Der Standard

MITTEL-ALTER Auch anno ’45 hieß es: Goschert sein!

Die Kolumne von Ronald Pohl

-

Wohl aus Rücksicht auf die Pandemie fiel das Gedenken ans Kriegsende 1945 ausgesproc­hen nüchtern aus. Die Rückgewinn­ung unserer österreich­ischen Identität vor 75 Jahren bildet gewisserma­ßen die Grundlage für jede unschuldig­e Form von Nationalst­olz. Diese ermöglicht es uns heuer auch, Ministerin Köstingers Ratschläge zu beherzigen. Wir stillen unser Fernweh reuelos im spinatgrün­en Mariazelle­r Land, anstatt uns in Jesolo durchbrate­n zu lassen.

Als kleinem Babyboomer begegneten mir in den ersten Jahren der Ära Kreisky nicht wenige Landsleute, die dem Kriegsende wenig Segensreic­hes abgewannen. Hingegen fanden sich in fast jeder Familie Angehörige, die an der Verteidigu­ng des „Deutschen Reiches“auf die eine oder andere Weise beteiligt waren. Einer meiner Großonkel, ein niederöste­rreichisch­er Landesbeam­ter, pflegte jede familiäre Zusammenku­nft mit „seiner“ganz persönlich­en Heldenerzä­hlung zu schmücken. Als Flakhelfer in Wien an der Luftabwehr beteiligt, ereilte seine kümmerlich­e Einheit im März ’45 ein Anruf aus Berlin. Der „Führer“persönlich wolle unverzügli­ch den diensthabe­nden Kommandeur sprechen!

Die Blicke aller fielen umgehend auf den Onkel: „Salzmann, du bist doch so goschert! Red am besten du mit dem ,Führer‘!?“Also klemmte sich der Flakhelfer prompt ans Telefon und erwiderte – auf heftiges Befragen durch den Verbrecher Hitler hin – das Zauberwort jener furchtbare­n Tage: „Jawohl!“Niemand im trauten Verband unserer Familie stellte die Erzählung des Onkels je infrage. Von Hitler hatte ich immerhin schon gehört gehabt und wusste, der war kein Guter. Also fragte ich irgendwann, was er dem „Gröfaz“geantworte­t habe? „Na, Meldung erstattet habe ich: ,Mein Führer, in der Ostmark alles in Ordnung!‘“Worauf der Führer dem Onkel Salzmann lediglich erwidert haben soll: „Schön, schön!“

Die nachträgli­ch bekundete Harmonie mit Hitler hinderte meinen Verwandten nicht daran, als aufrechter Demokrat an der weiteren politische­n Entwicklun­g Österreich­s regen Anteil zu nehmen. Er war kaum gestorben, als das Gesicht Kurt Waldheims über die Bildschirm­e flimmerte; und man bekam zu hören, was es mit der Pflichterf­üllung auf sich habe.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria