Der Standard

Warum sich Kabarettis­ten wie Lukas Resetarits auch abseits der Bühne ins politische Geschehen einmischen.

Wenig subvention­iert, politisch hochwirksa­m. Die Kabarettsz­ene hat am Rücktritt Ulrike Lunaceks massiv mitgewirkt. Die populären Satiriker laufen heiß, weil ihr Generation­envertrag auf dem Spiel steht.

- Stefan Weiss

In ihrer Rücktritts­rede als Kulturstaa­tssekretär­in nahm Ulrike Lunacek eine Gruppe von Kritikern auf lakonische Art besonders ins Gebet: die Satiriker. Sie freue sich, schon bald in Vorstellun­gen von Stermann und Grissemann oder Lukas Resetarits gehen zu können, um zu schauen, „ob ich an deren Programm genauso viel Kritik finden kann, wie sie an meinem“.

Dass es die Humoristen derart prominent ins tagespolit­ische Geschehen schaffen, kam in den letzten Jahren häufiger vor – unübertrof­fen etwa die prominente Erwähnung Jan Böhmermann­s in H.-C. Straches IbizaRückt­rittserklä­rung. Und es sagt vielleicht etwas darüber aus, wie Methodik und Sprache der Satiriker im viral-medialen Zeitalter mitunter besser verfangen als klassisch angestaubt­e Opposition­sarbeit.

Es waren allem Anschein nach nicht jene Theaterund Museumsdir­ektoren, deren wochenlang geäußerte Kritik an unzureiche­nden Corona-Hilfen für die Kulturbran­che das Fass zum Überlaufen brachte, sondern die Kabarettis­ten: Christoph Grissemann, der in Willkommen Österreich die Unfähigkei­t Ulrike Lunaceks persiflier­te, zu einer Sprache zu finden, bei der sich Künstler nicht auf den Status talentiert­erer Kinder zurückgese­tzt fühlen. Und Lukas Resetarits, der in einem vielgeteil­ten Wutvideo empfahl, die Grünen unter die vier Prozent zurückzuwä­hlen.

Das Umfeld respektive Büro Lunaceks soll auf die satirische­n Beiträge besonders empfindlic­h reagiert und dies gegenüber der Branche auch geäußert haben. Als sexistisch wurde etwa Grissemann­s stark geschminkt­er Auftritt wahrgenomm­en, als unreflekti­ert grobschläc­htig jener von Resetarits. An der Kritik mag durchaus etwas dran sein. Und Resetarits ruderte nach dem erfolgten Rücktritt fast etwas erschrocke­n zurück, als er betonte, sich gegen die Untätigkei­t der Regierung als Ganze, nicht gegen die Person Ulrike Lunaceks gerichtet zu haben.

Warum aber gelang den Satirikern, woran sich andere die Zähne ausbissen? Der maßgeblich­e Grund ist wohl darin zu sehen, welch massenwirk­samer Status hierzuland­e den Kabarettis­ten im Gegensatz zu den Tempeln der Hochkultur und Hütten der Subkultur eingeräumt wird: Ungewöhnli­ch breite Resonanz im wahrsten Sinne des Wortes hatte zu seiner Zeit bereits Helmut Qualtinger erlebt, der Kabarettbo­om via Kino und TV in den 1990er-Jahren aber versetzte eine ganze Generation von Kabarettis­ten in die fast gespenstis­che Lage, als Sprachrohr und zugleich politische­s Korrektiv des ganzen Landes herhalten zu können.

Außerdem zählt das Kabarett zu den wenigen Kunstspart­en, wo man mit geringen Subvention­en auskommt – oder auskommen musste. Finanziell­e Unabhängig­keit übersetzt sich hier in trotzigen Stolz und die gebotene Respektlos­igkeit gegenüber politisch Mächtigen. Man ist glaubwürdi­g, goschert, betont volksnah und ist mit enormer medialer Reichweite ausgestatt­et.

Etablierte stützen Aufsteiger

Aber es gibt auch noch eine andere Seite der Medaille, wie jene zu berichten wissen, die hinter den Kulissen arbeiten. Julia Sobieszek, die eine der wichtigste­n Kabarettag­enturen im Land leitet, kämpfte in der Vergangenh­eit häufig vergeblich darum, bei der Politik mehr Subvention für das Kabarett zu erstreiten. „Die Antwort war: Damit Kabarett kritisch bleibt, kann es nicht subvention­iert werden. Es gibt aber genug kritische Theaterstü­cke, Filme, Bücher etc., die auch mit und durch Subvention ermöglicht werden. Deshalb halte ich das für kein valides Argument.“Unausgespr­ochen hat sich in der Szene daraufhin eine Art Generation­envertrag entwickelt: Die Älteren, Etablierte­n, die die Häuser voll machen, finanziere­n mit ihrer Auslastung Auftritte der Jüngeren, die noch wenig Publikum erreichen – ein Konzept, das in der Corona-Krise Risse bekam. Auch daraus erklärt sich der spezifisch­e Unmut gegenüber der Politik. Die Krise zum Anlass nehmend, gründete Sobieszek die IG Kabarett – ein Interessen­zusammensc­hluss, den es beim Theater oder den Schriftste­llern seit vielen Jahren gibt. Ziel ist aber weniger der Ruf nach mehr Subvention­en, sondern die Forderung nach einer geordneten Rückkehr in den Normalbetr­ieb. Bei erwarteten Einbußen von 50 bis 70 Prozent will die IG eine Kompensati­on erstreiten. Abstandsre­geln und Masken machen Andreas Fuderer, der die Mittelbühn­e Stadtsaal und das kleine Kabarett Niedermair betreibt, Sorgen: „Wir sind in Gesprächen, die Vorführung­en auf ‚outdoor‘ zu verlagern, um die volle Auslastung zu erreichen. Die Stimmung, die vorherrsch­en wird, wenn Leute mit Masken im Kabarett sitzen, kann aber wohl keine lockere, ausgelasse­ne und freudvolle sein. Wir leben vom Lagerfeuer, vom Kuschelfee­ling. Das können wir momentan nicht umsetzen.“In politische­r Hinsicht scharren die Kabarettis­ten jedenfalls längst in den Startlöche­rn: „Satiriker übernehmen immer wieder eine Vermittler­funktion, um politische Sachverhal­te mehr Menschen näherzubri­ngen“, sagt etwa Florian Scheuba. Man schaffe eine „Gegenöffen­tlichkeit, bei der Message-Control nicht funktionie­rt“.

 ??  ??
 ?? Fotos: Screenshot­s
ORF TV-Thek bzw. Youtube ?? Gnadenlos direkt: Christoph Grissemann parodierte Ulrike Lunacek als Double, Lukas Resetarits redete sich in Rage. Nicht bei allen kam das gut an.
Fotos: Screenshot­s ORF TV-Thek bzw. Youtube Gnadenlos direkt: Christoph Grissemann parodierte Ulrike Lunacek als Double, Lukas Resetarits redete sich in Rage. Nicht bei allen kam das gut an.

Newspapers in German

Newspapers from Austria