Das unbedankte Alltagsgenie
Wo wenig getrunken wird, ist das Trinkgeld knapp. Das erleben zurzeit nicht nur die Wirte, vor allem die Damen und Herren des Servierpersonals bekommen das zu spüren, allen voran die Kellnerinnen. Zwar haben viele Gastronomiebetriebe wieder geöffnet, doch das Publikum ziert sich oder ist aufgrund von Reisebeschränkungen gar nicht erst in der Nähe einer einheimischen Tränke.
Kellnerinnen und Kellner als die gemeinhin schwächsten Glieder in der Kette bekommen das im kapitalistischen Von-oben-nachunten-treten-System als
Erste zu spüren. Die Kellnerei zählt ohnehin zu den Niedriggehaltsberufen; das Trinkgeld ist oft erst das, was die Butter aufs dürre Brot bringt.
Zur schlechten Bezahlung kommt, dass die Kellnerin an vorderster Front arbeitet. Fallen dem Koch die Haare ins Essen, wird die Kellnerin angepflaumt; trinkt der Wirt mehr Bier, als er zapft, empfängt die Kellnerin den Unmut der dürstenden Zecher.
Der Begriff Kellner ist eine über die Jahre entstandene Verkürzung des Kellermeisters. Der Kellermeister war früher der König der Vorratskammer verantwortlich für die Ausgabe von Speis und Trank, als diese noch rationiert wurden und nicht jeder einen
Kühlschrank besaß. Die Kellnerin unserer Tage ist im besten Fall ein charmant-geduldiges und multitaskfähiges Ein-Personen-Kommunikationsgenie mit seherischer Begabung und psychotherapeutischen Grundkenntnissen. Sie muss den Überblick im Lokal behalten, schnell sein, über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügen oder zumindest flinke Finger haben, um im Boniersystem keine Fehler zu machen.
Das wird ihr nicht immer adäquat gedankt, wie nicht nur die aktuelle Situation zeigt. Selbst die ihr zugedachte Nomenklatur ist oft fragwürdig bis respektlos, wenn man etwa an das in der Obersteiermark nicht unübliche „Schankmoped“denkt. Selbst das bürgerlich gefärbte „Serviertochter“tönt pikiert und herablassend für jemanden, der einem Gutes bringt. Ganz zu schweigen von den Avancen männlicher Gäste, die sich nach einigen lustigen Getränken als unwiderstehlich einschätzen und es das „Fräulein“oft auf buchstäblich untergriffige Art spüren lassen. So einen Affront kann kein Trinkgeld der Welt wettmachen.
Denn am Ende ist es ja doch wieder die Kellnerin, die die besoffenen Gästereste zielsicher aus der Wirtshaustür geleitet, so ang’rennt diese auch sein mögen.