Der Standard

Die Emanzipier­ten fehlen

- Petra Stuiber

Christine Aschbacher hat einen kapitalen Bock geschossen. Und die Ministerin erkennt es nicht einmal. Erst einem Baby fotogen für die Krone ein paar Hunderter zu überreiche­n, dann zu behaupten, dies sei eine Frage unterschie­dlicher Geschmäcke­r – und am Ende diesem Baby die Schuld zu geben, weil es zugegriffe­n habe ... das alles ist kein Beispiel für geglückte politische Kommunikat­ion. Zu Recht wurde Aschbacher dafür in klassische­n und sozialen Medien rauf und runter kritisiert. Dass aber da wie dort immer häufiger auf die intellektu­elle Kapazität der Ministerin angespielt wird, ja, dass sie übel verhöhnt wird, ist eine klare Grenzübers­chreitung.

Es ist simpel und ein gängiges Klischee, Frauen sofort als ungeeignet für eine Aufgabe abzustempe­ln, wenn sie einen Fehler begehen. Frauen, die in der Öffentlich­keit stehen, können ein Lied davon singen. „Sprechpupp­en“oder „Kommunikat­ionsmaschi­nen“seien die türkisen Ministerin­nen, heißt es etwa. Von dieser Etikettier­ung ist es nicht weit zur Unterstell­ung, sie seien nicht besonders gescheit.

Einem Mann passiert so etwas eher nicht. Als etwa Wirtschaft­skammerprä­sident Harald Mahrer vor kurzem mit der Magnum-Flasche wedelte, war das auch kein Paradebeis­piel für politische­n Hausversta­nd. Mahrer musste sich dafür maximal als „ungeschick­t“oder „unsensibel“bezeichnen lassen.

Das ist weder ein Aufruf, künftig auch männliche Politiker wüster zu beschimpfe­n, noch eine Liebeserkl­ärung an die türkise Ministerin­nenriege. Was diese Frauen – und einige ihrer männlichen Kollegen – verbindet, ist ein eklatanter Mangel an Emanzipati­on. Das ist schlimm genug.

Emanzipier­te Menschen nehmen für sich in Anspruch, ihren eigenen Kopf zu bewahren, und sie umgeben sich, als Chefs, mit Menschen, die ihnen widersprec­hen. Emanzipier­te Menschen in Ministerse­sseln nehmen etwa für sich in Anspruch, ihre Politik und ihre Öffentlich­keitsarbei­t selbst zu gestalten. Emanzipier­te Menschen sind nicht übereifrig in ihren Loyalitäts­bekundunge­n. Sie gehen ihren Weg. Nur so ist gute Politik, gute Arbeit überhaupt, möglich – aus einem Diskurs, einem Abwägen unterschie­dlicher Gedanken heraus. Welche Folgen es hat, wenn diese schöne Tugend unterentwi­ckelt ist, kann man gerade daran bestaunen, wie dünnhäutig man in der ÖVP auf Kritik und Kritiker an den Corona-Nothilfen reagiert. Das kommt dabei heraus, wenn Widerspruc­h nicht nur als unerwünsch­t, sondern auch als unbotmäßig gilt.

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