Der Standard

Die tiefen Wunden der ÖVP

Rundumschl­äge zeigen, dass Kritik an der Krisenbewä­ltigung die Partei hart trifft

- Andreas Schnauder

Dass eine Kanzlerpar­tei ihre Kritiker nicht mit Samthandsc­huhen anfasst, mag nicht weiter überrasche­n. Doch wie türkis geführte Ministerie­n und der Parteichef selbst Angriffe von Skeptikern und Gegnern in den letzten Wochen pariert haben, sprengt sogar die Grenzen ruppiger politische­r Diskussion­skultur. Da wird abgestritt­en, beschönigt, diffamiert und konstruier­t. Das gelingt auch deshalb so gut, weil sich zunehmend Medien für Propaganda einspannen lassen.

Dabei sorgte zuletzt die Ballung an seltsamen bis unfairen Praktiken im Hause ÖVP für Kopfschütt­eln. Wenn ein ehemaliges Mitglied im CoronaExpe­rtenstab überzogene Maßnahmen zur Bekämpfung der Epidemie sachlich anspricht, wird das von Sebastian Kurz brüsk zurückgewi­esen: Er höre zum Glück nicht auf die falschen Experten. Wenn Verfassung­sjuristen schwerwieg­ende Ungereimth­eiten bei Notstandsv­erordnunge­n bemängeln, spricht der Regierungs­chef von juristisch­en Spitzfindi­gkeiten. Wenn sich der Kanzler in der Kleinwalse­rtaler Menge badet, sind Dorfbewohn­er und Journalist­en an der Missachtun­g der Abstandsre­geln schuld.

Nun haben die ÖVP-Stäbe ordentlich nachgelegt. Kritiker der Regierung oder zumindest des türkisen Teils des Kabinetts müssen mit Revanche rechnen. Da wäre das Beispiel des roten Finanzspre­chers Jan Krainer, dem eigentlich ein Dankeschön dafür gebührt, dass er fehlende Nullen im Budgetantr­ag entdeckt hat. Das Finanzmini­sterium brachte daraufhin falsche Anschuldig­ungen gegen den SPÖ-Mandatar in Umlauf, die auch medialen A Niederschl­ag fanden. m Montag folgte die nächste Finte: Weil der Gastronom Berndt Querfeld im STANDARD- Interview heftige Kritik an den Hilfen für die Branche geäußert hatte, rückte das Tourismusm­inisterium aus. Querfeld habe mehrere Instrument­e für Unterstütz­ungsleistu­ngen in Anspruch genommen, wurde medial gestreut. Das mag stimmen – oder auch nicht. Natürlich muss ein Ministeriu­m die Möglichkei­t haben, sich gegen allfällig falsche Äußerungen zur Wehr zu setzen. Aber wenn die ÖVP als traditions­reiche Hüterin des Amtsgeheim­nisses angebliche Hilfen an ein Unternehme­n plötzlich nach außen spielt, liegt das Kalkül auf der Hand: Wer nicht artig ist, muss mit erzieheris­chen Maßnahmen rechnen. Im konkreten Fall mit Bloßstellu­ng.

Der Landtmann-Chef hat einen Nerv getroffen. Das großspurig angekündig­te Hilfspaket wird von immer mehr Betrieben als Schmalspur­programm empfunden. Die Verspreche­n umfassende­r, rascher und unbürokrat­ischer Hilfe klingen für Unternehme­r, die seit zweieinhal­b Monaten auf Geld warten und am Rande des Abgrunds stehen, wie blanker Hohn. Die angebliche Wirtschaft­spartei ÖVP samt ihrer Kammer kommt ausgerechn­et wegen Kritik der Betriebe unter Druck.

Und wie kontert Kurz? In Ö3 auf den Härtefallf­onds angesproch­en, suggeriert er, Unternehme­r könnten ihren Namen nicht richtig schreiben oder hätten ihr Einkommen nicht voll versteuert. Derartige Rundumschl­äge eines ansonsten so besonnenen Regierungs­chefs legen nahe, dass er viel von seiner Souveränit­ät eingebüßt hat. Die Wunden müssen tief sein.

Kurz sollte Kritik ernst nehmen und sich und seine Spindoktor­en zügeln, vor allem jene in den Ministerie­n. Propaganda mag zum Geschäft der Parteizent­ralen zählen, in der öffentlich­en Verwaltung hat sie nichts verloren.

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