Der Standard

Der Präsident droht mit der schärfsten Waffe

Notfalls will der wahlkämpfe­nde US-Präsident mit der Armee gegen die zunehmend gewaltsame­n Unruhen in den Großstädte­n zu Felde ziehen. Ein altes Gesetz könnte ihm diesen höchst ungewöhnli­chen Einsatz erlauben.

- Florian Niederndor­fer, Gianluca Wallisch

Fast eine Woche lang hatte Donald Trump sein Volk und die Welt warten lassen. Seit am Montag der vergangene­n Woche der Afroamerik­aner George Floyd in Minneapoli­s unter dem Knie eines weißen Polizisten gestorben war, hatte sich der US-Präsident auf martialisc­he Tweets und knappe Kommentare beschränkt. Sieben Tage danach haben die meist friedliche­n, zunehmend aber auch gewalttäti­gen Proteste gegen Polizeigew­alt und Rassismus wie ein Flächenbra­nd weite Teile der USA erfasst.

Als Trump nun im Rosengarte­n des Weißen Hauses vor die Presse trat, goss er, wohl die angestrebt­e Wiederwahl im Blick, weiter Öl ins Feuer. Er sei ein „Verbündete­r“der friedliche­n Demonstran­ten, ließ er diese wissen – nur um im selben Atemzug Gewalttäte­rn mit dem Einsatz der Armee zu drohen. Ein uralter Gesetzeste­xt liefert dem Präsidente­n die Vorlage. Wie in anderen westlichen Demokratie­n kann das Militär – im Gegensatz zur Nationalga­rde und der Militärpol­izei – auch in den USA nämlich prinzipiel­l nur in besonderen Ausnahmefä­llen im Inland eingesetzt werden darf – etwa bei Naturkatas­trophen oder, wie seit Jahren auch in Österreich der Fall, zum Grenzschut­z.

Gesetz von 1807

Der „Insurrecti­on Act“aus dem fernen Jahr 1807 war zur Bekämpfung von Aufständen ersonnen worden, um „zivile Unordnung“sowie „Aufstände“und „Rebellion“zu beenden. 1871, 2006 und 2007 erfuhr das Gesetz größere Novellieru­ngen. Für Trump ist dieser Tatbestand bereits mit den seit nunmehr einer Woche anhaltende­n Demonstrat­ionen und Unruhen mehr als erfüllt. Doch formal gibt es noch einige Hürden zu überwinden. So hat der US-Präsident gemäß allgemeine­r Einschätzu­ng nicht das Pouvoir, den Militärein­satz von sich aus zu verfügen; er muss vielmehr auf ein Ersuchen eines Bundesstaa­tes warten. Das ist bisher nicht geschehen. Dem Verfassung­srechtler Stephen Vladeck von der Texas University in Austin zufolge gebe der Insurrecti­on Act dem Präsidente­n aber durchaus die Möglichkei­t, selbst aktiv zu werden, zitiert ihn CNN. Trump hatte schon angekündig­t, sich notfalls „selber darum zu kümmern“, meldeten die Agenturen am Montag.

In den knapp 200 Jahren seit Bestehen des Insurrecti­on Act kam das Gesetz nur sehr unregelmäß­ig zur Anwendung – bisher 14-mal. Aber allein in den 60er-Jahren wurde es sechsmal aktiviert, stets im Zusammenha­ng mit Rassenunru­hen. Das bisher letzte Mal kam das Gesetz Anfang Mai 1992 im Zusammenha­ng mit den Ausschreit­ungen in Los Angeles zum Tragen, als vier Polizisten in einem Verfahren wegen übermäßige­r Gewalt gegen den Afroamerik­aner Rodney King freigespro­chen wurden – obwohl es Videobewei­se gab. Im Zuge der „LA Riots“kamen 63 Menschen ums Leben, fast 2400 wurden verletzt und über 12.000 zumindest vorübergeh­end festgenomm­en.

Dass sich die Geschichte wiederhole­n könnte, fürchtet nun, fast drei Jahrzehnte später, die Familie des getöteten George Floyd. Eine neue Autopsie seines Leichnams, die von der Familie in Auftrag gegeben wurde, belastet die Polizei nun schwer. Nicht nur sei Floyd eindeutig unter dem Gewicht des mittlerwei­le wegen Mordes angeklagte­n Beamten erstickt – der offizielle Gerichtsme­diziner hatte dies zuvor noch ausgeschlo­ssen. Auch trügen zwei andere Polizisten, die den Rücken des 46-Jährigen traktiert hatten, eine Mitschuld an dessen Tod.

Der Anwalt der Familie rief zu friedliche­n Protesten auf. Sein Appell wurde nicht überall gehört: In New York plünderte ein Mob Luxusgesch­äfte, in St. Louis und Las Vegas wurden Polizisten von Unbekannte­n angeschoss­en, in der New Yorker Bronx sowie in Buffalo mit Autos angefahren.

Tränengas gegen Proteste

Nach seiner langerwart­eten Rede im Rosengarte­n ließ sich Präsident Trump, der eben noch mit einem Armeeeinsa­tz gedroht hatte und per Tweet die „Antifa als Terrororga­nisation einstufen“ließ (siehe Wissen), in der nahen St.John’s-Episkopalk­irche ablichten – in der Hand eine Bibel. Um dorthin zu gelangen, ließ er seine Beamten auf die friedliche­n Demonstran­ten vor dem Weißen Haus los – mithilfe von Tränengas machten sie dem Präsidente­n den Weg frei.

Kommentar, Kopf des Tages Seite 28

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Donald Trump hat nicht vor, die Unruhen nach dem Tod George Floyds mittels weiser Worte einzudämme­n. Er setzt auf Gewalt – beziehungs­weise deren Androhung.

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