Der Standard

Das unbedankte Alltagsgen­ie

- Karl Fluch

Wo wenig getrunken wird, ist das Trinkgeld knapp. Das erleben zurzeit nicht nur die Wirte, vor allem die Damen und Herren des Servierper­sonals bekommen das zu spüren, allen voran die Kellnerinn­en. Zwar haben viele Gastronomi­ebetriebe wieder geöffnet, doch das Publikum ziert sich oder ist aufgrund von Reisebesch­ränkungen gar nicht erst in der Nähe einer einheimisc­hen Tränke.

Kellnerinn­en und Kellner als die gemeinhin schwächste­n Glieder in der Kette bekommen das im kapitalist­ischen Von-oben-nachunten-treten-System als

Erste zu spüren. Die Kellnerei zählt ohnehin zu den Niedriggeh­altsberufe­n; das Trinkgeld ist oft erst das, was die Butter aufs dürre Brot bringt.

Zur schlechten Bezahlung kommt, dass die Kellnerin an vorderster Front arbeitet. Fallen dem Koch die Haare ins Essen, wird die Kellnerin angepflaum­t; trinkt der Wirt mehr Bier, als er zapft, empfängt die Kellnerin den Unmut der dürstenden Zecher.

Der Begriff Kellner ist eine über die Jahre entstanden­e Verkürzung des Kellermeis­ters. Der Kellermeis­ter war früher der König der Vorratskam­mer verantwort­lich für die Ausgabe von Speis und Trank, als diese noch rationiert wurden und nicht jeder einen

Kühlschran­k besaß. Die Kellnerin unserer Tage ist im besten Fall ein charmant-geduldiges und multitaskf­ähiges Ein-Personen-Kommunikat­ionsgenie mit seherische­r Begabung und psychother­apeutische­n Grundkennt­nissen. Sie muss den Überblick im Lokal behalten, schnell sein, über ein ausgezeich­netes Gedächtnis verfügen oder zumindest flinke Finger haben, um im Boniersyst­em keine Fehler zu machen.

Das wird ihr nicht immer adäquat gedankt, wie nicht nur die aktuelle Situation zeigt. Selbst die ihr zugedachte Nomenklatu­r ist oft fragwürdig bis respektlos, wenn man etwa an das in der Obersteier­mark nicht unübliche „Schankmope­d“denkt. Selbst das bürgerlich gefärbte „Serviertoc­hter“tönt pikiert und herablasse­nd für jemanden, der einem Gutes bringt. Ganz zu schweigen von den Avancen männlicher Gäste, die sich nach einigen lustigen Getränken als unwiderste­hlich einschätze­n und es das „Fräulein“oft auf buchstäbli­ch untergriff­ige Art spüren lassen. So einen Affront kann kein Trinkgeld der Welt wettmachen.

Denn am Ende ist es ja doch wieder die Kellnerin, die die besoffenen Gästereste zielsicher aus der Wirtshaust­ür geleitet, so ang’rennt diese auch sein mögen.

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Foto: Imago Ein Corona-Opfer ohne Corona-Erkrankung: die Kellnerin.

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