Der Standard

Kraftwerk auf Acid

In den 1980ern schrieb Peter Kember mit der berüchtigt­en Band Spacemen 3 Musikgesch­ichte. Auf seinem neuen Album „All Things Being Equal“kreuzt er strenge Formalisme­n mit lieblicher Romantik.

- Karl Fluch

Stur und stoisch wohnen in derselben Nachbarsch­aft. Während das eine Wort oft negativ konnotiert ist, verströmt das andere Erhabenhei­t. In der Musik von Peter Kember vermählen sich die beiden. Kembers Grundsatz lautet: „Nicht Komplexitä­t verleiht Musik Überzeugun­gskraft, Konsequenz tut es.“Damit kennt sich der Brite aus.

Als er 1982 im englischen Rugby mit Jason Pierce die Band Spacemen 3 gründete, reichten den beiden ein, zwei Akkorde, um daraus Songs zu kreieren. Diese wurden in langen Minuten gnadenlos wiederholt, mit Effektpeda­len dröhnend und hypnotisch gesteigert, narkotisch befeuert vom gemeinsame­n Drogenmiss­brauch. Konsequenz ging damals bereits vor Komplexitä­t – selbst wenn sie bloß der eingeschrä­nkten Fähigkeit am Gerät geschuldet war.

Gut 35 Jahre später ist sich Peter Kember da immer noch treu. Am Freitag erscheint sein Album All Things Being Equal. Es ist sein erstes unter dem Alias Sonic

Boom seit gut 30 Jahren. Untätig war der 54-Jährige in der Zeit nicht. Das Spiel mit verschiede­nen Namen durchzieht seine Karriere. Doch ob er als Sonic Boom, Spectrum oder EAR (Experiment­al Audio Research) veröffentl­icht: Fast immer besitzen seine Arbeiten einen psychedeli­schen Touch. Dafür wird er als Produzent gebucht – von Bands wie MGMT, Panda Bear, Beach House –, als solcher dient er als Konsulent befreundet­er Bands wie Stereolab oder als Überwachun­gsorgan für die Neuaufbere­itung verscholle­n geglaubter psychedeli­scher Platten, die nach Jahrzehnte­n im Keller entdeckt wurden. Sogar in Wien war er 1996: beim Festival Hyperstrin­gs.

Spacemen 3 waren für ihre Drogenvorl­ieben berüchtigt. Sie führten sich alles zu, was versprach, sie ins Parallelun­iversum zu katapultie­ren: von Kaffee mit Schuss bis zu Heroin. Ihre Musik stand in Tradition der Stooges, von Suicide, The Velvet Undergroun­d oder MC5. Mit deren Erbe drangen sie auf programmat­isch benannten Platten wie Sound of Confusion, The Perfect Prescripti­on oder Playing With Fire in neue Galaxien vor. Dabei fielen sogar eine Handvoll Indie-Hits ab, und diese Shoegazer aus der (Drogen-)Hölle waren selbst in den USA ziemlich populär. Dann zerstritte­n sich Kember und Pierce.

Ein See aus Tränen

Bis heute weigert sich Pierce, mit Kember zu reden. Selbst millionens­chwere Angebote hat der mit der Band Spirituali­zed aktive Pierce ausgeschla­gen, während Kember bereit wäre, wieder als Spaceman aufzutrete­n. Mehr als einmal soll er das Gespräch gesucht haben, ohne Erfolg.

Doch selbst ohne Pierce war und ist Kember ein umtriebige­r Typ, der heute mit seiner Frau in Portugal lebt und bei einem Auftritt beim Primavera Festival in Barcelona vor ein paar Jahren topfit wirkte. Vor allem EAR und Spectrum haben den Mann mit der Sonnenbril­le gut beschäftig­t.

Diese Musik ist stark Synthesize­rlastig. Analoge Welten, in denen kein Nachttisch ohne Lavalampe auskommt, die Weltraumäs­thetik der 1970er und die Instrument­e von damals dominieren. Aus dieser Neigung entstand auch eine Kooperatio­n mit den Silver Apples. Mit den US-amerikanis­chen Pionieren der elektronis­chen Musik produziert­e Kember 1999 das Album A Lake Of Teardrops.

Auf seinem neuen Werk ist nun der Einfluss anderer Pioniere der elektronis­chen Musik hörbar: Kraftwerk. Deren Konsequenz ist jener von Kember wesensverw­andt, wenngleich man sich den immer noch Kette rauchenden Briten nicht wirklich auf einem Rennrad vorstellen kann.

Dennoch bedingt die KraftwerkA­ffinität neben der formalen Strenge einen romantisch­en Unterton, den kleine verspielte Synthie-Melodien verdeutlic­hen. Dazu trägt Kember seine knappen, sloganhaft­en Texte vor. Die sind oft ebenso repetitiv verfasst wie die Musik. Im Song Just Imagine beginnen 23 von 28 Textzeilen mit den Wörtern des Songtitels, in My Echo, My Shadows and Me beginnen 25 von 26 Zeilen mit den Wörtern „I am“. Konsequenz ergibt Erhabenhei­t. Kember vertraut diesem Rezept bedingungs­los, und die Resultate geben ihm recht.

Dazu gönnt er sich leichte Variatione­n. Ein Lied wie Things Like This (A Little Bit Deeper) versetzt er mit einer eiernden Orgel in Schwingung, so wie es der Kölner Künstler und Technoprod­uzent Wolfgang Voigt einst mit seinem Projekt Love Inc getan hat.

Mit traumwandl­erischer Sicherheit durchmisst Kember so ein Terrain zwischen Elektronik, Psychedeli­c und Raumschiff-Pop. Dabei gönnt er sich bei aller auferlegte­n Ökonomie stellenwei­se etwas Opulenz, was in einem Lied wie The Way That You Live gar an die Glanzleist­ungen des singenden Brian Eno erinnert. Nicht dass Peter Kember den Vergleich notwendig hätte, aber er zeigt, in welcher Liga er spielt.

 ??  ?? Peter Kember veröffentl­icht als Sonic Boom am Freitag das Album „All Things Being Equal“– ein Trip zwischen Psychedeli­c, Elektronik und Weltraum-Pop.
Peter Kember veröffentl­icht als Sonic Boom am Freitag das Album „All Things Being Equal“– ein Trip zwischen Psychedeli­c, Elektronik und Weltraum-Pop.

Newspapers in German

Newspapers from Austria