KOPF DES TAGES
Mit Intelligenz und Ironie gegen Ignoranz
Ihre Popularität gibt Hoffnung, dass die Verschwörungstheoretiker doch nicht die Diskurshoheit erobern werden: Nicht nur der dumpfe Unsinn von Leuten wie Xavier Naidoo oder Attila Hildmann macht auf Youtube Quote: Auch die Videos der deutschen Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim erreichen spätestens seit dem Beginn der Pandemie regelmäßig ein Millionenpublikum. Und ihre langen, aber nie langweiligen Clips sind ähnliche Sternstunden der Wissenschaftskommunikation wie der Podcast des Virologen Christian Drosten.
Kein Wunder, dass die promovierte Chemikerin begehrter Talkshow-Gast ist, um dort stets sachlich und kompetent über Covid-19 zu informieren, stets auf Basis aktueller Forschungsergebnisse und klar in der Aussage. Dass es die Tochter vietnamesischer Einwanderer, die ihre Zuseher warmherzig als „Freunde der Sonne“begrüßt, zum vielfach ausgezeichneten Star des deutschen Wissenschaftsjournalismus bringen würde, war alles andere als vorgezeichnet – und vor ein paar Jahren auch noch für sie selbst völlig undenkbar.
Nach einem „Einser-Abi“studierte sie in Mainz Chemie, forschte zwischendurch am MIT und in Harvard, um 2017, zurück in Potsdam, zu promovieren. Eine Karriere in der Chemie wäre nur logisch gewesen, zumal sie auch schon ein Angebot von BASF in der Tasche hatte. Und ihr damaliger Verlobter und jetziger Ehemann hatte gerade eine Stelle in der Pharmaindustrie angenommen. Doch im März 2017 entschied sich NguyenKim, die neben dem Studium mit dem „Youtuben“begonnen hatte, gegen die Chemiekarriere. Ihr wichtigster Beweggrund war, dass alternative Fakten immer mehr Beachtung geschenkt wurden und der Wissenschaft immer weniger geglaubt wurde.
Diese hat seitdem mit Nguyen-Kim eine großartige Fürsprecherin bekommen. Die 32-Jährige macht nicht nur bei den Mai-Lab-Videos alles selbst, sie hat 2019 auch noch den Bestseller Komisch, alles chemisch verfasst und moderierte verschiedene TV-Wissenschaftssendungen. Daneben wurde sie 2020 auch noch erstmals Mutter. Ihr Mann hat längst den Job gekündigt und kümmert sich um das Kind und Management seiner Frau, deren Verdienste auch in Österreich gewürdigt werden: Am 24. November wird ihr in Wien der mit 20.000 Euro dotierte Heinz Oberhummer Award für Wissenschaftskommunikation 2020 verliehen werden. Klaus Taschwer