Spätfolgen des Virus
Die Infektionswelle ist gut unter Kontrolle, aber die Folgeschäden, die das Virus möglicherweise verursacht, sind unklar. Berichte von Patienten und Ärzten deuten darauf hin, dass es solche auch bei milden Verläufen geben könnte.
Das Sars-CoV-2-Virus könnte im Körper und in der Seele auch nach milden Krankheitsverläufen Langzeitfolgen zeitigen.
Noch ist das Krankheitsbild von Covid-19 nicht mit all seinen Aspekten bekannt und verstanden. So ist auch nicht abschließend geklärt, inwieweit das Sars-CoV-2 Langzeitspuren in Körper und Seele hinterlässt. Fest steht: Gelingt es dem Immunsystem nicht, das Virus aufzuhalten, kann es sich bis in die Lunge vorarbeiten und dort Entzündungen auslösen. „Sie führen zu einer Verdickung der dünnen Wand zwischen Lungenbläschen und Gefäßversorgung der Lunge. Der Gasaustausch wird dadurch beeinträchtigt, und die Sauerstoffsättigung des Blutes verringert sich deshalb zunehmend“, sagt Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde des Kepler-Universitätsklinikums in Linz. „Es wird entzündungsbedingt vermehrt Bindegewebe gebildet, was einer beginnenden Lungenfibrose entspricht. Das Lungengewebe verändert sich zunehmend, es vernarbt“, so Lamprecht weiter. Die Lungenfunktion verschlechtert sich. Typische Symptome sind meist trockener Reizhusten und Luftnot – zunächst nur bei körperlicher Anstrengung wie Treppensteigen und Sport.
Aber werden die Betroffenen wieder ganz gesund? Oder gibt es späte Folgen der Erkrankung? Um das herauszufinden, haben Judith Löffler-Ragg, Ivan Tancewski, Thomas Sonnweber und Gerlig Widmann an der pneumologischen Ambulanz der Universitätsklinik Innsbruck fächerübergreifend und frühzeitig damit begonnen, eine strukturierte Nachsorge aufzubauen. Die dort behandelte Patientengruppe umfasst primär Patienten mit schwerem Verlauf der Erkrankung, die stationär mit oder ohne invasive Beatmung behandelt wurden.
Bizarre Symptome
Zusätzlich sind aber auch einige Patienten dazugekommen, die in Heimquarantäne waren und danach trotz eines eher milden Covid-19-Verlaufs anhaltende oder erstmalig auftretende, teilweise recht bizarre Symptome zeigten: Hustenanfälle oder Kurzatmigkeit, zum Teil begleitet von anhaltenden neurologisch bedingten Beschwerden wie etwa, dass Schokolade für sie über mehrere Wochen bitter geschmeckt hat, zwanghaftes Seufzen oder gleichzeitig „durch Mund und Nase atmen“zu müssen, wie einige Patienten ihren Zustand schilderten.
Bei der jetzt vorliegenden ersten Zwischenanalyse von 80 Patientinnen und Patienten sechs Wochen nach Entlassung aus der Innsbrucker Klinik klagte mehr als die Hälfte der Betroffenen noch über Symptome wie Kurzatmigkeit, Husten und – seltener – Schlaf- und Geruchsstörungen. „Einige Patienten berichten auch über psychische Beschwerden bis hin zu Panikattacken“, erzählt Löffler-Ragg. „Bei den stationär behandelten Patienten waren die Veränderungen der Lunge in der computertomografischen Untersuchung zwar deutlich rückläufig, aber bis zu 25 Prozent der Patienten zeigen noch Auffälligkeiten in der Lungenfunktion.“
Prinzipiell ist die Regenerationsfähigkeit der Lunge gut. Bis eine moderate Lungenentzündung ausgeheilt ist, dauert es etwa vier bis sechs Wochen, das heißt, sie sollte zum Zeitpunkt der Zwischenanalyse schon ausgeheilt gewesen sein. Allerdings: „Ältere Menschen mit Begleiterkrankungen oder mit bakteriellen Folgeerkrankungen brauchen im Allgemeinen länger, bis ihre Lungenfunktion wieder einigermaßen hergestellt ist“, erklärt Medizinerin Löffler-Ragg.
Dauer der Beatmung
Auch die Dauer und Form einer künstlichen Beatmung spielen dabei eine große Rolle. „Je schwerer laut CT-Bild die Lunge bei Covid19 betroffen ist, desto invasiver und länger müssen wir meistens beatmen“, sagt Michael Joannidis,
Leiter der Internistischen Intensiv- und Notfallmedizin der Universitätsklinik für Innere Medizin Innsbruck.
Die meisten Intensivpatienten haben die Beatmungsphase bislang vergleichsweise gut überstanden. „Inwieweit es zu Vernarbungen in der Lunge kommt, also zu einer Lungenfibrose, die die Dehnbarkeit der Lunge und den Gasaustausch einschränkt, können wir derzeit noch nicht abschließend beurteilen“, sagt Löffler-Ragg.
Von Obduktionsbefunden von an Covid-19 Verstorbenen sind allerdings fibrotische Reaktionen in der Lunge bekannt. „Die Fibrose selbst heilt nicht mehr aus. Und wir haben derzeit auch keine für diese Indikation untersuchten, antifibrotischen Medikamente, mit denen wir sie stoppen könnten“, warnt Christian Schulze, Direktor der Klinik für Innere Medizin in Jena. Deshalb ist eine anschließende umfassende Rehabilitation extrem wichtig und kann die Lungenfunktion wieder langfristig verbessern.
Und was ist mit den vielen Menschen, die sich mit milden Covid19-Verläufen zu Hause auskuriert haben? „Es ist unwahrscheinlich, dass diese Patientengruppe relevante Lungenschäden hat bzw. hatte. Ansonsten hätten sie während der akuten Phase Symptome wie deutliche Kurzatmigkeit gehabt, die sie ins Krankenhaus geführt hätten“, beruhigt der Linzer Lungenexperte Lamprecht.
Wissen in Progress
Das Wissen über die Langzeitfolgen ist ein Lernprozess. „Nebst dem Fokus Lunge kommen nach und nach andere Aspekte dazu, die das Nervensystem, Herz, Nieren und möglicherweise auch die Haut betreffen“, sagt Löffler-Ragg. Eine Virusinfektion betrifft den ganzen Körper. Etwaige noch nicht erkannte Spätfolgen an Lunge, Herz, Niere oder Gehirn, die sich erst in ein paar Jahren richtig bemerkbar machen könnten, bereiten den Medizinern deshalb Sorge. Neurologische Symptome wurden bei der Innsbrucker Zwischenanalyse häufiger festgestellt und werden bei der nächsten Kontrolle erweitert untersucht. „Manche Patienten berichten von Schlafstörungen und starker Erschöpfung. Es gibt außerdem Hinweise, dass das Virus auf das Atemzentrum im Gehirn einwirken und das Atemmuster akut, aber auch über Wochen stören kann“, sagt Löffler-Ragg.
Sollten Patienten mit milden Verläufen trotzdem bald ein CT der Lunge machen lassen? „Nein, die Betroffenen sollten zum Lungenfacharzt gehen, der die Lungenfunktion, Lungenvolumina und die Sauerstoffaufnahmekapazität messen wird. Nur dann, wenn eine Abweichung von der Norm vorliegt, wird eine CT-Aufnahme der Lunge veranlasst“, sagt Lamprecht. Das empfiehlt auch Löffler-Ragg. Ratsam könnte das auch für Sporttreibende sein.
Wichtig ist es zudem, auch andere Symptome im Auge zu behalten. „Abhängig davon sollten die Betroffenen einen Neurologen, Kardiologen oder Nephrologen aufsuchen.“