Der Standard

Massive Kritik am „Lauschangr­iff“im Buwog-Prozess

Strafproze­ssexperten sehen Grundrecht­e verletzt – Gericht nimmt weiter in den Pausen auf, Prozesstei­lnehmer müssen aus dem Saal

- Renate Graber

Das Vorgehen des Gerichts im Buwog-Prozess, der in seiner Gesamtheit in Bild und Ton mitgeschni­tten wird, erregt Kritik. Nicht nur bei der Verteidigu­ng. Sie ortet ja einen „Lauschangr­iff“und hält es für unrechtmäß­ig, dass auch in den Pausen weiter aufgezeich­net wird – was man bisher nicht wusste.

Dabei würden auch streng vertraulic­he Gespräche der Anwälte mit ihren Mandanten, aber auch solche von Zuhörern mitaufgeno­mmen. Die Verteidige­r sehen u. a. das Recht auf einen fairen Prozess verletzt, zudem stellen sie Verstöße gegen Datenschut­z- und Strafgeset­z (Missbrauch von Tonaufnahm­egeräten; § 120 StGB) in den Raum. Das Straflande­sgericht weist das zurück. Man zeichne aus technische­n Gründen auch in den Pausen auf, um nicht zu vergessen, die Geräte danach wieder einzuschal­ten, erklärte Gerichtspr­äsident Friedrich Forsthuber.

In der Verhandlun­g am Mittwoch zollte Buwog-Richterin Marion Hohenecker den Vorwürfen insofern Rechnung, als in der Pause alle Prozesstei­lnehmer den Saal verlassen mussten. Die Aufnahmen liefen aber weiter, erklärte die Richterin. Die Schriftfüh­rerin war nicht im Raum.

Der Innsbrucke­r Universitä­tsprofesso­r für Straf- und Strafproze­ssrecht, Klaus Schwaighof­er, hält das Vorgehen des Gerichts für „objektiv unzulässig“. Zwar erlaube die Strafproze­ssordnung (StPO) Ton- und Bildaufzei­chnungen in der Hauptverha­ndlung (HV), Pausen gehörten aber eben nicht zur HV. Was den Verdacht betrifft, es werde gegen § 120 StGB verstoßen, sieht er die Weitergabe des unzulässig mitgeschni­ttenen Materials an die Schriftfüh­rerin (zu deren Unterstütz­ung die Aufnahmen dienen) kritisch. Allerdings: Vorsatz, den das Delikt verlangt, sei sicher nicht gegeben, also auch kein Amtsmissbr­auch.

Pausen sind tabu

Die verfassung­srechtlich geschützte Privatsphä­re ist in den Augen Schwaighof­ers aber sicher verletzt. Und: Keinesfall­s könne das Gericht so inkorrekt weitertun: „Man muss präzise darauf achten, dass nur in der Hauptverha­ndlung aufgezeich­net wird.“

So sieht das auch Rechtsanwa­lt und Transparen­cy-Österreich-Vorstandsm­itglied Georg Krakow. Unterbrech­ungen in der HV dürften nicht aufgenomme­n werden, für Videoaufna­hmen „im hoheitlich­en Bereich“, wie es die Justiz ist, brauche es eine gesetzlich­e Grundlage, „die sehe ich aber nicht“. Auch Krakow (ehedem Bawag-Staatsanwa­lt) hält vor allem die Aufnahme der Gespräche von Verteidige­rn mit den Angeklagte­n für problemati­sch, wenn diese Dritten zugänglich gemacht würden. Und das sei auch bei der Weitergabe an die Verteidige­r der Fall.

Landen die Aufnahmen bei den Anwälten (sie dürfen das Material laut StPO bekommen), könne jeder Anwalt jeden Angeklagte­n hören – und das gehe nicht. „Wenn so etwas schon passiert, hätten alle in den Pausen entstanden­en Aufnahmen rausgeschn­itten werden müssen“, findet Krakow. Dass die Aufnahmege­räte nun trotzdem in den Pausen weiterlauf­en, hält auch er für „sehr hinterfrag­enswert“. Und wenn die Richterin anordnet, dass alle den Saal verlassen müssen in den Pausen? Dann, so der Jurist, könne sich niemand aufregen, wenn er aufgenomme­n wird, weil er sich unrechtmäß­ig im Raum befinde. Allerdings: „Einfacher und dem Gesetz entspreche­nder wäre es, wenn man die Stopp- und Starttaste der Geräte betätigen würde.“

Strafrecht­s- und Strafproze­ssrechtspr­ofessor Robert Kert (WU Wien) kritisiert vor allem „den massiven Verstoß“gegen die Grundrecht­e, wie jenes auf Privatsphä­re oder Verteidigu­ng. Kerts Schlussfol­gerung: „Der Justiz fehlt die Grundrecht­ssensibili­tät.“

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