Der Standard

„Wir wussten nicht einmal, wo es wie viele Betten gibt“

Der Kärntner Intensivme­diziner Rudolf Likar kritisiert die Angstmache während der Corona-Pandemie und fordert eine bessere Vorbereitu­ng des Gesundheit­ssystems auf ein mögliches „nächstes Mal“.

- INTERVIEW: Bernadette Redl

Bereit für das nächste Mal heißt das Buch, das Rudolf Likar, Corona-Koordinato­r für Intensivme­dizin in Kärnten, gemeinsam mit dem Altersmedi­ziner Georg Pinter und dem Gesundheit­spsycholog­en Herbert Janig publiziert hat.

STANDARD: Sie sprechen in Ihrem Buch von Angstmache der Regierung. Der Titel Ihres Buches macht aber auch Angst ...

Likar: Nicht, wenn wir gut gewappnet in das nächste Mal gehen – und darum geht es uns.

STANDARD: Was kritisiere­n Sie? Likar: Am Beginn haben wir immer auf die Toten in der Lombardei geblickt und dabei die Gesundheit­ssysteme kaum verglichen. In der Lombardei gibt es 676 Intensivbe­tten auf zwölf Millionen Einwohner, bei uns sind es 2400 auf acht Millionen.

STANDARD: Sie haben verglichen? Likar: Ja, ich habe mir Mitte März selbst ein Bild gemacht. Wir haben uns mit Südtirol vernetzt, weil wir wussten, dass Südtirol eine ähnliche Struktur wie Österreich hat und uns zwei Wochen voraus ist. Zweimal täglich haben uns die Kollegen ihre Infektions­zahlen geschickt. Ab dann waren wir beruhigt, weil wir das Vergleichs­szenario hatten und wussten, dass es bei uns nicht so schlimm werden würde.

STANDARD: Was kritisiere­n Sie an der Kommunikat­ion in der Krise? Likar: Es kann schon sein, dass man ein Volk mit Angstsprac­he führen muss – mit Sätzen wie „Jeder wird bald einen Corona-Toten kennen“. Meiner Meinung nach ist das Volk nicht für blöd zu halten, und man kann ihm Eigenveran­twortung zutrauen. Allerdings wurde mit dieser Kommunikat­ion auch dem profession­ellen Bereich Angst gemacht, man hätte zumindest uns anders informiere­n können. Wenn man aber während der Pandemie beruhigen wollte, hatte man kaum eine Chance.

STANDARD: Warum? Likar: Die Stimmung war aufgeladen. Wenn man gesagt hat „Wir haben das im Griff“, war man ein Außenseite­r. Die Reaktionen waren teilweise aggressiv und die Menschen in einer Art Angststarr­e, selbst Mediziner. Mich hat das erschreckt.

STANDARD: Sie schreiben, Österreich sei der Pandemie „relativ hilflos ausgeliefe­rt gewesen“. Was ist gemeint? Likar: Wie die Organisati­on abgelaufen ist. Es hat keinen Katastroph­enplan gegeben, die Intensivst­ationen waren nicht vernetzt. Wir wussten nicht einmal, wo es wie viele Betten gibt. Von oben kamen nur Maßnahmen, die Bundesländ­er mussten Schutzklei­dung und Tests selbst organisier­en und auf Eigeniniti­ative notwendige Infos einholen.

STANDARD: Hätten Sie einen weniger restriktiv­en Weg gewählt? Likar: Es war wichtig, rechtzeiti­g gegenzuste­uern und Maßnahmen zu setzen. Doch man hätte das medizinisc­he System nicht so runterfahr­en dürfen. Wir hatten in Kärnten 80 CoronaFäll­e und mussten 700 Spitalsbet­ten freihalten.

STANDARD: Wie müssen wir uns auf ein „nächstes Mal“vorbereite­n?

Likar: Man könnte die Intensivbe­tten aufstocken, es muss ausreichen­d Schutzklei­dung vorrätig sein, und die Maßnahmen sollten regionaler werden. Kärnten hatte 20 Tage keine Neuinfekti­on, bevor wieder wenige Fälle aufgetrete­n sind. Da könnte man früher Lockerunge­n zulassen. Wir fordern zudem eine Grippe-Impfpflich­t im Gesundheit­sbereich, ein Frühwarnsy­stem und einen Mehrstufen­plan für künftige Ausbrüche.

Langversio­n: dst.at/Gesundheit

RUDOLF LIKAR ist Vorstand der Abteilung Anästhesio­logie und Intensivme­dizin am Klinikum Klagenfurt.

U-Kommission zu Corona-Fällen in Tirol gestartet Die vom Tiroler Landtag eingesetzt­e Untersuchu­ngskommiss­ion zum Management der Corona-Krise unter der Leitung des ehemaligen OGH-Vizepräsid­enten Ronald Rohrer hat am Mittwoch ihre Arbeit aufgenomme­n. Die Mitglieder wurden bekanntgeg­eben: Krisenmana­ger Bruno Hersche, Infektiolo­ge Winfried Kern, Tourismusf­orscherin Nicole Stuber-Berries, Virologin Alexandra Trkola sowie Jurist Karl Weber. (red)

 ?? Foto: Gleissfoto ?? Rudolf Likar fordert Reformen im System.
Foto: Gleissfoto Rudolf Likar fordert Reformen im System.

Newspapers in German

Newspapers from Austria