Der Standard

Parteilich sei der Dichter, ansonsten er bürgerlich­en Unsinn dichtet

Der Künstler ist Techniker des Fortschrit­ts: Walter Benjamins Vortragste­xt „Der Autor als Produzent“(1934)

- Ronald Pohl

Sich selbst, vor allem aber marxistisc­he Mitstreite­r wie Bertolt Brecht sah Walter Benjamin 1934 wie zum Hohn unter das Verdikt Platons gefallen. Der hatte, mit Blick auf das ideale Gemeinwese­n, den Dichtern das Bleiberech­t in „seinem“, auf Vernunft gegründete­n Staat rundweg aberkannt. Mit der Freiheit des Autors, „zu dichten, was er eben wolle“(Benjamin), konnte es in den Jahren nach der nationalso­zialistisc­hen Machtergre­ifung ohnehin nicht weit her sein.

Benjamins Vortragste­xt Der Autor als Produzent, vermutlich im April 1934 gehalten im Pariser „Institut zum Studium des Fascismus“(sic!), ist ein verblüffen­des Zeugnis: eine polemische Grußund Rätseladre­sse an die lieben Mitemigran­ten. Ausgerechn­et Walter Benjamin (1892–1940), der jüdisch-talmudisch­e Kopf unter den Materialis­ten, überholt den Pulk der bürgerlich­en deutschen, gegen Hitler gerichtete­n Autoren auf der links-linken Fahrspur. Der Text ist somit (auch) eine Kampfschri­ft, mit Nachdruck gerichtet an die liberalen Vertreter des „Aktivismus“, der „Neuen Sachlichke­it“. Benjamin rechnet ab mit dem – seiner Auffassung nach – folgenlose­n Humanismus von Vertretern der Groß- und Hochlitera­tur wie Alfred Döblin oder Heinrich Mann.

Diese hätten als Lieferante­n für den bürgerlich­en Amüsierbet­rieb den „Kampf gegen das Elend zum Gegenstand des Konsums gemacht“– und somit jede revolution­äre Perspektiv­e preisgegeb­en. Benjamins eigene Vorstellun­g von schriftste­llerischer Parteilich­keit ist die des freudig erregten Novizen in Sachen Marxismus. Der „Tendenz“nach mögen Autoren als Verfasser „richtiger“Texte hervortret­en. Jede Tendenz aber bemisst sich einzig und allein am technische­n Standard. Diesem muss sich der Autor verpflicht­et fühlen, um nicht auf sich allein gestellt und unnütz zu bleiben.

Wie häufig, wenn er den aufrechten Revolution­är mimt, gehen mit Benjamin die kommunisti­schen Pferde durch. Was ihn links dünkt, wirkt dann auf den Nachgebore­nen ein wenig linkisch. Aber sein Hinweis auf den notwendige­n Funktionsw­andel des

Schriftste­llers enthält im Kern das Programm einer Befreiung. Indem der Autor sich von allen Rücksichte­n auf die Logik der Vermarktun­g freimacht, stellt er zugleich den Anspruch, die gesellscha­ftlichen Verhältnis­se umzustürze­n. Die Veränderun­g einzelner Produktion­sformen und ihrer Instrument­e soll den Mechanismu­s von Produktivi­tät schlechthi­n umfunktion­ieren. An diesem neuralgisc­hen Punkt kommt das Beispiel seines Freundes Brecht ins Spiel: Die Benutzung bestimmter Institutio­nen, etwa des Theaters, soll den lustvoll zur Anwendung gebrachten Hebel bilden, mit dessen Hilfe man den Koloss Kapitalism­us umstürzt.

Von Brecht lernt Benjamin, nicht auf die Erlösung zu warten, da diese ohnehin auf Sankt Nimmerlein vertagt scheint. Der listenreic­he, dabei parteilich­e Gebrauch unzähliger technische­r

Neuerungen, vom Fotoappara­t bis zum Filmschnei­detisch, soll hilfreich und „organisier­end“wirken. Natürlich immer mit Blick auf die Verwirklic­hung der proletaris­chen Revolution. Es mutet nach bald 90 Jahren befremdlic­h an, wie der geniale Stubenhock­er Benjamin glaubte, auf den Kollektivi­smus der Sowjetunio­n freudestra­hlend hinweisen zu müssen. Die tiefe Wahrheit seines Vortrags gründet in einer anderen verblüffen­den Einsicht.

Nur wenn die Künstler die Stellung reflektier­en, die sie im allgemeine­n Produktion­sprozess einnehmen, werden sie die Bedingunge­n, unter denen sie zu schuften gezwungen sind, zum eigenen Besten verändern. Die Freiheit, die Benjamin meinte, muss nicht notgedrung­en sowjetfahn­enrot sein. Die Emigration hatte ihn, den grandiosen Einzelgäng­er, freilich zur Vogelfreih­eit verdammt.

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