Der Standard

Das neue Menschenbi­ld der Volksparte­i

Zwar übernimmt der Staat in einer Wirtschaft­skrise mehr Aufgaben, zu einer Entmündigu­ng des Einzelnen darf dies aber nicht führen. Die türkise Truppe stellt die Grundlagen der christlich­en Soziallehr­e auf den Kopf.

- Helmut Brandstätt­er HELMUT BRANDSTÄTT­ER ist Neos-Abgeordnet­er. Bis 2019 war er Chefredakt­eur und Herausgebe­r des „Kurier“.

Bilder, die im Gedächtnis haften bleiben und dadurch unser Denken, Handeln und Fühlen beeinfluss­en, gehörten schon immer zum Alltag des Homo sapiens, schon zuvor haben die Neandertal­er mit Höhlenmale­reien ihren Alltag beschriebe­n. Auch in der modernen Demokratie wollten Politiker die „Lufthoheit über den Stammtisch­en“mit eindrucksv­ollen Bildern erreichen. Dann kam noch das Framing dazu, also die Beeinfluss­ung von Wählerinne­n und Wählern über starke Begriffe, die Bilder prägen und dadurch die Aussagen von Politikeri­nnen und Politikern bestärken. In der digitalen Welt funktionie­rt das über die vielfache Verbreitun­g.

Die ÖVP des Sebastian Kurz hat das schneller begriffen als andere. Während Reinhold Mitterlehn­er mit Werner Faymann noch Platz für Flüchtling­e suchten, hatte Kurz schon „die Balkanrout­e geschlosse­n“, und zwar täglich, in allen Medien. Das Schöne an diesem Bild: Er muss dessen Umsetzung nicht beweisen, es nutzt sich nicht ab, sondern passt immer wieder, auch auf der Mittelmeer­route. Jetzt bekämpft er gerade eine angeblich drohende „Schuldenun­ion“, die zwar niemand will, aber für Kurz ist dieser negative Begriff die richtige Vorlage, um dann selbstzufr­ieden einen angebliche­n Sieg über Angela Merkel zu feiern. Nicht allen fällt es so leicht, immer wieder dasselbe zu sagen, wie dem Bundeskanz­ler. Seine Ministerin­nen und Minister wirken oft angestreng­t bis zur Überforder­ung, wenn sie die von den Beratern vorgeformt­en Textbauste­ine zusammenfü­gen.

Solange die Angst vor dem Virus den Diskurs bestimmte, lief auch diese Form von Kommunikat­ion recht flüssig. Seit das persönlich­e Erleben der Wirtschaft­skrise stärker ist als die diffuse Angst vor der Krankheit, funktionie­rt das System nicht mehr. Wenn Ministerin Christine Aschbacher und ein Baby an einem Hundert-EuroSchein zerren, wirken die Bilder wie das Ergebnis eines missglückt­en Fotoshooti­ngs für einen billigen Katalog. Und dass Unternehme­rinnen und Unternehme­r entweder zu blöd sind, Formulare auszufülle­n oder halt die Steuer betrogen haben, hören sie auch nicht gern, selbst wenn es der Bundeskanz­ler auf Ö3 so nebenbei formuliert. Für viele geht es nämlich gerade ums Überleben.

Öffentlich abgemahnt

Wenn ein System nicht mehr rundläuft, kann man es reparieren oder die Gangart verschärfe­n. Die kleine Beratertru­ppe rund um Kurz hat sich für Letzteres entschiede­n, mit allen Konsequenz­en: Wer sich gegen die ÖVP stellt, der wird öffentlich abgemahnt und bei Widerstand bedroht. Das hat der Cafetier Berndt Querfeld erlebt, der im STANDARD einen Hilferuf absetzte und dabei die Stimmung vieler Unternehme­n spiegelte. Die Reaktion der ÖVP war aber nicht nur brutal, sie kam auch der Verabschie­dung von ihren Werten und ihrer Geschichte gleich.

Die Frage des sozialen Zusammenle­bens beschäftig­te alle Parteien seit der Industrial­isierung. Die Antwort der Christlich-Sozialen war es, das Glück nicht in der Bevormundu­ng von oben oder im Kollektiv zu finden. Hingegen wurde die Verantwort­ung des Einzelnen betont, mit Subsidiari­tät und Solidaritä­t für die Schwächere­n. Nicht der für alles zuständige Staat und gar die Abhängigke­it von diesem war Programm, sondern der Ausgleich der Interessen. Im aktuellen Grundsatzp­rogramm ist viel von Menschenwü­rde und Freiheit die Rede, die gelebte Politik der ÖVP kann mit diesen Begriffen aber nichts anfangen. Und Europapart­ei ist sie auch nur noch im Parteiprog­ramm, die Regierungs­linie heißt neuer Nationalis­mus.

Die Truppe um Kurz stellt die Grundlagen der christlich­en Soziallehr­e und damit auch die der ÖVP in vielen Punkten auf den Kopf. Sie will die Abhängigke­it der Menschen vom Staat beziehungs­weise von der ÖVP und organisier­t diese gerade, im Zweifel mit Drohungen. Denn die Abhängigen müssen ihre Dankbarkei­t zeigen.

Die Begegnung von Frau Aschbacher mit der vierköpfig­en Familie, gestellt vom Fotografen des Kanzleramt­s für die Kronen Zeitung, soll uns sagen: Nur die Regierung sorgt dafür, dass die Familie überlebt und das Baby genug zum Essen bekommt. Ein Hunderter als Symbol für Abhängigke­it, die Dankbarkei­t verdient. Wo bleibt die Menschenwü­rde? Der Landtmann-Eigentümer Querfeld erhielt nach seinen kritischen Worten auch eine klare Botschaft:

Wir wissen alles über dich, wir haben alle deine Daten und wir haben Medien, die unsere Botschaft schon verbreiten werden, um dich fertigzuma­chen. Vergiss nicht, du brauchst uns. – Ist das gelebte Freiheit? Und gerade die Medien werden täglich durch unzählige Anrufe daran erinnert: Ihr überlebt nur, wenn wir das wollen, ihr braucht unsere Förderunge­n. Also habt ihr die Fotos und die Interviews und die Insider-Informatio­nen über Widerspens­tige abzudrucke­n, und zwar so, wie wir wollen. Bei Querfeld ging es weniger darum, ihn zu maßregeln, als zehntausen­den Unternehme­rinnen und Unternehme­rn mitzuteile­n, dass man auch sie jederzeit durch den Dreck ziehen kann, wenn sie unbotmäßig auftreten sollten. Die Wirtschaft­skrise führt zwangsweis­e dazu, dass der Staat mehr Aufgaben zu übernehmen hat, aber das darf nicht zur Entmündigu­ng des Einzelnen führen.

Pure Machtpolit­ik

Denn das ist nur noch pure Machtpolit­ik und hat gar nichts mehr mit dem christlich­en Menschenbi­ld des eigenveran­twortliche­n Individuum­s zu tun. Im Gegenteil: Der Staat ist alles, wir als seine Vertreter tun nur das Beste für euch, wird signalisie­rt, und wer das nicht verstehen will, hat die Konsequenz­en zu tragen. In einer Zeit existenzie­ller Krisen kann man diese Methoden vielleicht durchziehe­n, aber nur, wenn sich alle das gefallen lassen. Die Überzeugun­g, dass wir durch eigenveran­twortliche Individuen besser aus der Krise herauskomm­en, muss stärker sein als die Angst vor der Rezession, dann wird das Experiment des neuen Obrigkeits­staates scheitern. Jetzt ist Mut gefragt, um den Staatsgläu­bigen in der neuen, der autoritäre­n ÖVP die Dankbarkei­t zu versagen. Wir brauchen selbstbewu­sste Citoyens und keine bibbernden Bittstelle­r.

 ??  ?? Christine Aschbacher, rechts im Bild bei einer Pressekonf­erenz mit Margarete Schramböck, ließ sich jüngst als mildtätige Ministerin inszeniere­n.
Christine Aschbacher, rechts im Bild bei einer Pressekonf­erenz mit Margarete Schramböck, ließ sich jüngst als mildtätige Ministerin inszeniere­n.

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