Der Standard

„Trump schürt Spaltung, so war das schon immer“

Die Mitbegründ­erin von Black Lives Matter, Jalane Dawn Schmidt, fürchtet angesichts der jüngsten Unruhen in den USA einen explosiven Sommer – und sorgt sich um die Wahlen im November.

- INTERVIEW: Frank Herrmann

Mehr als eine Woche nachdem George Floyd bei einem Polizeiein­satz sein Leben verloren hatte, gehen in den USA die Proteste gegen rassistisc­h motivierte Polzeigeal­t unverminde­rt weiter. Jalane Dawn Schmidt, Dozentin für afroamerik­anische Studien, zieht historisch­e Parallelen und warnt vor einer autoritäre­n Wende im Land.

STANDARD: Was erleben wir gerade? Ist es ein zweites 1968, ein Jahr, in dem Amerika in heftigen Unruhen versinkt?

Schmidt: Auf jeden Fall steuern wir wohl auf einen heißen Sommer zu, und das meine ich nicht nur klimatisch. Was George Floyd widerfuhr, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es ist nur ein Fall von mehreren, aber hier gibt es ein Video, das sich nun mal nicht leugnen lässt. Wie Polizisten unbewaffne­te Afroamerik­aner töten, das haben aber allein in diesem Jahr schon etliche andere Fälle gezeigt.

STANDARD: Welche empfinden Sie als besonders verstörend?

Schmidt: Da wäre Breonna Taylor, eine 26-Jährige, die in der Notaufnahm­e einer Klinik in Louisville in Kentucky arbeitete. Im Kampf gegen das Coronaviru­s steht sie an vorderster Front, und dann wird sie in ihrem eigenen Apartment durch Polizisten­schüsse getötet. Sie wohnte dort zusammen mit ihrem Freund. Der hielt die Eindringli­nge, die ohne Vorwarnung die Wohnungstü­r aufbrachen, für Einbrecher und griff zur Waffe. Die Polizisten erschossen dann Breonna Taylor. Später stellte sich heraus, dass es sich um eine Verwechslu­ng handelte. Die Beamten hatten einen Haftbefehl, doch die Person, die sie verhaften wollten, befand sich bereits in Polizeigew­ahrsam. Hier gab es keinen filmischen Mitschnitt, der den Beweis für die Tat erbracht hätte.

STANDARD: Was, glauben Sie, wäre geschehen, wenn es kein Video gegeben hätte, das die Causa George Floyd dokumentie­rt?

Schmidt: Dann hätte es in Minneapoli­s vielleicht für ein paar Tage Proteste gegeben, lokal begrenzt, ohne dass es landesweit für Aufruhr gesorgt hätte. Nach kurzer Zeit wären sie wahrschein­lich abgeebbt. Aber wie gesagt, angesichts der schockiere­nden Aufnahmen sind viele zu dem Schluss gekommen: Jetzt reicht’s! Dabei steht der Fall Floyd für ein systemisch­es Problem. Er ist ein beson

ders krasses Symbol für etwas, was überall bei uns geschieht.

STANDARD: Noch einmal zurück zum Ausgangspu­nkt: Ist der Vergleich mit 1968 gerechtfer­tigt?

Schmidt: Ja, ohne Zweifel. Um nur einen Aspekt zu nennen: Wie 1968 ist auch 2020 ein Präsidents­chaftswahl­jahr, und in solchen

Jahren liegt meist sehr viel Spannung in der Luft. Aber ich sehe natürlich auch Unterschie­de.

STANDARD: Welche zum Beispiel?

Schmidt: Damals versuchte Präsident Lyndon B. Johnson die Wogen zu glätten. Heute erleben wir einen Präsidente­n mit verantwort­ungsloser Rhetorik. Donald

Trump schürt die Spaltung, auch die zwischen den Rassen, so war das schon immer. Schon als er im Immobilien­geschäft anfing, sah sich das Justizmini­sterium veranlasst, gegen ihn vorzugehen, weil er schwarze Mieter diskrimini­erte. 1989, als die Central Park Five, fünf Jugendlich­e mit dunkler Haut, zu Unrecht wegen der Ver

gewaltigun­g einer Joggerin im New Yorker Central Park verurteilt wurden, forderte er in ganzseitig­en Zeitungsan­noncen die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e. 2016 nutzte er in Staaten wie Michigan, Pennsylvan­ia und Wisconsin die latenten Ängste weißer Wähler vor dem demografis­chen Wandel, vor dem sozialen Abstieg, um die Wahl für sich zu entscheide­n. Das wird er ein zweites Mal tun. Einiges unterschei­det sich aber auch positiv vom Jahr 1968.

STANDARD: Was haben Sie dabei

im Auge?

Schmidt: In großen Städten, etwa in Washington, in Atlanta oder in Birmingham in Alabama, sitzen heute schwarze Bürgermeis­terinnen beziehungs­weise Bürgermeis­ter in den Rathäusern. 1968 schien das undenkbar, da waren doch erst drei Jahre seit Verabschie­dung der Bürgerrech­tsgesetze vergangen.

STANDARD: In Atlanta suchte die weiße Polizeiche­fin den Dialog mit schwarzen Demonstran­ten.

Schmidt: Darin sehe ich ein Hoffnungsz­eichen, auch wenn es vorerst noch die Ausnahme ist. Ich wünschte, es würde Schule machen. Was für ein Signal! Da kommt die Chefin der Polizei und signalisie­rt den Leuten: Ich höre euch zu, ich versuche euch zu verstehen, ich fühle euren Frust. Normalerwe­ise marschiert ja gleich eine bis an die Zähne bewaffnete, militarisi­erte Truppe auf. Und das provoziert nur, während eine Geste wie in Atlanta hilft, die Situation zu entschärfe­n. Aber wissen Sie, was mir große Sorgen macht?

STANDARD: Was?

Schmidt: Ich mache mir Sorgen um die Wahl im November. Trump könnte so weit gehen und versuchen, sie abzusagen, zu verschiebe­n. Das Blatt scheint sich gerade gegen ihn zu wenden, und er ist sehr autoritär. Nehmen Sie nur seine Ankündigun­g, die Antifa als Terrororga­nisation einzustufe­n. In seinen Augen fällt jeder, der gegen ihn ist, unter die Rubrik Antifa.

JALANE DAWN SCHMIDT

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Tränengase­insatz nahe dem Weißen Haus in Washington. Die USA kommen nicht zur Ruhe.
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Foto: Frank Herrmann (51) ist Dozentin für afroamerik­anische Studien an der University of Virginia und Mitbegründ­erin von Black Lives Matter in Charlottes­ville.

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