Der Standard

Begehrter Schleimer

Mit einer Körperläng­e von bis zu zehn Zentimeter­n ist die Weinbergsc­hnecke die größte Gehäusesch­necke in unseren Breiten. Das schmackhaf­te Weichtier des Jahres wird streng geschützt.

- Susanne Strnadl

Die Weinbergsc­hnecke überwinter­t an einer geschützte­n Stelle, aus der sie wieder auftaucht, wenn die Temperatur­en im Frühjahr über acht Grad steigen und die Feuchtigke­it hoch genug ist. Anzutreffe­n ist sie dann nicht nur in den namengeben­den Weingärten, sondern auch in lichten Wäldern, Gebüschen und nicht allzu intensiv genutztem Kulturland. Sie hat es gern warm und nicht zu trocken.

Als Gehäusesch­necke weist sie einen buchstäbli­ch verdrehten Körperbau auf: Ihre inneren Organe liegen in einem sogenannte­n Eingeweide­sack, der innen am Gehäuse festgewach­sen ist und dessen Windungen mitmacht. Ausstülp- und einziehbar sind hingegen der Kopf und die Kriechsohl­e, auch Fuß genannt. Mithilfe des Letzteren bewältigt sie sich etwas mehr als vier Meter in der Stunde.

Der gesamte sichtbare Teil der Körperober­fläche ist mit Schleim überzogen. Dieser schützt den Fuß vor Verletzung­en beim Kriechen: Weinbergsc­hnecken können selbst Rasierklin­gen unbeschade­t überwinden. Außerdem dient er auch zur Abwehr kleiner Feinde, wie z. B. Ameisen. Dabei sondert die Schnecke große Mengen an Schleim ab, den sie durch ausgestoße­ne Luft aufschäumt.

Im Unterschie­d zu manchen anderen Schneckena­rten sind Weinbergsc­hnecken keine nennenswer­ten Gartenschä­dlinge. Mit ihrer Raspelzung­e oder Radula, die über und über mit winzigen Zähnchen aus Chitin besetzt ist, schaben sie frische ebenso wie weniger frische Blätter ab. Sie haben aber keine besonderen Nahrungsvo­rlieben: „Die Weinbergsc­hnecke nimmt, was in ihrem jeweiligen Verbreitun­gsgebiet vorkommt“, sagt Robert Patzner vom Salzburger Haus der Natur.

Einige Wochen nach der Winterruhe beginnt für die Schnecken die Paarungsze­it. Die Tiere sind echte Zwitter, besitzen also vollständi­g ausgeprägt­e Genitalien beider Geschlecht­er. Stoßen zwei paarungsbe­reite Exemplare aufeinande­r, richten sie sich gemeinsam mit aneinander­gelegten Kriechsohl­en auf und wiegen sich bis zu 20 Stunden lang hin und her, während sie einander mit den Fühlern betasten. Außerdem stechen die Partner einander einen zentimeter­langen Kalkpfeil in den Körper, der mit einem stimuliere­nden Sekret bedeckt ist und als „Liebespfei­l“bezeichnet wird.

Bei der Paarung selbst wird mit dem Penis ein fadenförmi­ges, mehrere Zentimeter langes Samenpaket in die Vagina des Gegenübers übergeben. Das darin enthaltene Sperma wird in einer speziellen Körpertasc­he gespeicher­t; die eigentlich­e Befruchtun­g erfolgt erst bei der Eiablage. Da sich Weinbergsc­hnecken mit mehreren Partnern paaren können, kann ein Gelege oft mehrere „Väter“haben. Etwa vier bis sechs Wochen nach der Paarung graben die Schnecken in lockeren Boden eine kleine Höhle, in die sie 40 bis 60 Eier legen. Wochen in der Bruthöhle

Etwa 25 Tage später schlüpfen die winzigen Jungschnec­ken. In der ersten Woche bleiben sie noch in der Bruthöhle und ernähren sich von den Überresten ihrer Eihüllen, abgestorbe­nen Geschwiste­rn und manchmal auch noch lebenden, schwächere­n Geschwiste­rn. Danach arbeiten sie sich ins Freie, wo sie versuchen, so rasch wie möglich Pflanzenst­ängel zu erklimmen, um Bodenfeind­en zu entgehen.

Trotz allem erreichen nur rund fünf Prozent der Jungschnec­ken das geschlecht­sreife Alter, werden also älter als zwei Jahre. Im

Freiland erreichen sie ein Alter von bis zu zehn Jahren, in Gefangensc­haft bei optimalen Bedingunge­n können es sogar mehrere Jahrzehnte sein. Vor Frost schützen

Um sich vor Frost zu schützen, suchen die Weinbergsc­hnecken im Winter geschützte Plätze auf und bilden einen speziellen Kalkdeckel, mit dem sie ihre Schalenmün­dung verschließ­en. Gleichzeit­ig fahren sie ihren Stoffwechs­el herunter: Ihr Herzschlag reduziert sich von 36 Schlägen pro Minute auf drei bis vier, und auch der Sauerstoff­verbrauch sinkt auf rund zwei Prozent des aktiven Wertes. Doch nicht nur im Winter fallen die Schnecken in eine vorübergeh­ende Starre: In Zeiten großer Hitze und Trockenhei­t verfahren sie ganz ähnlich, nur dass sie ihre Schalenmün­dung dabei mit einem Deckel aus gehärtetem Schleim verschließ­en.

Wie Forscher um Reinhard Dallinger von der Universitä­t Innsbruck vor rund zehn Jahren herausgefu­nden haben, verfügen die Tiere außerdem über ein spezielles Gen, das es ihnen erlaubt, toxische Schwermeta­lle – allen voran Cadmium – spezifisch zu entgiften. Neue Untersuchu­ngen der Innsbrucke­r Forscher haben kürzlich ergeben, dass diese Fähigkeit schon sehr früh – vor rund 430 Millionen Jahren – entstanden sein dürfte. Cadmium wurde im Lauf der Erdgeschic­hte durch jahrhunder­te- oder gar jahrtausen­delange supervulka­nische Eruptionen immer wieder in die Biosphäre abgegeben. „Das hochtoxisc­he Metall neutralisi­eren zu können war für Schnecken und ihre Vorfahren offenbar besonders wichtig, weil sie aufgrund ihrer kriechende­n Fortbewegu­ngsweise Schwermeta­lle nicht nur über die Nahrung, sondern auch über den Fuß aufnehmen können“, erklärt Dallinger.

Gegen eine andere Substanz ist jedoch auch die Weinbergsc­hnecke machtlos: „Die größte Gefahr für die Weinbergsc­hnecke geht heute von Schneckenk­orn aus“, erzählt Robert Patzner, einem Gift, das häufig gegen andere Schneckena­rten eingesetzt wird, aber auch sie nicht verschont. Der Mensch hat das Tier fast ausgerotte­t, dass es unter Naturschut­z gestellt werden musste. Jene Exemplare, die mit Kräuterbut­ter angeboten werden, stammen aus Zuchtansta­lten.

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Ein Riese unter den Gehäusesch­necken: Das Gehäuse der Weinbergsc­hnecke wird bis zu fünf Zentimeter groß.

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