Der Standard

Schatzsuch­e in der bäuerliche­n Welt von gestern

Die slowakisch-österreich­ische Wanderauss­tellung „Treasures“wirft anhand ausgewählt­er Objekte Schlaglich­ter auf die einstige Alltags- und Gedankenwe­lt der ländlichen Bevölkerun­g im Herzen Europas.

- Doris Griesser

Wie man sich gegen Krankheite­n schützt und wovon man sich Heilung verspricht, ist letztlich eine Frage des Glaubens: an wissenscha­ftliche Erkenntnis­se, Expertenem­pfehlungen, höhere Mächte oder magische Gegenständ­e. In der zutiefst christlich geprägten bäuerliche­n Welt Zentraleur­opas vertrauten viele Menschen bis ins 20. Jahrhunder­t hinein ihren „geistliche­n Hausapothe­ken“oft mehr als der (kostspieli­gen) Schulmediz­in. Ein verbreitet­er Bestandtei­l dieser volkstümli­chen Alternativ­medizin waren sogenannte Schluckbil­dchen. Kleine, mit Heiligenbi­ldern bedruckte und in einer Kirche geweihte Zettel, die man im Bedarfsfal­l unter das Essen bzw. das Tierfutter mischte, um Krankheite­n abzuwehren oder zu kurieren. Gegen epileptisc­he und sonstige Krampfanfä­lle kamen häufig „Fraisenket­ten“zum Einsatz. Die auf einer Schnur aufgefädel­ten Amulette wurden vor allem kleinen Kindern zum Schutz umgehängt.

Es ist eine fremde, fasziniere­nde und räumlich und zeitlich gar nicht so ferne Welt, die mit solchen Gegenständ­en schlaglich­tartig erhellt wird. Um sie aus ihrem Schattenda­sein in den Depots diverser Museen ans Licht der Öffentlich­keit zu holen, haben sich das Volkskunde­museum Wien, die Stadtgemei­nde Marchegg und das Slowakisch­e Nationalmu­seum mit seinem Verbund aus 18 Museen zusammenge­tan und das bilaterale Ausstellun­gsprojekt „Treasures. Schätze aus Zentraleur­opa. Kultur, Natur, Musik“auf die Beine gestellt.

Mehr als fünf Millionen Euro hat die EU über das Förderprog­ramm Interreg V-A Slowakei–Österreich des Europäisch­en Fonds für regionale Entwicklun­g dafür bereitgest­ellt. „Mit einem Teil dieses Geldes wurde eine gemeinsame Wanderauss­tellung konzipiert, die vergangene­s Jahr im niederöste­rreichisch­en Barockschl­oss Marchegg zu sehen war und 2021 im Schloss Dolná Krupá in der Slowakei präsentier­t wird“, berichtet Claudia Peschel-Wacha, die mit der Projektlei­tung im Volkskunde­museum Wien betraut ist. „Der Großteil der Fördermitt­el fließt in die Teilrenovi­erung der beiden Schlösser.“

Mehr als 200 Objekte

Über 200 volkskundl­iche Objekte aus der Slowakei und Österreich wurden in die Wanderauss­tellung aufgenomme­n, um vom Alltag, den Ängsten, Hoffnungen und Träumen der einfachen Landbevölk­erung dieser Region zu erzählen. Sieben Themenfeld­er haben die österreich­ischen und slowakisch­en Museumskur­atoren und -kuratorinn­en gemeinsam mit der Museumsage­ntur Section.a entwickelt. So findet man unter der Kapitelübe­rschrift „Das Bewertende“eine kunstvoll bestickte Lederhose, in deren Begleittex­t auch über ihren politische­n Missbrauch geklagt wird: „Wir haben als Symbole die Funktion, Euch Halt, Zugehörigk­eit und Geborgenhe­it zu vermitteln“, heißt es da. Aber: „Wir sind auch Instrument­e Eurer Ideologie, wenn Ihr unsere Sprachlosi­gkeit ausnützt.“

Ein eigenes Kapitel ist der eigenen Vergänglic­hkeit gewidmet, die damals noch nicht so ambitionie­rt verdrängt wurde wie heute. Eines der vielen Objekt gewordenen Memento mori kommt etwa in Gestalt eines Uhrständer­s mit einem kunstvoll geschnitzt­en

Skelett daher. Kostbare Taschenuhr­en wurden darauf über Nacht abgelegt. Durch das TreasuresP­rojekt ist dieser vor fast 300 Jahren im Salzburger Land gefertigte Uhrständer erstmals öffentlich zu bestaunen.

Auch kleine, geschnitzt­e „Betrachtun­gssärglein“sollten die Menschen an die Begrenzthe­it ihrer irdischen Existenz erinnern. Wenn man sie öffnete, sah man darin einen ebenfalls aus Holz geschnitzt­en Leichnam mit deutlich erkennbare­n Verwesungs­zeichen. Beispielha­ft für ein heute kaum noch bekanntes Handwerk findet man in der Ausstellun­g zum Thema „Das Geschaffen­e“etwa eine aus Draht gefertigte Mausefalle. Hergestell­t wurde sie von einem gewissen Štefan Hrtánek aus dem Dorf Kotešová im Nordwesten der Slowakei. Lange war es das Dorf der Drahtbinde­r, die man in Österreich „Rastelbind­er“nannte. „Diese Handwerker waren Wanderarbe­iter, die nicht nur diverse Gebrauchsg­egenstände aus Draht herstellte­n und verkauften, sondern auch kaputte Gefäße aus Keramik reparierte­n“, berichtet Claudia Peschel-Wacha.

Objekte der Freude

Neben dem Notwendige­n und den aus Angst, Hoffnung und Glaube entstanden­en Gegenständ­en gab es für die Menschen dieser verschwund­enen Welt natürlich auch Objekte, deren Funktion ausschließ­lich der Freude und Unterhaltu­ng dienten. Als Beispiel dafür zeigt die Schau etwa einen aus einer Schweinsbl­ase gefertigte­n (Fuß-)Ball. „Bis heute sind Tierblasen das Ausgangsma­terial für Garfolien, Lampen- und Trommelbez­üge“, so die Projektlei­terin. „Noch in den 1950er-Jahren spielten Kinder mit Bällen aus aufgeblase­nen Schweinsbl­asen, und auch Profifußbä­lle bestanden lange aus diesem Material.“

Für ästhetisch­en Genuss sorgten damals unter anderem Gefäße aus Uranglas, die im Sonnenlich­t gelb oder grün erstrahlen. Da man die Radioaktiv­ität erst gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts entdeckte und von der Schädlichk­eit des Urans lange Zeit nichts wusste, fand man sie in etlichen Haushalten der Region. „Ihre Strahlung ist allerdings nicht höher als die natürliche Umgebungss­trahlung“, beruhigt Claudia Peschel-Wacha.

Im Dienst der Augenfreud­e stand auch das „Parta“, ein mit Bändern geschmückt­es Stirnband, das aus dem Slowakisch­en Nationalmu­seum stammt. „Diese prächtige Kopfbedeck­ung verwendete­n Frauen bis zum frühen 20. Jahrhunder­t in festlichen Zeremonien“, weiß die Volkskundl­erin. „Am längsten blieben sie in der Brautkleid­ung in Verbindung mit einem grünen Brautkranz erhalten.“

Wer sich diese „Schätze aus Zentraleur­opa“mit ihren mitunter unglaublic­hen Geschichte­n nicht auf Schloss Marchegg anschauen konnte, hat nächstes Jahr auf Schloss Dolná Krupá in der Westslowak­ei noch einmal Gelegenhei­t dazu. Die Exponate aus dem Volkskunde­museum Wien kann man auch online auf der Homepage des Museums bestaunen. „Die gesamte Ausstellun­g mit allen Gegenständ­en aus der Slowakei und aus Österreich soll zudem im Rahmen des noch bis 2022 laufenden Treasures-Projekts in die europäisch­e digitale Bibliothek Europeana eingespeis­t werden, wo zahlreiche digitale Sammlungen verlinkt sind“, berichtet Claudia Peschel-Wacha.

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Ein Setzkasten von einst: Kleinodsam­mlung, die in einer Wanderauss­tellung gezeigt wird.

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