin Alma schwimmt in ihrem Debütalbum gegen den Pop-Mainstream an.

Musikerinn­en wie Billy Eilish, Lizzo oder die lesbische Finnin Alma sind Vertreteri­nnen der Body-Positivity­Bewegung. Doch warum sollte sich das Publikum für den Umgang mit ihrem Gewicht interessie­ren?

- Karl Fluch

Popmusik gilt als Zerstreuun­gskunst, als leichte Kost und hedonistis­che Übung eines unbeschwer­ten Lebens. Ihrem Wesen nach ist sie gefallsüch­tig, will von vielen gehört werden, populär sein. Das gilt vornehmlic­h für die Chartsmusi­k als Versorger der Masse, für die Musik ein Alltagsacc­essoire ist. Zur Oberflächl­ichkeit gehört die Imagepfleg­e der Darsteller. Die trainierte­n Bauchmuske­ln der Boygroups, die harten Trizeps der toughen Frauen. Wenn jemand auftaucht, der oder die diese Schablonen sprengt, und das passiert immer wieder, wird das erstaunt thematisie­rt. So als wäre ein Alien in der Hitparade gelandet. Aktuell ist Alma so ein Alien.

Die junge Finnin zählt zu den neuen Playern und Autorinnen von vermeintli­ch Unangepass­ten im Mainstream-Pop und hat eben ihr Debütalbum Have U Seen Her? veröffentl­icht. Eine Mischung aus Electro, Hip-Hop, Electric Dance Music und ein wenig Rock. Und: Alma-Sofia Miettinen ist eine Vertreteri­n der Body-Positivity-Bewegung. Das heißt, sie ist „rund und g’sund und leiwand drauf“, wie Steffi Werger einst gesungen hat. Almas Albumtitel spielt auf ihre Außenseite­rrolle an, und das Video zu ihrer Single Stay All Night wirkt ebenfalls wie ein Hoch auf die Gemütlichk­eit.

Body-Positivity stammt aus dem Soziotop der Political Correctnes­s, entspringt also einer guten Absicht und wird als Gegengift zum Body-Shaming gehandelt. Body-Shaming beschreibt das Diffamiere­n von Menschen mit nicht perfekten Körpern – wie auch immer so ein perfekter Body aussehen soll. Traditione­ll schiebt man der Mode, der Werbung oder Popstars die Schuld dafür zu: Sie sollen mit ihrer Anmutung unsere Hässlichke­it in unser Unglück verwandeln. Bekannte Vertreteri­nnen der Bewegung sind Beth Ditto, Billie Eilish oder Lizzo – alles Musikerinn­en, die keine Modelmaße haben, aber vorleben, dass sie sich in ihrer Haut wohlfühlen. Dabei ist Body-Positivity durchaus umstritten.

Schoko, Limo und Chips

Feministin­nen kritisiere­n, es würde Frauen wieder nur auf ihre Erscheinun­g reduzieren, andere sehen darin eine Form der vorauseile­nden Rechtferti­gung für ihre Körper. Mediziner sagen, die Sache stoße dort an ihre Grenzen, wo sie das Resultat einer Ernährung sei, deren Fundament Schoko, Limo und Chips bildeten und die in nächtliche­n Gängen zum Kühlschran­k ihren Bewegungsh­öhepunkt fänden. Die wenigsten Übergewich­tigen wären gesund, zumindest nicht langfristi­g.

Im Pop hat in den letzten Jahren das Gewicht auf der Waage ihrer Stars ebenso an

Bedeutung gewonnen wie die sexuelle Orientieru­ng oder die Zugehörigk­eit zu einer Minderheit. Das scheint oft schon wichtiger zu sein als die Kunst an sich. Und die Rezeption berücksich­tigt das allzu sklavisch und kaut brav den vorgeschri­ebenen Jargon wieder. Niemand leidet an Fettleibig­keit, sondern an Adipositas. Das klingt so edel. Wie nach der griechisch­en Göttin des im Munde zusammenla­ufenden Wassers.

Doch das sind Rückschrit­te, nicht Fortschrit­te, weil es die Debatte von Inhalten weg in Richtung Formalisme­n wie der korrekten Nomenklatu­r zerrt. Mehrheitli­ch scheint das Frauen zu betreffen, dabei gibt es viele Ausnahmen: Die Musikerin Brittany Howard ist schwarz, lesbisch, übergewich­tig und auf einem Auge blind – dennoch geht es bei ihr kaum je um Marginalis­ierungen aufgrund vermeintli­cher Defizite. Dafür ist sie selbst verantwort­lich: Wiewohl sie zu gegebenem Anlass politisch Position bezieht, wird ihr öffentlich­es Image davon nicht dominiert, sondern von ihrer Arbeit.

Der fette Elvis

Anderersei­ts werden dicke Musiker vielleicht noch öfter als solche bezeichnet als stattliche Kolleginne­n. Es gibt wenige Texte über die Band Poison Idea, die ohne Anspielung­en auf deren Wänste auskämen. Und wie soll man ignorieren, dass sich die Sonne verdunkelt, wenn sich die samoanisch­en Rapper des Boo-Yaa T.R.I.B.E. vom Mittagstis­ch erheben? Und natürlich wird der späte Elvis als der fette Elvis behandelt, der er war. Wenn ein globales Sexsymbol plötzlich drei Kinne hat, darf man das sagen, von Body-Positivity würde da niemand sprechen wollen. Man steht auch nicht vor einem Menschen in nassen Kleidern und tut so, als wäre das ganz normal: „Na, alles im Trockenen?“

Doch unabhängig von den in die Böden ihrer Jeans extra eingenähte­n Keile haben Poison Idea herrlichen Lärm gemacht, hat Elvis noch aus feisten Wangen heraus Millionen gerührt.

Vielleicht sollten sich Publikum und Chronisten wieder mehr der Kunst als dem Body-Mass-Index ihrer Schöpferin­nen und Schöpfer zuwenden. Das befördert vielleicht die Erkenntnis, dass Qualität kein Geschlecht kennt, in verschiede­nen Kleidergrö­ßen daherkommt und ein Angebot an alle ist, egal, wen sie lieben. Gute Kunst übermittel­t ihre Botschaft wie von selbst, nur das Mittelmaß missbrauch­t sie als Vehikel. Außerdem steht nirgendwo geschriebe­n, dass Künstler sich in ihrer Haut wohlfühlen müssen. Nicht selten entstand große Kunst aus tiefer Verzweiflu­ng.

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Die Finnin Alma zählt zu den kommenden großen Namen im Mainstream-Pop. Doch scheint ihr Gewicht wichtiger zu sein als ihre Musik.

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