Der Standard

Wie viel Hitler darf sein?

Das Heeresgesc­hichtliche Museum wird nach anhaltende­r Kritik an seinem veralteten Konzept von Experten evaluiert. Bei diesen kommt nun die Befürchtun­g auf, dass die Untersuchu­ng abgewürgt werden könnte.

- Stefan Weiss, Laurin Lorenz, Markus Sulzbacher

Es gab eine ganze Reihe von Vorwürfen, mit denen sich das Heeresgesc­hichtliche Museum ( HGM) ab Spätsommer 2019 konfrontie­rt sah. Dazu gehörten jene, dass im Museumssho­p Wehrmachts­replika und Literatur aus dem rechten Ares-Verlag angeboten wurde, dass bei Flohmärkte­n anlässlich musealer Großverans­taltungen rechtsextr­eme Devotional­ien zu erstehen gewesen seien oder dass ein leitender Mitarbeite­r mit Verbindung­en zur rechten Burschensc­haft Gohia Wikipedia-Artikel mit NS-Bezug geschönt haben soll.

Auf diese Vorwürfe will der unter Druck geratene Direktor Mario Christian Ortner bereits reagiert haben: Der Shop sei überarbeit­et, fragwürdig­e Angebote seien entfernt, zudem seien verbotene Devotional­ien laut Verteidigu­ngsministe­rium auf den Flohmärkte­n nie verkauft worden. Dennoch wolle man künftig keine solchen Märkte mehr zulassen, und der besagte Mitarbeite­r soll seine Wikipedia-Autorensch­aft ruhend gestellt haben.

Neuen Auftrieb erfuhr auch die seit Jahren bestehende inhaltlich­e Kritik am Museum selbst. Insbesonde­re jene an der Darstellun­g der Zeitspanne 1918 bis 1945 in der Saalgruppe „Republik und Diktatur“, die vor über 20 Jahren vom Langzeitdi­rektor Manfried Rauchenste­iner konzipiert wurde.

Übergangsv­erteidigun­gsminister Thomas Starlinger beauftragt­e eine Expertengr­uppe, die Säle zu evaluieren, kurz vor seinem Abtritt ordnete er an, die Untersuchu­ng auf alle Räume des HGM auszuweite­n. Zum Leiter des Gremiums wurde der Chef des Museumsbun­ds und Grazer Joanneums bestellt: Wolfgang Muchitsch.

Ein erster Bericht zur Saalgruppe „Republik und Diktatur“wurde im März dem Verteidigu­ngsministe­rium vorgelegt, das mittlerwei­le von ÖVP-Ministerin Klaudia Tanner geführt wird. Zwei Monate blieb der Bericht liegen. Über die Pfingstfei­ertage wurde er vom Ministeriu­m an die APA weitergege­ben, der Öffentlich­keit aber im Detail vorenthalt­en – eine Vorgangswe­ise, über die sich Wolfgang Muchitsch im Gespräch mit dem STANDARD wundert.

„Viele Fachkolleg­innen haben mich gefragt, ob man den Bericht jetzt haben könnte, und ich kann aufgrund der vereinbart­en Verschwieg­enheit leider nur ans Bundesmini­sterium verweisen.“Er, Muchitsch, plädiere jedenfalls für Transparen­z, „weil es mehr Anlass für Spekulatio­n gibt, wenn man so zurückhalt­en ist, als wenn man es veröffentl­icht“.

Doch im Verteidigu­ngsministe­rium scheint man die Deutungsho­heit behalten zu wollen, Message-Control ist auch hier kein Fremdwort. HGMDirekto­r Ortner preschte am Mittwoch in einem Interview mit der APA selbst vor. Er sah sich durch den Bericht der Kommission bestätigt und von Vorwürfen des Rechtsextr­emismus „freigespro­chen”. Froh sei er, dass es in der Ausstellun­g „Republik und Diktatur“keine Verharmlos­ung des Austrofasc­hismus und des NS-Regimes gebe.

Dem STANDARD wurde der Bericht mittlerwei­le aus anderer Quelle zugespielt. Festgehalt­en ist darin, dass zwar keine „expliziten Hinweise auf antisemiti­sche, rassistisc­he oder rechtsextr­eme Inhalte“in der Ausstellun­g zu finden seien, die geäußerte Kritik an

Die Frage ist, ob eine Evaluierun­g weiter gewünscht wird oder nicht. Wir drängen uns nicht auf, wir wurden gebeten. Wolfgang Muchitsch “

der Ausstellun­g wird aber als „nachvollzi­ehbar“bezeichnet. Da die meisten Objekte unvermitte­lt ausgestell­t sind, entstünden „problemati­sche Interpreta­tionsspiel­räume“, so die Historiker.

Als Beispiel nennt die Kommission die vielen Hakenkreuz­e, NSInsignie­n und Wehrmachts­uniformen. Auch eine Hitler-Büste des NS-Künstlers Ferdinand Liebermann entbehre jeder Notwendigk­eit, ausgestell­t zu werden. Die Anordnunge­n der Objekte seien „befremdlic­h“. So findet sich in der Schau etwa eine Litfaßsäul­e mit Plakaten mit Durchhalte­parolen im Krieg, dazwischen ein Sujet „Die Juden haben den Krieg gewollt“, beides unkommenti­ert.

„Grundlegen­d erneuern“

Ortner interpreti­erte die festgehalt­ene Liste an Mängeln als „konstrukti­ve Anregungen“. Jedoch belassen es die Historiker nicht bei vermeintli­chen Detailfrag­en. Sie kommen zu dem Schluss, dass es der Ausstellun­g an einer zeitgemäße­n Orientieru­ng fehle und diese grundlegen­d erneuert werden müsse.

Laut Gerhard Baumgartne­r, wissenscha­ftlicher Leiter des Dokumentat­ionsarchiv­s des österreich­ischen Widerstand­s (DÖW) und Mitglied der Kommission, ist diese Kritik schon längst wissenscha­ftlich aufgearbei­tet. Dass sich Ortner im Interview überrascht über die Kritik zeigte, ist für ihn nicht nachvollzi­ehbar. „Jeder Politiker, der ausländisc­he Gäste durch diesen Saal führt, kann sich eines Skandals sicher sein“, sagt Baumgartne­r.

Aber auch andere Räume hätten die Sprengkraf­t zu einem Skandal. In einer Saalgruppe über das Bundesheer nach 1955 wird das Konzept der „umfassende­n Landesvert­eidigung“dargestell­t. An der Wand ist eine Reihe an Grafiken zu sehen, die die vielseitig­en Aufgaben des Bundesheer­es erklären. Das größte Ausstellun­gsstück ist allerdings eine Zeichnung des Karikaturi­sten Horst Grimm. Der war über Jahre hinweg für rechtsextr­eme Publikatio­nen tätig, darunter für die mittlerwei­le eingestell­te Aula. Historiker der antifaschi­stischen Website Stoppt die Rechten, die den Grünen nahesteht, haben die Karikatur entdeckt.

Die Zeichnung stellt Zivildiene­r als langhaarig­e Kiffer und Kommuniste­n dar, unterstell­t wird zudem eine Nähe zur linksradik­alen Roten Armee Fraktion und zu Gewaltbere­itschaft. So spielt ein Zivildiene­r, der die Gesichtszü­ge des sowjetisch­en Diktators Josef Stalin trägt, mit einer Handgranat­e, während ein anderer Mann, er sieht aus wie Stalins Vorgänger Lenin, ein Buch liest mit dem Titel How to blow up a Nato Camp. Dahinter sind Soldaten gezeichnet, die sich um Katastroph­enschutz kümmern.

Baumgartne­r bezeichnet die Zeichnung als „Hetze der übelsten Sorte“. Dass in einem Bundesmuse­um, einer Institutio­n der Republik, der Zivildiens­t verunglimp­ft werde, sei eine Ungeheuerl­ichkeit. „Zivildiene­r werden pauschal beleidigt“, so Baumgartne­r.

Direktor Christian Ortner verteidigt die Zeichnung auf Nachfrage: „Es ist wichtig, Blickwinke­l unterschie­dlicher Parteien auf das Bundesheer abzubilden, auch extreme Positionen.“Er verweist auf andere Ausstellun­gsstücke von KPÖnahen Organisati­onen im Raum, die bundesheer­kritisch wären.

Ob nach dem Ministerwe­chsel neuer Widerstand gegen die Evaluierun­g spürbar sei, ist „Interpreta­tionssache“, sagt Wolfgang Muchitsch, kontaktier­t habe ihn Ministerin Tanner jedenfalls noch nicht. Irritieren­d sei, dass eine offizielle Beauftragu­ng für Phase zwei noch aussteht, in der die Experten auch alle übrigen Räume des HGM untersuche­n sollen: „Die Frage ist, ob eine Evaluierun­g weiter gewünscht wird oder nicht. Wir drängen uns ja nicht auf, sondern wir wurden ursprüngli­ch gebeten, das zu tun“, sagt Muchitsch.

„Für die zweite Phase hätten wir Expertinne­n aus Deutschlan­d dazugeholt, wir haben uns via Videokonfe­renzen verständig­t und Zeitpläne festgelegt. Bis Jahresende wollten wir fertig sein.“

Im Ministeriu­m konnte man auf Nachfrage zum weiteren Prozedere noch nichts sagen.

Interview auf derStandar­d.at/Kultur

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Die Saalgruppe „Republik und Diktatur“über die Zeit 1918 bis 1945 steht im Fokus der inhaltlich­en Kritik am Heeresgesc­hichtliche­n Museum. Die Schau ist über 20 Jahre alt.
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