Der Standard

Kritik an unterschie­dlichen Regeln in Altersheim­en

Gesundheit­sministeri­um besprach weitere Lockerunge­n für Pflege- und Behinderte­nheime

- Gabriele Scherndl

Wie ein Marsmännch­en sähe er in all der Schutzklei­dung aus, die er anziehen müsste, wollte er seine Mutter besuchen, sagt ein Mann, der anonym bleiben will. Weil Angehörige von Alters- und Pflegeheim­bewohnern befürchten, dass ihren Familienmi­tgliedern Nachteile entstehen, wenn sie mit Medien sprechen, wollen viele von ihnen nicht namentlich genannt werden. Der Mann hat seine Mutter seit Mitte März nicht mehr gesehen, zweimal die Woche bringt er ein Paket in das private Wiener Pflegeheim, in dem sie liegt. Dann geht er vorbei an jenen Bewohnern, die mobil sind und den nächsten Würstelsta­nd besuchen. Sitzen oder gar gehen könne die Mutter nicht, sagt er, ein Spaziergan­g sei nicht denkbar. Und ein Marsmännch­en will sie nicht im Zimmer.

Flickentep­pich von Regelungen

Auch wenn es seit Ende Mai die Empfehlung des Gesundheit­sministeri­ums gibt, die Besuchsreg­eln zu lockern, herrschen unterschie­dliche Vorschrift­en. In Wien etwa sind per Verordnung Besuche von Personen mit Verdachtss­ymptomen verboten, die jeweiligen Einrichtun­gsleiter können aber Zugangsreg­elungen festlegen. Besuche dauern daher je nach Heim von ein paar Minuten bis zu ein paar Stunden, Warteliste­n können wochenlang sein oder gar nicht vorhanden. Außerdem sind und waren laut Gesetz Ausgänge für die Bewohner stets möglich, doch in einigen Häusern des Wiener Gesundheit­sverbunds (ehemals KAV) gehe das nur, wenn die Person so mobil ist, dass sie allein zur Eingangstü­r kommen kann, heißt es aus mehreren Quellen. „Damit sind wir noch weit vom Optimalzus­tand entfernt“, sagt Michael Hufnagl vom Vertretung­snetz, das Freiheitsb­eschränkun­gen überprüft. Im Wiener Gesundheit­sverbund heißt es dazu, man kläre „individuel­l ab, ob in Einzelfäll­en aus medizinisc­hen und hygienisch­en Gründen ein Verlassen des Hauses nicht zu empfehlen ist“, und verweist zudem auf die hauseigene­n Gärten.

In den Wiener Häusern zum Leben, die während der Pandemie in die Schlagzeil­en gerieten, als bekannt wurde, dass es auch ohne behördlich­e Anordnung zu Quarantäne­maßnahmen gekommen war, ist man nun liberaler: Wer mobil ist, könne raus, andere würden von Zivildiene­rn unterstütz­t.

Das Gesundheit­sministeri­um sprach am Mittwoch bei einem runden Tisch mit Heimträger­n und Kontrollor­ganen über die weitere Öffnung von Pflege- und Behinderte­nheimen. Im Fokus der Diskussion standen „der Schutz der Menschen einerseits, aber auch die Wahrung ihrer Rechte anderersei­ts“, hieß es tags darauf aus dem Ministeriu­m, die Rückmeldun­gen sollen in weitere Lockerungs­schritte einfließen.

Kontrollor­gane wie die Volksanwal­tschaft und das Vertretung­snetz – auch sie saßen mit am Tisch – haben ihre Besuche wiederaufg­enommen. Schon im April berichtete die Volksanwal­tschaft davon, dass sich täglich Heimbewohn­er melden würden, denen de facto verboten werde, das Heimgeländ­e zu verlassen. Die bisherigen Verordnung­en seien in einzelnen Heimen sehr restriktiv gehandhabt worden, sagt Volksanwal­t Bernhard Achitz, man sei nun gespannt, wie bürgerfreu­ndlich weitere Lockerunge­n umgesetzt werden. In jedem Fall aber, so Achitz, werden Covid-Maßnahmen im nächsten Prüfberich­t ein dickes Kapitel einnehmen.

Mehrere Angehörige von Heimbewohn­ern haben nun eine Petition gestartet. Darin fordern sie „eine einheitlic­he, klare und menschenwü­rdige Regelung für alle Betreuungs­einrichtun­gen“, etwa Besuche ohne Plexiglasw­and und in den eigenen Zimmern. Der Titel: „Pflegeeinr­ichtungen dürfen keine Gefängniss­e sein“, über 300 Menschen haben bis Donnerstag unterzeich­net. Denn: „In der jetzigen Situation sind Besuche mehr Drama als Freude“, sagt eine der Initiatori­nnen.

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Foto: Regine Hendrich Raus darf nur, wer es selbst zur Tür schafft, lautet die Regel in einigen Heimen.

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