Wie viel Hitler darf sein?
Das Heeresgeschichtliche Museum wird nach anhaltender Kritik an seinem veralteten Konzept von Experten evaluiert. Bei diesen kommt nun die Befürchtung auf, dass die Untersuchung abgewürgt werden könnte.
Es gab eine ganze Reihe von Vorwürfen, mit denen sich das Heeresgeschichtliche Museum ( HGM) ab Spätsommer 2019 konfrontiert sah. Dazu gehörten jene, dass im Museumsshop Wehrmachtsreplika und Literatur aus dem rechten Ares-Verlag angeboten wurde, dass bei Flohmärkten anlässlich musealer Großveranstaltungen rechtsextreme Devotionalien zu erstehen gewesen seien oder dass ein leitender Mitarbeiter mit Verbindungen zur rechten Burschenschaft Gohia Wikipedia-Artikel mit NS-Bezug geschönt haben soll.
Auf diese Vorwürfe will der unter Druck geratene Direktor Mario Christian Ortner bereits reagiert haben: Der Shop sei überarbeitet, fragwürdige Angebote seien entfernt, zudem seien verbotene Devotionalien laut Verteidigungsministerium auf den Flohmärkten nie verkauft worden. Dennoch wolle man künftig keine solchen Märkte mehr zulassen, und der besagte Mitarbeiter soll seine Wikipedia-Autorenschaft ruhend gestellt haben.
Neuen Auftrieb erfuhr auch die seit Jahren bestehende inhaltliche Kritik am Museum selbst. Insbesondere jene an der Darstellung der Zeitspanne 1918 bis 1945 in der Saalgruppe „Republik und Diktatur“, die vor über 20 Jahren vom Langzeitdirektor Manfried Rauchensteiner konzipiert wurde.
Übergangsverteidigungsminister Thomas Starlinger beauftragte eine Expertengruppe, die Säle zu evaluieren, kurz vor seinem Abtritt ordnete er an, die Untersuchung auf alle Räume des HGM auszuweiten. Zum Leiter des Gremiums wurde der Chef des Museumsbunds und Grazer Joanneums bestellt: Wolfgang Muchitsch.
Ein erster Bericht zur Saalgruppe „Republik und Diktatur“wurde im März dem Verteidigungsministerium vorgelegt, das mittlerweile von ÖVP-Ministerin Klaudia Tanner geführt wird. Zwei Monate blieb der Bericht liegen. Über die Pfingstfeiertage wurde er vom Ministerium an die APA weitergegeben, der Öffentlichkeit aber im Detail vorenthalten – eine Vorgangsweise, über die sich Wolfgang Muchitsch im Gespräch mit dem STANDARD wundert.
„Viele Fachkolleginnen haben mich gefragt, ob man den Bericht jetzt haben könnte, und ich kann aufgrund der vereinbarten Verschwiegenheit leider nur ans Bundesministerium verweisen.“Er, Muchitsch, plädiere jedenfalls für Transparenz, „weil es mehr Anlass für Spekulation gibt, wenn man so zurückhalten ist, als wenn man es veröffentlicht“.
Doch im Verteidigungsministerium scheint man die Deutungshoheit behalten zu wollen, Message-Control ist auch hier kein Fremdwort. HGMDirektor Ortner preschte am Mittwoch in einem Interview mit der APA selbst vor. Er sah sich durch den Bericht der Kommission bestätigt und von Vorwürfen des Rechtsextremismus „freigesprochen”. Froh sei er, dass es in der Ausstellung „Republik und Diktatur“keine Verharmlosung des Austrofaschismus und des NS-Regimes gebe.
Dem STANDARD wurde der Bericht mittlerweile aus anderer Quelle zugespielt. Festgehalten ist darin, dass zwar keine „expliziten Hinweise auf antisemitische, rassistische oder rechtsextreme Inhalte“in der Ausstellung zu finden seien, die geäußerte Kritik an
Die Frage ist, ob eine Evaluierung weiter gewünscht wird oder nicht. Wir drängen uns nicht auf, wir wurden gebeten. Wolfgang Muchitsch “
der Ausstellung wird aber als „nachvollziehbar“bezeichnet. Da die meisten Objekte unvermittelt ausgestellt sind, entstünden „problematische Interpretationsspielräume“, so die Historiker.
Als Beispiel nennt die Kommission die vielen Hakenkreuze, NSInsignien und Wehrmachtsuniformen. Auch eine Hitler-Büste des NS-Künstlers Ferdinand Liebermann entbehre jeder Notwendigkeit, ausgestellt zu werden. Die Anordnungen der Objekte seien „befremdlich“. So findet sich in der Schau etwa eine Litfaßsäule mit Plakaten mit Durchhalteparolen im Krieg, dazwischen ein Sujet „Die Juden haben den Krieg gewollt“, beides unkommentiert.
„Grundlegend erneuern“
Ortner interpretierte die festgehaltene Liste an Mängeln als „konstruktive Anregungen“. Jedoch belassen es die Historiker nicht bei vermeintlichen Detailfragen. Sie kommen zu dem Schluss, dass es der Ausstellung an einer zeitgemäßen Orientierung fehle und diese grundlegend erneuert werden müsse.
Laut Gerhard Baumgartner, wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW) und Mitglied der Kommission, ist diese Kritik schon längst wissenschaftlich aufgearbeitet. Dass sich Ortner im Interview überrascht über die Kritik zeigte, ist für ihn nicht nachvollziehbar. „Jeder Politiker, der ausländische Gäste durch diesen Saal führt, kann sich eines Skandals sicher sein“, sagt Baumgartner.
Aber auch andere Räume hätten die Sprengkraft zu einem Skandal. In einer Saalgruppe über das Bundesheer nach 1955 wird das Konzept der „umfassenden Landesverteidigung“dargestellt. An der Wand ist eine Reihe an Grafiken zu sehen, die die vielseitigen Aufgaben des Bundesheeres erklären. Das größte Ausstellungsstück ist allerdings eine Zeichnung des Karikaturisten Horst Grimm. Der war über Jahre hinweg für rechtsextreme Publikationen tätig, darunter für die mittlerweile eingestellte Aula. Historiker der antifaschistischen Website Stoppt die Rechten, die den Grünen nahesteht, haben die Karikatur entdeckt.
Die Zeichnung stellt Zivildiener als langhaarige Kiffer und Kommunisten dar, unterstellt wird zudem eine Nähe zur linksradikalen Roten Armee Fraktion und zu Gewaltbereitschaft. So spielt ein Zivildiener, der die Gesichtszüge des sowjetischen Diktators Josef Stalin trägt, mit einer Handgranate, während ein anderer Mann, er sieht aus wie Stalins Vorgänger Lenin, ein Buch liest mit dem Titel How to blow up a Nato Camp. Dahinter sind Soldaten gezeichnet, die sich um Katastrophenschutz kümmern.
Baumgartner bezeichnet die Zeichnung als „Hetze der übelsten Sorte“. Dass in einem Bundesmuseum, einer Institution der Republik, der Zivildienst verunglimpft werde, sei eine Ungeheuerlichkeit. „Zivildiener werden pauschal beleidigt“, so Baumgartner.
Direktor Christian Ortner verteidigt die Zeichnung auf Nachfrage: „Es ist wichtig, Blickwinkel unterschiedlicher Parteien auf das Bundesheer abzubilden, auch extreme Positionen.“Er verweist auf andere Ausstellungsstücke von KPÖnahen Organisationen im Raum, die bundesheerkritisch wären.
Ob nach dem Ministerwechsel neuer Widerstand gegen die Evaluierung spürbar sei, ist „Interpretationssache“, sagt Wolfgang Muchitsch, kontaktiert habe ihn Ministerin Tanner jedenfalls noch nicht. Irritierend sei, dass eine offizielle Beauftragung für Phase zwei noch aussteht, in der die Experten auch alle übrigen Räume des HGM untersuchen sollen: „Die Frage ist, ob eine Evaluierung weiter gewünscht wird oder nicht. Wir drängen uns ja nicht auf, sondern wir wurden ursprünglich gebeten, das zu tun“, sagt Muchitsch.
„Für die zweite Phase hätten wir Expertinnen aus Deutschland dazugeholt, wir haben uns via Videokonferenzen verständigt und Zeitpläne festgelegt. Bis Jahresende wollten wir fertig sein.“
Im Ministerium konnte man auf Nachfrage zum weiteren Prozedere noch nichts sagen.
Interview auf derStandard.at/Kultur