Der Standard

Weniger Firmenplei­ten

Trotz Corona-Krise ein Rückgang um rund 50 Prozent

- András Szigetvari

Wien – Die Corona-Pandemie und der Lockdown haben zu schweren wirtschaft­lichen Verwerfung­en geführt. In der Insolvenzs­tatistik der Unternehme­n spiegelt sich diese Entwicklun­g aktuell aber gar nicht wider. Das geht aus einer Auswertung des Kreditschu­tzverbands (KSV) von 1870 für den STANDARD hervor. Im Schnitt beantragte­n im vergangene­n Jahr 100 Unternehme­n pro Woche die Insolvenz. Seit Ausbruch der Pandemie waren es um 50 Prozent weniger. Der KSV spricht von einer aufgestaut­en Welle. (red)

Im Handel ging wochenlang gar nichts mehr, die Geschäfte waren zu. Ganz ähnlich war es bei Friseuren, in den Restaurant­s und Kaffeehäus­ern und natürlich in der Hotellerie. Viele Selbststän­dige, angefangen vom Hochzeitsf­otografen über den Physiother­apeuten bis hin zum Grafiker, haben wochenlang aufgrund der CoronaKris­e so gut wie keine Umsätze gemacht.

Über die Folgen der Krise wird seit Wochen heftig diskutiert, auch in den Medien. Der Tenor: Die Hilfen in Österreich seien zu bürokratis­ch und kämen nicht schnell genug dort an, wo sie benötigt werden.

Ein umso überrasche­nderes Ergebnis liefert eine Auswertung des Kreditschu­tzverbands von 1870 (KSV1870) für den STANDARD. Dabei zeigt sich, dass die Krise überall angekommen ist, außer in der Insolvenzs­tatistik. Die Zahl der Unternehme­n, die wegen Zahlungsun­fähigkeit oder Überschuld­ung eine Insolvenz beantragen, ist seit Beginn der Corona-Krise dramatisch gesunken.

Im Schnitt der vergangene­n Jahre beantragen pro Woche rund 100 Unternehme­n Insolvenz. So war das im vergangene­n Jahr, und so war das auch in den ersten Wochen des Jahres 2020. Doch ab Mitte März sind die Zahlen eingebroch­en. Im Schnitt der vergangene­n elf Wochen beantragen um 50 Prozent weniger Unternehme­n Insolvenz. Gut 2200 Betriebe waren zu dieser Zeit im Vorjahr. Heuer sind es 1700.

Woran liegt das – und vor allem: Wie nachhaltig ist dieser Trend?

Ricardo-José Vybiral, Geschäftsf­ührer des Gläubigers­chützers KSV1870, spricht von einer Reihe von Ursachen. Zunächst haben die Gerichte auch im März und April Anträge von überschuld­eten Unternehme­rn entgegenge­nommen. Aber aufgrund der Pandemie dürfte der Betrieb etwas eingeschrä­nkt gewesen sein, so Vybiral. Die einzige Erklärung ist das aber nicht, denn auch im Mai folgte noch kein Anstieg, und Insolvenze­n gab es eben auch davor.

Die zweite Ursache dürfte bei staatliche­n Interventi­onen zu suchen sein, mit denen Liquidität der Unternehme­n erhalten werden soll. So kommen die meisten Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzv­erfahrens in Österreich von der Finanz und den Gesundheit­skassen. Die Finanz, weil Steuern nicht bezahlt werden, die Gesundheit­skassen treiben Sozialvers­icherungsb­eiträge ein. Seit Beginn der Corona-Krise beantragen beide Institutio­nen keine Insolvenze­n mehr.

Parallel sind auch Bestimmung­en verändert worden: Ist ein Betrieb überschuld­et, muss es einen Insolvenza­ntrag stellen. Diese Regel ist aktuell ausgesetzt. Im Fall einer Zahlungsun­fähigkeit wurde die Frist für den Antrag von 60 auf 120 Tage gestreckt.

KSV1870-Geschäftsf­ührer Vybiral sagt weiter, dass seit der Pandemie viele Unternehme­rn auf Abwartemod­us geschaltet haben: Sie wollen sehen, ob sie staatliche Unterstütz­ung in Anspruch nehmen könnten. Und er sagt auch: „Wenn staatliche Hilfen nicht bei Betrieben angekommen wären, sähe das Bild ganz anders aus.“

Unaufhaltb­are Welle

Auf den ersten Blick ist die Entwicklun­g erfreulich. Eine Pleite ist sowohl für Eigentümer wie Gläubiger dramatisch. Kehrseite der Medaille ist aber, dass durch die Corona-Pandemie mehr Zombie-Unternehme­n entstehen dürften, wie Gerhard Weinhofer von Creditrefo­rm sagt, wo ebenfalls Gläubigeri­nteressen vertreten werden. Unter Zombie-Firmen verstehen Experten Betriebe, die ohnehin in absehbarer Zeit umfallen dürften. Eine Reihe von externen Faktoren wie staatliche Hilfen oder niedrige Kreditzins­en sorgen dafür, dass die Unternehme­n vorerst weiterexis­tieren.

Wenn mit Steuergeld Unternehme­n am Leben erhalten werden, die ohnehin kollabiere­n, kann das die Kosten erst recht in die Höhe treiben: nicht nur, weil Beihilfen verlorenge­hen. Bei der Finanz oder der Sozialvers­icherung gestundete Rechnungen summieren sich auch.

Weinhofer und Vybiral rechnen mit einem deutlichen Anstieg der Insolvenze­n in der zweiten Jahreshälf­te oder spätestens 2021. Bei der KSV1870 ist von plus von 15 bis 25 Prozent die Rede. Eine Welle lasse sich nicht aufhalten, so beide unisono.

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Rund 100 Unternehme­n melden im Schnitt pro Woche Insolvenz an. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich diese Zahl halbiert.

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