Obama und Co lesen Trump die Leviten
In einem seiner seltenen Statements zur aktuellen US-Politik übt Barack Obama an seinem Nachfolger überdeutliche Kritik. Und sogar Verteidigungsminister Mark Esper rückt nun vom aktuellen US-Präsidenten ab.
So sind wir nicht.“Barack Obama hat diesen einfachen Satz schon oft gesagt, bereits als der Hoffnung schürende Präsidentschaftskandidat 2008, der versprach, das Gefangenenlager Guantánamo zu schließen, weil es unvereinbar sei mit den Prinzipien eines Rechtsstaats. Seither hat er ihn mit schöner Regelmäßigkeit wiederholt, auch dann noch, als klar war, dass die Konservativen Obama als Präsidenten die Hände binden würden.
Nun, da die seit fünfzig Jahren heftigste Protestwelle durch die USA rollt, sitzt er zu Hause in Washington und sagt es noch einmal. „This is not who we are.“
„My Brother’s Keeper“, ein Netzwerk von Sozialarbeitern, hat am Mittwochabend eine Videoschaltung organisiert. Der Altpräsident spricht von Polizeipraktiken, die sich mit Amerikas moralischem Anspruch nicht unter einen Hut bringen ließen: Es gehe nicht an, jemanden bei einer Festnahme in den Würgegriff zu nehmen, das müsse verboten werden.
Dann spricht er, ohne Donald Trump beim Namen zu nennen, von der Widerstandskultur der Republik: Wer über die Proteste nach dem Tod George Floyds rede, möge die Entstehungsgeschichte der USA bedenken, mahnt Obama. „Dieses Land wurde auf der Basis von Protesten gegründet. Man nennt das die amerikanische Revolution.“Wann immer das Land seinen Freiheitsidealen einen Schritt näher gekommen sei, sei dies auf eine Weise geschehen, die den Kräften des Status quo nicht behagte. „Wir alle sollten uns bedanken bei Leuten, die bereit sind, friedlich und diszipliniert dort draußen zu sein.“
Vertraute fallen ab
Noch bemerkenswerter, weil überraschender war, was sich Trump von einem Kriegsveteranen anhören musste, den er zum Superstar verklärte, als er ihm seinerzeit den Ministerposten im Pentagon antrug: James Mattis war einer der Militärs, von denen der aktuelle Präsident gar nicht laut genug schwärmen konnte. Ein Viersternegeneral, praktisch verheiratet mit der Armee, ein „Kriegermönch“. Trump berauschte sich an einem anderen, eher irreführenden Spitznamen des Mannes, der für kompromisslose Stärke zu stehen schien: „Mad Dog“. Verrückter Hund.
Es folgte eine schleichende Entfremdung, die 2018 zum Rücktritt führte. In seinen Memoiren übte der Ex-General zwar Kritik am „America first“des Präsidenten, dem er ein Bekenntnis zu internationalen Allianzen entgegensetzte. Dem persönlichen Konflikt ging er aber aus dem Weg. Und genau das ändert sich jetzt: „Donald
Trump ist der erste Präsident meines Lebens, der nicht versucht, das amerikanische Volk zu einen, der nicht einmal vorgibt, es zu versuchen“, schreibt er für The Atlantic. Was man gerade erlebe, sei die Konsequenz von drei Jahren Spaltung, von drei Jahren ohne reife Führung. Als er beim Militär angefangen habe, so Mattis, habe er einen Eid auf die Verfassung geschworen. Niemals habe er sich träumen lassen, dass Soldaten, die denselben Eid abgelegt hätten, befohlen werde, die Verfassungsrechte ihrer Mitbürger zu verletzen – bloß um dem Commander-inChief einen bizarren Fototermin zu ermöglichen.
Plumpe Machtdemonstration
Worauf Mattis anspielte: Trump ließ Demonstranten von prügelnden Polizisten aus dem Weg räumen, um vor einer Kirche eine Bibel in die Höhe zu halten. Mit dabei in seinem Tross: Mark Milley, der Generalstabschef, in Tarnuniform, und Mark Esper, der Verteidigungsminister. Zwei Tage später erinnerte Milley die Kommandanten der Streitkräfte an die
Verfassung, die Rede- und Versammlungsfreiheit garantiere. Ob ihn das Gewissen plagte, weil er sich für eine Machtdemonstration hergegeben hatte? Kein Außenstehender kann es seriös beurteilen.
Esper wiederum stellte klar, dass er Trump nicht folgen würde, sollte der den Einsatz der Armee gegen Demonstranten befehlen. In Worten, die keinen Raum für Zweideutigkeit ließen, lehnte er es ab, den Insurrection Act von 1807 anzuwenden, der es dem Präsidenten gestattet, im Falle von Unruhen Soldaten marschieren zu lassen, notfalls auch über die Köpfe von Gouverneuren hinweg, die es anders sehen. Dies dürfe nur der letzte Ausweg in einer absoluten Notlage sein, betonte Esper, um hinzuzufügen: „In einer solchen Lage befinden wir uns nicht.“Dass er die Worte vom Blatt ablas, soll den Kreis engster Vertrauter um Trump nach Berichten amerikanischer Medien besonders erzürnt haben. So habe das Weiße Haus nicht behaupten können, dass es sich um eine spontane oder gar unbedachte Wortmeldung handelte. Demos in Wien Seite 7