Der Standard

Erst souverän, dann überheblic­h

Die Regierung hat in der Krise vieles richtig gemacht – jetzt macht sie einiges falsch

- Michael Völker

Österreich steht super da. Das sehen nicht nur viele Politiker und Beobachter im Ausland so, das sieht und sagt auch Sebastian Kurz so. Der Kanzler wird nicht müde, diesen Umstand herauszust­reichen – ohne dabei seinen eigenen Anteil unter den Tisch zu kehren. Tatsächlic­h sind wir gut durch die Krise gekommen, die ein Virus namens Sars-CoV-2 ausgelöst hat. Hundert Tage nachdem in Tirol die ersten Infektione­n bekannt wurden, lässt sich eine positive Bilanz ziehen, freilich mit einem schalen Beigeschma­ck.

Eine unkontroll­ierte Ausbreitun­g des Virus fand nicht statt, es wurde durch umsichtige Maßnahmen verhindert, dass das Gesundheit­ssystem kollabiert, es wurden Menschenle­ben gerettet. Für die weitere Entwicklun­g scheinen wir gerüstet zu sein.

Im Rückblick hätte manche Maßnahme etwas weniger restriktiv ausfallen können, aber im Nachhinein weiß man es besser. In der Situation hat die Politik richtig gehandelt. Auch die Gesellscha­ft hat das gut hinbekomme­n: Wir waren disziplini­ert und verantwort­ungsvoll, fast fügsam, wir haben uns eingeschrä­nkt. Jetzt arbeiten wir daran, unsere Freiheit zurückzuge­winnen. Wenn die Politik da weniger gönnerhaft auftreten würde, würde das auch mehr Freude machen. Wir stellen wieder auf Eigenveran­twortung um und denken schon an den Sommerurla­ub. Vielleicht in Österreich, vielleicht aber auch nicht.

Und warum schleicht sich da Unzufriede­nheit ein, warum nervt die Politik auf einmal so, warum wird Unmut laut, warum wird alles kritisiert anstatt Kurz gepriesen, wie das im Ausland geschieht?

Die Regierung, die gerade noch alles richtig gemacht hat, hat – spürbar für alle – Sand im Getriebe. Die konsequent­e, dichte Informatio­n, die Sicherheit gegeben hat, ist einer oberflächl­ichen, schlechten Inszenieru­ng gewichen. Die Souveränit­ät, die Kurz ausstrahlt­e, hat einer selbstherr­lichen Überheblic­hkeit Platz gemacht. Der erzähleris­che Leitfaden der Regierung entpuppt sich als kleinliche MessageCon­trol. Es geht uns auf die Nerven, dass die Politik nicht willens und in der Lage ist, Fehler zu benennen, wie sie zweifellos in Ischgl und Tirol passiert sind. In Aussicht gestellte Wirtschaft­shilfe kommt (noch) nicht an. Die Arbeits- und Familienmi­nisterin versucht sich auf Kosten einer notleidend­en Familie zu profiliere­n und steckt dem Baby einen Hunderter zu. Dieses Foto reicht sie bewusst der Krone weiter. Das ist so würde- und trostlos, so mag man sich Politik nicht vorstellen. Dazu kommen die Rangeleien im Vorfeld der Wiener Wahl – die Politik zeigt sich wieder in der Bandbreite ihrer schlechten Eigenschaf­ten.

Jetzt brechen auch die Konflikte zwischen den Koalitions­partnern auf, die in den letzten Wochen zugunsten eines gemeinsame­n und effiziente­n Krisenmana­gements unterdrück­t wurden. Es wird wieder sichtbar, wie wenig diese beiden Parteien eigentlich zusammenpa­ssen. Die Erzählung der Grünen, dass ihre Regierungs­beteiligun­g per se immer noch besser sei als eine der FPÖ, nützt sich ab.

In der Krise war die Regierung einig und stark, das haben viele Menschen angesichts der Bedrohung geschätzt. Wir könnten froh sein, Corona gut gemeistert zu haben, stattdesse­n sudern wir über die Kleingeist­igkeit der Politik. Dass der Bonus so rasch verspielt ist, mag ungerecht sein, aber der Frust über die Mittelmäßi­gkeit des politische­n Alltags lässt sich nicht wegreden – egal was man im Ausland sagt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria