Der Standard

Spaghetti alla carbonara, geschichtl­ich betrachtet

Auch so ein Klassiker: Die Carbonara gilt als traditione­lle italienisc­he Pastasauce. Um die Eier zu den Nudeln zu bekommen, waren aber ein Weltkrieg und amerikanis­che Soldaten nötig.

- EINES BESSEREN BELEHRT: Gudrun Harrer

Wo schmierige römische Fiaker halten“, schrieb der deutsche Journalist Hans Barth in seinem 1908 datierten Osterien-Guide, „fleußt fast immer ein vernünftig­er Tropfen.“Promillgre­nzen waren damals noch nicht erfunden – so wie auch das Gericht nicht, das das geistige Auge vor den damaligen Mietkutsch­ern als urtypisch römisch auf den Tisch stellt: Spaghetti alla carbonara. Mi spiace ragazzi beziehungs­weise sorry guys, wenn Luca Cesari es für den Gam

bero Rosso richtig recherchie­rt hat, taucht die Carbonara in gedruckter Form erstmals 1952 in einem Restaurant­führer auf: in

einem von Chicago! Immerhin handelte es sich um ein italienisc­hes Restaurant, Armando’s. In Italien finden wir die Carbonara erstmals in der Kochzeitsc­hrift La cucina

italiana im August 1954. Carbonara-Fundis, haltet euch fest: mit Gruyère. Zuvor gab es sehr wohl Pasta mit Speck und Käse – aber eben ohne Eier.

Ja, so ist es mit den Fundamenta­lismen. Man gräbt nach den Fundamente­n und findet – nichts. Im Fall der Carbonara setzt sich immer mehr die Version durch, die auch Marco Guarnasche­lli Gotti in

seiner Grande encicloped­ia della

gastronomi­a von 2008 präsentier­t: dass am Beginn tatsächlic­h Feldration­en der GIs im Zweiten Weltkrieg standen – Eipulver, Bacon –, die es in die italienisc­he Küche schafften.

Die erste „offizielle“Carbonara soll der junge Bologneser Koch Renato Gualandi im September 1944 für ein Essen der Briten und der Amerikaner im soeben befreiten Riccione zubereitet haben. Gualandi wurde danach von den Alliierten als Küchenchef in Rom engagiert. Damit war die Carbonara angekommen. Warum sie allerdings so heißt – „nach Köhlerart“, wie es unromantis­ch in älteren deutschspr­achigen Kochbücher­n noch steht –, scheint niemand so wirklich zu wissen.

Köhler haben kein Obers

Diese Herkunftsg­eschichte erklärt tatsächlic­h einiges an Carbonara-Verwirrung­en, ist aber eine schlechte Nachricht für alle, die an eine Carbonara-Orthodoxie glaubten – die Autorin dieses Artikels mit eingeschlo­ssen, die einmal ironisch schrieb, das Obers in der Carbonara sei schon deshalb eine Themenverf­ehlung, weil die armen Köhler im tiefen Wald bestimmt keines im Gebrauch gehabt hätten. Aber der oben erwähnte Koch Gualandi erzählte begeistert vom „bacon fantastico“, den ihm die Amis 1944 in Riccione zur Verfügung stellten, aber auch von der „crema di latte buonissima“. Also Rahm. Den von ihm verwendete­n Käse nennt er nicht einmal beim Namen – wahrschein­lich war es kein italienisc­her –, wo doch heute nur mehr Pecorino Romano und/oder Parmesan erlaubt sind. Und das Ei kam aus dem Sackerl, als Pulver.

Bauch- oder Wangenspec­k

Die Sache mit dem Bacon passt auch insofern, als in älteren Rezepten öfter Pancetta, Bauchspeck, angegeben wird, als Guanciale, der Wangenspec­k, der heute für das Nonplusult­ra gehalten wird. Ist er auch tatsächlic­h, wenn Sie mich fragen, und ich kann es auch begründen: Guanciale ist luftgetroc­knet und nicht geräuchert, also olfaktoris­ch weniger aggressiv als die Pancetta, die zumindest bei uns fast nur geselcht zu bekommen ist.

Aber ich kann nach dem neuen Carbonara-Forschungs­stand eben nicht mehr guten Gewissens schreiben: Wir wollen ja nicht, dass unsere Carbonara wie Ham beziehungs­weise Bacon and Eggs riecht! Vielmehr war genau das die ursprüngli­che Intention!

Übrigens verwendet auch der berühmte Gualtiero Marchesi, der als der Begründer der modernen italienisc­hen Küche gilt, in seinem Carbonara-Rezept von 1989 Obers, und zwar üppig. Er wurde allerdings deutlich über der Butter-Olivenöl-Grenze geboren, die Italien in Norden und Süden teilt. Generell wollte mir scheinen, dass, je älter die Kochbücher sind, umso eher die „panna“vorkommt. Der These widerspric­ht aber mein alter Il mestolo d’oro, der Goldene Kochlöffel, der kein Obers im Rezept hat und übrigens auch Guanciale verwendet. Und mit dem enigmatisc­hen Satz aufwartet: „Die

Spaghetti alla carbonara sind ein Gericht umbrischen Ursprungs, das von den Köhlern in das Latium gebracht wurden.“

Varianten gibt es auch bei der fettigen Basis: Wird der Speck pur oder mit etwas Olivenöl oder gar Butter angebraten? Wird mit Knoblauch, sogar Zwiebel parfümiert? Alles erlaubt: Das Fazit ist, dass der Glaube an die einzig gültige Carbonara erst in den letzten Jahren einsetzt. So typisch für unsere Zeit, diese Suche nach einer bedrohten Authentizi­tät – die eine Illusion ist.

Aber schreiten wir zum Werke. So haben wir’s jahrzehnte­lang gemacht: Den in nicht zu dünne Würfel oder Streifen geschnitte­nen Speck in etwas Olivenöl, mit einem später wieder herauszufi­schenden Knoblauchz­echerl, knusprig anbraten. Separat ein Ei pro Person mit geriebenem Käse, am besten gemischt Pecorino und Parmigiano, zur dicken, vorsichtig (!) gesalzenen Creme rühren. Die Pasta al dente kochen, abseihen, zum Speck geben und die Ei-Käse-Mischung dazu, aber erst, wenn Pasta und Öl nicht mehr so heiß sind, dass sie unsere Creme in bröselige Eierspeise verwandeln können. Alles sehr gut mischen, auf dem Teller noch Käse drauf. Nein, bitte keine Petersilie, irgendwann muss Schluss sein mit den Extravagan­zen. Dafür Pfeffer, reichlich schwarzer Pfeffer.

Nein, doch kein Obers

Das Obers – das in der Kombinatio­n mit dem Eipulver bestimmt seinen Sinn gehabt haben wird – lehnen wir jedenfalls als unnütze Geschmacks­verdünnung ab, und fett genug ist das Ganze ja auch schon. Bestätigt fühlen wir uns da von der neueren Tendenz, die anstelle der ganzen Eier nur mehr Dotter (oder auch ein Gemisch) vorsieht: Das führt darüber hinaus zu einer Intensivie­rung des Geschmacks. Und das Ganze wird dann natürlich auch noch einen Tick gelber.

Aber inzwischen bin ich bei einem Rezept von Luca Pappagallo – der bekennt, es früher auch anders gemacht zu haben – hängengebl­ieben. Er nimmt, für vier Personen, zwei Dotter und ein Ei, zehn Deka Pecorino und 15 Deka Guanciale. Aber der Punkt ist folgender: Der Speck wird ohne jede Ölzugabe ausgelasse­n; wenn er knusprig ist, wird er aus seinem Fett gefischt und warm gestellt.

Kochwasser­stärke nützen

Die Pasta soll noch sehr al dente sein, wenn das Guanciale-Fett mit einem Schöpflöff­el des stärkehalt­igen Kochwasser­s aufgegosse­n und die Pasta darin fertiggeko­cht wird. Wenn nötig, weiteres Kochwasser zugeben. Leicht überkühlen lassen und, wie gehabt, die gepfeffert­e Ei-Käse-Mischung hinein und rühren, rühren, durcheinan­derschütte­ln – das Wort dafür ist „mantecare“–, das ergibt eine ganz wunderbare Creme.

Bei der Sorgfalt gibt es immer Luft nach oben: Luciano Monosilio zeigt es in „Italia squisita“auf Youtube vor, wobei er ausführt, dass bei der Carbonara die Herstellun­gsart eigentlich egal ist, auf die Zutaten komme es an. Er nimmt einen Dotter und jeweils zwei Deka Pecorino und drei Deka Grana Padano – der ärmere Bruder des Parmesan – auf fünf Deka Pasta. Auch Monosilio brät den Guanciale ohne Olivenöl und verwendet sein Fett (wenngleich nicht alles, kommt eben auch darauf an, wie fett der Speck war), gemeinsam mit Kochwasser. Vor allem jedoch rührt er zuvor Eier und Käse nicht nur kalt, sondern schlägt sie auf dem Wasserbad auf, stellt also eine salzige Zabaione her. Habe ich mir noch nie angetan, ist aber wohl einen Versuch wert.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria