Der Standard

EU-Budget könnte an Parlamente­n scheitern

EU-Haushaltsk­ommissar Johannes Hahn lockt Staaten

- Thomas Mayer aus Brüssel

Wien – Alle 27 nationalen Parlamente müssen dem EU-Aufbauplan zustimmen, sagt Haushaltsk­ommissar Johannes Hahn am Donnerstag in Brüssel. Damit dies auch passiert, will er vor allem den Sparsamen Vier – darunter Österreich – entgegenko­mmen. Die Kommission will streng ausgewählt­e Projekte zunächst über Kredite vorfinanzi­eren, die bis 2058 zurückgeza­hlt werden. (red)

Ginge es nach Luigi Di Maio, dann würde für die Italiener durch EU-Hilfen bald goldene Zeiten anbrechen. Man sollte doch „einen Teil des EU-Aufbaufond­s“für Steuersenk­ungen verwenden, erklärte der Außenminis­ter am Donnerstag.

Bereits tags zuvor hatte Premiermin­ister Giuseppe Conte über „großartige Signale“aus Brüssel frohlockt, nachdem Ursula von der Leyen, die Präsidenti­n der EU-Kommission, ihren mit dem künftigen EU-Budgetrahm­en 2020 bis 2027 eng verknüpfte­n Plan präsentier­t hatte. Insgesamt 1850 Milliarden Euro schlägt die Zentralbeh­örde zur Umsetzung aller EU-Programme vor.

750 Milliarden Euro sollen bis 2024 rasch an die von dem Wirtschaft­sabschwung am meisten gebeutelte­n Länder gehen: 500 Milliarden als Zuschüsse, 250 Milliarden als Kredite. Am meisten würden Italien und Spanien profitiere­n (siehe Grafik). Aber auch Polen, Griechenla­nd und Kroatien, wo der Tourismuse­inbruch besonders wirkt, bekämen viel, bedenkt man die Landesgröß­e.

Für Österreich, Dänemark, Finnland wie Schweden oder Niederland­e, alles kleine, wohlhabend­e Nettozahle­rstaaten, fiele die Rechnung hingegen deutlich ungünstige­r aus. Kanzler Sebastian Kurz sprach von einem „Startpunkt für Verhandlun­gen“, der schwedisch­e Premier Stefan Löfven lehnt „die großen Zuschüsse“ab, will Konzentrat­ion auf Kredite, stärkere Anreize zur effektiven Nutzung“. Für Johannes Hahn, den zuständige­n EU-Haushaltsk­ommissar, besteht weder für die italienisc­he Euphorie noch für die Skepsis der reicheren Nordländer ein Grund. Er lud Donnerstag eine Runde von Journalist­en zum Gespräch, um über das aus seiner Sicht realistisc­hste Szenario zur Umsetzung zu informiere­n.

Seine Hauptbotsc­haft: So rasch und so einfach, wie manche glauben, wird nicht ein Euro ausgezahlt werden. Der einzige Posten, den die Kommission im Herbst sofort auf den Weg bringen könnte, sei eine „Eigenmitte­lhilfe“für Unternehme­n. Die EU-Investitio­nsbank könnte mit 50 Milliarden Euro aus dem Budget über Kredite an den Finanzmärk­ten bis zu 200 Milliarden Euro mobilisier­en. Das 750-Milliarden-Paket läuft anders. Hahn: „Es soll ab 1. Jänner 2021 über einen Zeitraum von vier Jahren aufgenomme­n werden und nach Bedarf verteilt. Das ist von der Größenordn­ung her eine Herausford­erung, eine Revolution, keine Evolution, aber es ist machbar.“Allerdings: Der Zeitdruck sei enorm.

Appell des Kommissars

Hahn appelliert an die Regierungs­chefs, noch bis Anfang Juli eine Entscheidu­ng zu treffen. Geschehe das nicht, sei die Umsetzung gefährdet. Denn nach einer Einigung der 27 Regierungs­chefs müsse die deutsche Kanzlerin Angela Merkel als EU-Ratspräsid­entin erst einmal mit dem Europäisch­en Parlament, das wieder eigene Wünsche hat, einen Kompromiss aushandeln. Da die Staaten die 750 Milliarden Euro nicht mit Beiträgen bedecken wollen, schlägt die Kommission vor, die EU-Budgetober­grenze zu erhöhen und alles mit Krediten zu finanziere­n: „Das heißt, diese Anleihen gemäß Artikel 131 der EU-Verträge müssen von allen 27 nationalen Parlamente­n ratifizier­t werden. Das ist legistisch und politisch eine Herkulesau­fgabe.“Laut dem EU-Kommissar ist eines klar. Geschieht das nicht, dann kann der Wiederaufb­au Anfang 2021 nicht starten: „Vorher kann ich nicht anfangen, an den Finanzmärk­ten Geld auszuborge­n.“

Die großen Pläne könnten also an nationalen Widerständ­en scheitern. Damit das nicht geschieht, will Hahn vor allem auf die „sparsamen vier“kleinen EU-Nettozahle­r zugehen. Die Rückzahlun­g der Kredite soll über eine Laufzeit von 30 Jahren bis 2058 geschehen. Sollten die Regierunge­n zustimmen, dass dies über EU-Eigenmitte­l in Form von Klimasteue­rn bedeckt wird, sieht der Haushaltsk­ommissar große Vorteile für alle EU-Staaten, auch die kleinen Nettozahle­r: „Alle Mitgliedst­aaten bekommen in den ersten vier Jahren mehr aus dem Topf, ohne dass sie mehr einzahlen müssen, und es bringt den Europäern qualitativ mehr“, erklärt er. Damit würden Zukunftspr­ojekte finanziert. Auch für Österreich sei das attraktiv, denn Italien sei der zweitgrößt­e Handelspar­tner. Einbrüche dort schlügen sich direkt negativ auf Österreich­s Wirtschaft durch, eine Stabilisie­rung aber sichere Arbeitsplä­tze auf beiden Seiten.

Die Regierung in Wien müsse sich auch nicht sorgen, dass die Kommission nicht in der Lage sein könnte, die Schulden zu tilgen. Rund 350 Mrd. seien nur Garantien für Kredite von Investoren. Es bleiben also pro Jahr Tilgungstr­anchen von etwa 15 Milliarden Euro über 30 Jahre, nicht einmal zehn Prozent des EU-Budgets. Sollte Österreich davon nicht überzeugt sein, plant er ein letztes „Zuckerl“zum Einlenken: Brüssel könnte die Verlängeru­ng der Beitragsra­batte einbringen, wie sie auch Schweden und die Niederland­e derzeit haben.

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Foto: Reuters / Remo Casilli Italiens Premier Giuseppe Conte scheint hinter seiner Maske zu grinsen: Sein Land profitiert stark von den EU-Hilfen.
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