Der Standard

Wäre der Shutdown später gekommen ...

Die richtigen Maßnahmen seien zum richtigen Zeitpunkt gesetzt worden, dessen ist sich Gesundheit­sminister Rudolf Anschober sicher. Laut Experten hätte eine nur siebentägi­ge Verzögerun­g gravierend­e Auswirkung­en gehabt.

- Oona Kroisleitn­er

Man befinde sich derzeit im „Prävention­sdilemma“oder „Prävention­sparadoxon“, erklärte Herwig Ostermann, Geschäftsf­ührer von Gesundheit Österreich, am Donnerstag. Soll heißen: Ein Szenario steht in Aussicht – im Fall der Coronaviru­s-Krise die Überforder­ung des Gesundheit­ssystems. Um dem zu entgehen, werden Prävention­smaßnahmen gesetzt, das Szenario dadurch wiederum verhindert. Die Folge: „Die Maßnahmen werden als überzogen eingestuft“, sagte Ostermann.

Das bekräftigt­e auch Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne). Viele würden sich aktuell fragen, ob die Maßnahmen so notwendig gewesen seien. Dem setzte Anschober gemeinsam mit Ostermann und Niki Popper, Simulation­sexperte der TU Wien, nun Zahlen entgegen.

Das Fazit: „Es wurden die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt gesetzt.“Zur Erinnerung: Am Freitag, dem 13. März, verkündete Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP), dass ab dem folgenden Montag das soziale Leben auf ein Minimum reduziert werden solle. Am selben Tag wurden das Paznauntal im Tiroler Oberland und die

Gemeinde St. Anton am Arlberg in ihrer Gesamtheit unter Quarantäne gestellt. Ab 16. März blieben die Geschäfte – bis auf jene des notwendige­n täglichen Bedarfs – und die Gastronomi­e geschlosse­n. Schüler lernten von zu Hause aus. Der Lockdown zur Eindämmung der Pandemie hatte begonnen.

Vervierfac­hung in sieben Tagen

Heute könne man sagen: Hätte man sich dazu entschloss­en, sieben Tage später zu reagieren, hätte es laut den ersten Modellrech­nungen von Popper etwa viermal so viele positive Coronaviru­s-Fälle gegeben. Auf dem Höhepunkt der Pandemie Ende März hätte das 40.000 Coronaviru­s-Infizierte bedeutet. Durch die Maßnahmen konnte diese Zahl auf etwa 10.000 aktive Fälle reduziert werden. Und: Statt real rund 250 wären laut Berechnung bei einer siebentägi­gen Verzögerun­g mehr als 1000 Intensivbe­tten benötigt worden. „Hätten wir nicht frühzeitig reagiert, hätte das dazu geführt, dass wir bis an die Grenzen der Möglichkei­ten gegangen wären“, sagte Anschober.

Zudem errechnete Popper auch, welche Auswirkung­en eine frühere Lockerung der

Maßnahmen mit sich gebracht hätte. Am 14. April durften kleine Geschäfte sowie Bau- und Gartenmärk­te öffnen, am 2. Mai folgten alle weiteren Geschäfte, und auch erste Dienstleis­ter durften ihre Kunden wieder empfangen. Mit den Maturanten kehrten am 4. Mai die ersten Schüler zurück an die Schulen, die letzten werden dies erst am 3. Juni tun.

Wären Geschäfte und Schulen bereits am 1. April voll hochgefahr­en worden, „wäre die Post wieder abgegangen“, betonte Popper. Denn zu diesem Zeitpunkt seien noch zu viele akut infiziert gewesen, erklärte der Experte. Auch das Social Distancing habe einen großen Einfluss gehabt. „Das gemeinsame Reduzieren von Freizeitko­ntakten war enorm wichtig“, sagte Popper. Auf dem Höhepunkt der Pandemie seien diese Kontakte um rund 90 Prozent verringert worden. Wären die Kontakte nur um 50 Prozent reduziert worden, wäre die Kurve weiter angestiege­n.

All die Maßnahmen seien jedoch zu wenig, würde das Containmen­t infizierte­r Personen, inklusive Contact-Tracing, nicht funktionie­ren, hieß es zudem. Jede Stunde, die bei der Suche nach Ansteckung­en eingespart wird, würde helfen, sagte Anschober. Und: Je kürzer die Reaktionsz­eit, desto mehr Lockerunge­n könne Österreich aushalten. „Je schneller wir sind, desto besser“, sagte der Minister und verwies erneut auf seine 24-Stunden-Vorgabe: Nach dem Auftreten erster Symptome solle die Hotline 1450 angerufen werden. Bestätigt sich der Verdachtsf­all, soll es maximal 24 Stunden dauern, bis die Testung vorgenomme­n wird – und weitere 24 Stunden, bis das Ergebnis vorliegt.

Phase der Eigenveran­twortung

Für Freitag kündigte Kurz an, die nächste „Phase der Eigenveran­twortung“vorzustell­en. Es gehe dabei darum, „wenige und klare Regelungen“und „so viel Hausversta­nd wie nur möglich“walten zu lassen, sagte der Kanzler. Dem wollte Anschober nicht vorgreifen. Noch am Donnerstag hieß es: Man arbeite noch an den Lösungen. Aber: „Das Virus ist nicht auf Urlaub gefahren, es ist nicht weg aus Österreich, sondern nach wie vor da. Wir werden die Strategie der schrittwei­sen Öffnung weiter fortsetzen.“

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Foto: APA Gesundheit­sminister Anschober will noch schneller werden.

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